relativer, d. h. jede findet ihre logische und psychologische Möglich- keit, die Welt zu deuten, an der anderen. Nur weil die Realität sich in absoluter Bewegtheit befindet, hat es einen Sinn, ihr gegenüber das ideelle System zeitlos gültiger Gesetzlichkeiten zu behaupten; um- gekehrt: nur weil diese bestehen, ist jener Strom des Daseins über- haupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein unqualifizierbares Chaos auseinanderzufallen. Die allgemeine Relativität der Welt, auf den ersten Blick nur auf der einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht in Wirklichkeit auch die andere in sich ein und zeigt sich als Herrscherin, wo sie eben nur Partei zu sein schien -- wie das Geld über seine Bedeutung als einzelner Wirtschaftswert die höhere baut: den abstrakten Wirtschaftswert überhaupt darzustellen, und beide Funktionen in unlösliche Korrelation, in der keine die erste ist, ver- schlingt.
Indem hier nun ein Gebilde der historischen Welt das sachliche Verhalten der Dinge symbolisiert, stiftet es zwischen jener und diesem eine besondere Verbindung. Je mehr das Leben der Gesellschaft ein geldwirtschaftliches wird, desto wirksamer und deutlicher prägt sich in dem bewussten Leben der relativistische Charakter des Seins aus, da das Geld nichts anderes ist als die in einem Sondergebilde verkörperte Relativität der wirtschaftlichen Gegenstände, die ihren Wert bedeutet. Und wie die absolutistische Weltansicht eine bestimmte intellektuelle Entwicklungsstufe darstellte, in Korrelation mit der ent- sprechenden praktischen, ökonomischen, gefühlsmässigen Gestaltung der menschlichen Dinge, -- so scheint die relativistische das augenblickliche Anpassungsverhältnis unseres Intellekts auszudrücken oder, vielleicht richtiger: zu sein, bestätigt durch das Gegenbild des sozialen und des subjektiven Lebens, das in dem Gelde ebenso den real wirksamen Träger wie das abspiegelnde Symbol seiner Formen und Bewegungen gefunden hat.
Pierer'sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
relativer, d. h. jede findet ihre logische und psychologische Möglich- keit, die Welt zu deuten, an der anderen. Nur weil die Realität sich in absoluter Bewegtheit befindet, hat es einen Sinn, ihr gegenüber das ideelle System zeitlos gültiger Gesetzlichkeiten zu behaupten; um- gekehrt: nur weil diese bestehen, ist jener Strom des Daseins über- haupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein unqualifizierbares Chaos auseinanderzufallen. Die allgemeine Relativität der Welt, auf den ersten Blick nur auf der einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht in Wirklichkeit auch die andere in sich ein und zeigt sich als Herrscherin, wo sie eben nur Partei zu sein schien — wie das Geld über seine Bedeutung als einzelner Wirtschaftswert die höhere baut: den abstrakten Wirtschaftswert überhaupt darzustellen, und beide Funktionen in unlösliche Korrelation, in der keine die erste ist, ver- schlingt.
Indem hier nun ein Gebilde der historischen Welt das sachliche Verhalten der Dinge symbolisiert, stiftet es zwischen jener und diesem eine besondere Verbindung. Je mehr das Leben der Gesellschaft ein geldwirtschaftliches wird, desto wirksamer und deutlicher prägt sich in dem bewuſsten Leben der relativistische Charakter des Seins aus, da das Geld nichts anderes ist als die in einem Sondergebilde verkörperte Relativität der wirtschaftlichen Gegenstände, die ihren Wert bedeutet. Und wie die absolutistische Weltansicht eine bestimmte intellektuelle Entwicklungsstufe darstellte, in Korrelation mit der ent- sprechenden praktischen, ökonomischen, gefühlsmäſsigen Gestaltung der menschlichen Dinge, — so scheint die relativistische das augenblickliche Anpassungsverhältnis unseres Intellekts auszudrücken oder, vielleicht richtiger: zu sein, bestätigt durch das Gegenbild des sozialen und des subjektiven Lebens, das in dem Gelde ebenso den real wirksamen Träger wie das abspiegelnde Symbol seiner Formen und Bewegungen gefunden hat.
Pierer’sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
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relativer, d. h. jede findet ihre logische und psychologische Möglich-
keit, die Welt zu deuten, an der anderen. Nur weil die Realität sich
in absoluter Bewegtheit befindet, hat es einen Sinn, ihr gegenüber das
ideelle System zeitlos gültiger Gesetzlichkeiten zu behaupten; um-
gekehrt: nur weil diese bestehen, ist jener Strom des Daseins über-
haupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein unqualifizierbares Chaos
auseinanderzufallen. Die allgemeine Relativität der Welt, auf den
ersten Blick nur auf der einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht
in Wirklichkeit auch die andere in sich ein und zeigt sich als
Herrscherin, wo sie eben nur Partei zu sein schien — wie das Geld
über seine Bedeutung als einzelner Wirtschaftswert die höhere baut:
den abstrakten Wirtschaftswert überhaupt darzustellen, und beide
Funktionen in unlösliche Korrelation, in der keine die erste ist, ver-
schlingt.
Indem hier nun ein Gebilde der historischen Welt das sachliche
Verhalten der Dinge symbolisiert, stiftet es zwischen jener und diesem
eine besondere Verbindung. Je mehr das Leben der Gesellschaft
ein geldwirtschaftliches wird, desto wirksamer und deutlicher prägt
sich in dem bewuſsten Leben der relativistische Charakter des Seins
aus, da das Geld nichts anderes ist als die in einem Sondergebilde
verkörperte Relativität der wirtschaftlichen Gegenstände, die ihren
Wert bedeutet. Und wie die absolutistische Weltansicht eine bestimmte
intellektuelle Entwicklungsstufe darstellte, in Korrelation mit der ent-
sprechenden praktischen, ökonomischen, gefühlsmäſsigen Gestaltung der
menschlichen Dinge, — so scheint die relativistische das augenblickliche
Anpassungsverhältnis unseres Intellekts auszudrücken oder, vielleicht
richtiger: zu sein, bestätigt durch das Gegenbild des sozialen und des
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/578>, abgerufen am 23.11.2024.
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