nicht der individuelle Tausch gewesen ist, sondern eine Art des Besitz- wechsels, die überhaupt nicht Tausch war, etwa der Raub. Dann wäre der interindividuelle Tausch nichts anderes als ein Friedensvertrag ge- wesen und Tausch und fixierter Tausch wären als eine einheitliche That- sache entsprungen. Eine Analogie hierzu würden die Fälle bieten, wo der primitive Frauenraub dem exogamischen Friedensvertrag mit Nach- barn -- der den Kauf und Austausch der Weiber gründet und regelt -- vorangegangen ist. Die hiermit eingeführte, prinzipiell neue Eheform wird also sogleich in ihrer, das Individuum präjudizierenden Fixiertheit gesetzt. Freie Sonderverträge der gleichen Art zwischen Einzelnen brauchen dabei keineswegs vorausgegangen zu sein, sondern zugleich mit dem Typus ist auch seine soziale Regelung gegeben. Es ist ein Vorurteil, dass jede sozial geregelte Beziehung sich aus der inhaltlich gleichen, aber in nur individueller, sozial ungeregelter Form statt- findenden, historisch entwickelt haben müsse. Was ihr vorangegangen ist, kann vielmehr derselbe Inhalt in einer der Art nach ganz anderen Beziehungsform gewesen sein. Indem der Tausch über die subjektiven Aneignungsarten fremden Besitzes -- Raub und Geschenk -- hinausgeht, findet er als erste übersubjektive Möglichkeit die soziale Regelung vor, welche ihrerseits erst die Objektivität im sachlichen Sinne vorbereitet; erst mit dieser dringt in den freien Besitzwechsel zwischen Individuen als solchen die Objektivität ein, die ihn zum Tausche macht.
Aus alledem ergiebt sich: der Tausch ist ein soziologisches Gebilde sui generis, eine originäre Form und Funktion des inter- individuellen Lebens, die sich keineswegs aus jener qualitativen und quantitativen Beschaffenheit der Dinge, die man als Brauchbarkeit und Seltenheit bezeichnet, durch logische Konsequenz ergiebt. Umgekehrt vielmehr entwickeln beide ihre wertbildende Bedeutung erst unter der Voraussetzung des Tausches. Wo der Tausch, das Einsetzen von Opfern zum Zwecke des Gewinnes, aus irgend einem Grunde ausgeschlossen ist, da kann alle Seltenheit des begehrten Objektes es nicht zu einem wirtschaftlichen Wert machen, bis die Möglichkeit jener Relation wieder eintritt. Man kann dies auch so ausdrücken. Die Bedeutung des Gegenstandes für das Individuum liegt immer nur in seiner Begehrt- heit; für das, was er uns leisten soll, ist seine qualitative Bestimmtheit entscheidend, und wenn wir ihn haben, in dem positiven Verhältnis zu ihm, ist es für diese Bedeutung seiner völlig einerlei, ob ausser ihm noch viele, wenige oder keine Exemplare seiner Art existieren. (Ich behandle hier die Fälle nicht gesondert, in denen die Seltenheit selbst wieder eine Art qualitativer Bestimmtheit wird, die uns den Gegenstand
nicht der individuelle Tausch gewesen ist, sondern eine Art des Besitz- wechsels, die überhaupt nicht Tausch war, etwa der Raub. Dann wäre der interindividuelle Tausch nichts anderes als ein Friedensvertrag ge- wesen und Tausch und fixierter Tausch wären als eine einheitliche That- sache entsprungen. Eine Analogie hierzu würden die Fälle bieten, wo der primitive Frauenraub dem exogamischen Friedensvertrag mit Nach- barn — der den Kauf und Austausch der Weiber gründet und regelt — vorangegangen ist. Die hiermit eingeführte, prinzipiell neue Eheform wird also sogleich in ihrer, das Individuum präjudizierenden Fixiertheit gesetzt. Freie Sonderverträge der gleichen Art zwischen Einzelnen brauchen dabei keineswegs vorausgegangen zu sein, sondern zugleich mit dem Typus ist auch seine soziale Regelung gegeben. Es ist ein Vorurteil, daſs jede sozial geregelte Beziehung sich aus der inhaltlich gleichen, aber in nur individueller, sozial ungeregelter Form statt- findenden, historisch entwickelt haben müsse. Was ihr vorangegangen ist, kann vielmehr derselbe Inhalt in einer der Art nach ganz anderen Beziehungsform gewesen sein. Indem der Tausch über die subjektiven Aneignungsarten fremden Besitzes — Raub und Geschenk — hinausgeht, findet er als erste übersubjektive Möglichkeit die soziale Regelung vor, welche ihrerseits erst die Objektivität im sachlichen Sinne vorbereitet; erst mit dieser dringt in den freien Besitzwechsel zwischen Individuen als solchen die Objektivität ein, die ihn zum Tausche macht.
Aus alledem ergiebt sich: der Tausch ist ein soziologisches Gebilde sui generis, eine originäre Form und Funktion des inter- individuellen Lebens, die sich keineswegs aus jener qualitativen und quantitativen Beschaffenheit der Dinge, die man als Brauchbarkeit und Seltenheit bezeichnet, durch logische Konsequenz ergiebt. Umgekehrt vielmehr entwickeln beide ihre wertbildende Bedeutung erst unter der Voraussetzung des Tausches. Wo der Tausch, das Einsetzen von Opfern zum Zwecke des Gewinnes, aus irgend einem Grunde ausgeschlossen ist, da kann alle Seltenheit des begehrten Objektes es nicht zu einem wirtschaftlichen Wert machen, bis die Möglichkeit jener Relation wieder eintritt. Man kann dies auch so ausdrücken. Die Bedeutung des Gegenstandes für das Individuum liegt immer nur in seiner Begehrt- heit; für das, was er uns leisten soll, ist seine qualitative Bestimmtheit entscheidend, und wenn wir ihn haben, in dem positiven Verhältnis zu ihm, ist es für diese Bedeutung seiner völlig einerlei, ob auſser ihm noch viele, wenige oder keine Exemplare seiner Art existieren. (Ich behandle hier die Fälle nicht gesondert, in denen die Seltenheit selbst wieder eine Art qualitativer Bestimmtheit wird, die uns den Gegenstand
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nicht der individuelle Tausch gewesen ist, sondern eine Art des Besitz-
wechsels, die überhaupt nicht Tausch war, etwa der Raub. Dann wäre
der interindividuelle Tausch nichts anderes als ein Friedensvertrag ge-
wesen und Tausch und fixierter Tausch wären als eine einheitliche That-
sache entsprungen. Eine Analogie hierzu würden die Fälle bieten, wo
der primitive Frauenraub dem exogamischen Friedensvertrag mit Nach-
barn — der den Kauf und Austausch der Weiber gründet und regelt —
vorangegangen ist. Die hiermit eingeführte, prinzipiell neue Eheform
wird also sogleich in ihrer, das Individuum präjudizierenden Fixiertheit
gesetzt. Freie Sonderverträge der gleichen Art zwischen Einzelnen
brauchen dabei keineswegs vorausgegangen zu sein, sondern zugleich
mit dem Typus ist auch seine soziale Regelung gegeben. Es ist ein
Vorurteil, daſs jede sozial geregelte Beziehung sich aus der inhaltlich
gleichen, aber in nur individueller, sozial ungeregelter Form statt-
findenden, historisch entwickelt haben müsse. Was ihr vorangegangen
ist, kann vielmehr derselbe Inhalt in einer der Art nach ganz
anderen Beziehungsform gewesen sein. Indem der Tausch über die
subjektiven Aneignungsarten fremden Besitzes — Raub und Geschenk —
hinausgeht, findet er als erste übersubjektive Möglichkeit die soziale
Regelung vor, welche ihrerseits erst die Objektivität im sachlichen
Sinne vorbereitet; erst mit dieser dringt in den freien Besitzwechsel
zwischen Individuen als solchen die Objektivität ein, die ihn zum
Tausche macht.
Aus alledem ergiebt sich: der Tausch ist ein soziologisches
Gebilde sui generis, eine originäre Form und Funktion des inter-
individuellen Lebens, die sich keineswegs aus jener qualitativen und
quantitativen Beschaffenheit der Dinge, die man als Brauchbarkeit und
Seltenheit bezeichnet, durch logische Konsequenz ergiebt. Umgekehrt
vielmehr entwickeln beide ihre wertbildende Bedeutung erst unter der
Voraussetzung des Tausches. Wo der Tausch, das Einsetzen von Opfern
zum Zwecke des Gewinnes, aus irgend einem Grunde ausgeschlossen
ist, da kann alle Seltenheit des begehrten Objektes es nicht zu einem
wirtschaftlichen Wert machen, bis die Möglichkeit jener Relation wieder
eintritt. Man kann dies auch so ausdrücken. Die Bedeutung des
Gegenstandes für das Individuum liegt immer nur in seiner Begehrt-
heit; für das, was er uns leisten soll, ist seine qualitative Bestimmtheit
entscheidend, und wenn wir ihn haben, in dem positiven Verhältnis
zu ihm, ist es für diese Bedeutung seiner völlig einerlei, ob auſser ihm
noch viele, wenige oder keine Exemplare seiner Art existieren. (Ich
behandle hier die Fälle nicht gesondert, in denen die Seltenheit selbst
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/80>, abgerufen am 26.11.2024.
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