zu einander, die an keiner derselben als eine absolute Qualität hafte, bestätigt sich schliesslich auch dem einzelnen Gegenstande gegenüber. Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heisst: in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem chaotischen Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluss der Eindrücke, sondern wir einzelne als zu einander gehörig aus, gruppieren sie zu Einheiten, die wir dann als "Gegenstände" be- zeichnen. Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer Einheit zusammenzubringen sind, wirklich in eine solche versammelt haben, so ist damit ein Gegenstand erkannt. Was aber kann diese Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören, Auf- einanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke und Anschauungsmaterialien? Die Einheit der Elemente ist doch nichts ausserhalb der Elemente selbst, sondern die in ihnen selbst ver- harrende, nur von ihnen dargestellte Form ihres Zusammenseins. Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen erkenne, dass ich die durch mein Bewusstsein gleitenden Eindrücke: weiss, hart, süss, kristallinisch etc. in eine Einheit zusammenfüge, so heisst das, dass ich diese Anschauungsinhalte als aneinander gebunden vorstelle, dass, unter diesen gegebenen Bedingungen, ein Zusammenhalt, d. h. eine Wechselwirkung unter ihnen besteht, dass der eine an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere es ist, und so wechselseitig. Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale Körper als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und Kohäsionskräfte seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Ver- hältnis unter diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren geistiger Realisierung seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechsel- wirkung unter den Elementen seiner Anschauung. Auch in dem, was man die "Wahrheit" eines Kunstwerkes nennt, dürfte das Verhältnis seiner Elemente untereinander sehr viel bedeutsamer sein, gegenüber dem Verhältnis zu seinem Objekt, als man sich klarzumachen pflegt. Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren Bestandstücken aus Werken bildender wie redender Kunst weder den Eindruck der Wahrheit noch den der Unwahrheit empfangen, sie stehen, so weit sie isoliert sind, noch jenseits dieser Kategorie; oder von der anderen Seite angesehen: in Hinsicht der Ansatzelemente, von denen aus das Kunstwerk weitergebildet wird, ist der Künstler frei; erst wenn er einen Charakter, einen Stil, ein Farben- oder Form- element, einen Stimmungston gewählt hat, ist der Zuwachs der weiteren Teile dadurch präjudiziert. Sie müssen jetzt die Erwartungen er-
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zu einander, die an keiner derselben als eine absolute Qualität hafte, bestätigt sich schlieſslich auch dem einzelnen Gegenstande gegenüber. Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heiſst: in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem chaotischen Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluſs der Eindrücke, sondern wir einzelne als zu einander gehörig aus, gruppieren sie zu Einheiten, die wir dann als „Gegenstände“ be- zeichnen. Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer Einheit zusammenzubringen sind, wirklich in eine solche versammelt haben, so ist damit ein Gegenstand erkannt. Was aber kann diese Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören, Auf- einanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke und Anschauungsmaterialien? Die Einheit der Elemente ist doch nichts auſserhalb der Elemente selbst, sondern die in ihnen selbst ver- harrende, nur von ihnen dargestellte Form ihres Zusammenseins. Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen erkenne, daſs ich die durch mein Bewuſstsein gleitenden Eindrücke: weiſs, hart, süſs, kristallinisch etc. in eine Einheit zusammenfüge, so heiſst das, daſs ich diese Anschauungsinhalte als aneinander gebunden vorstelle, daſs, unter diesen gegebenen Bedingungen, ein Zusammenhalt, d. h. eine Wechselwirkung unter ihnen besteht, daſs der eine an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere es ist, und so wechselseitig. Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale Körper als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und Kohäsionskräfte seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Ver- hältnis unter diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren geistiger Realisierung seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechsel- wirkung unter den Elementen seiner Anschauung. Auch in dem, was man die „Wahrheit“ eines Kunstwerkes nennt, dürfte das Verhältnis seiner Elemente untereinander sehr viel bedeutsamer sein, gegenüber dem Verhältnis zu seinem Objekt, als man sich klarzumachen pflegt. Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren Bestandstücken aus Werken bildender wie redender Kunst weder den Eindruck der Wahrheit noch den der Unwahrheit empfangen, sie stehen, so weit sie isoliert sind, noch jenseits dieser Kategorie; oder von der anderen Seite angesehen: in Hinsicht der Ansatzelemente, von denen aus das Kunstwerk weitergebildet wird, ist der Künstler frei; erst wenn er einen Charakter, einen Stil, ein Farben- oder Form- element, einen Stimmungston gewählt hat, ist der Zuwachs der weiteren Teile dadurch präjudiziert. Sie müssen jetzt die Erwartungen er-
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zu einander, die an keiner derselben als eine absolute Qualität
hafte, bestätigt sich schlieſslich auch dem einzelnen Gegenstande
gegenüber. Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heiſst:
in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem
chaotischen Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluſs
der Eindrücke, sondern wir einzelne als zu einander gehörig aus,
gruppieren sie zu Einheiten, die wir dann als „Gegenstände“ be-
zeichnen. Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer
Einheit zusammenzubringen sind, wirklich in eine solche versammelt
haben, so ist damit ein Gegenstand erkannt. Was aber kann diese
Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören, Auf-
einanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke
und Anschauungsmaterialien? Die Einheit der Elemente ist doch
nichts auſserhalb der Elemente selbst, sondern die in ihnen selbst ver-
harrende, nur von ihnen dargestellte Form ihres Zusammenseins.
Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen erkenne, daſs
ich die durch mein Bewuſstsein gleitenden Eindrücke: weiſs, hart, süſs,
kristallinisch etc. in eine Einheit zusammenfüge, so heiſst das, daſs
ich diese Anschauungsinhalte als aneinander gebunden vorstelle, daſs,
unter diesen gegebenen Bedingungen, ein Zusammenhalt, d. h. eine
Wechselwirkung unter ihnen besteht, daſs der eine an dieser Stelle
und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere es ist, und so
wechselseitig. Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale
Körper als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und
Kohäsionskräfte seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Ver-
hältnis unter diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren
geistiger Realisierung seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechsel-
wirkung unter den Elementen seiner Anschauung. Auch in dem, was
man die „Wahrheit“ eines Kunstwerkes nennt, dürfte das Verhältnis
seiner Elemente untereinander sehr viel bedeutsamer sein, gegenüber
dem Verhältnis zu seinem Objekt, als man sich klarzumachen pflegt.
Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen
Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren
Bestandstücken aus Werken bildender wie redender Kunst weder den
Eindruck der Wahrheit noch den der Unwahrheit empfangen, sie
stehen, so weit sie isoliert sind, noch jenseits dieser Kategorie; oder
von der anderen Seite angesehen: in Hinsicht der Ansatzelemente, von
denen aus das Kunstwerk weitergebildet wird, ist der Künstler frei;
erst wenn er einen Charakter, einen Stil, ein Farben- oder Form-
element, einen Stimmungston gewählt hat, ist der Zuwachs der weiteren
Teile dadurch präjudiziert. Sie müssen jetzt die Erwartungen er-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/91>, abgerufen am 27.11.2024.
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