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Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396.

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ist, doch ihren Jnhalt auch in dieser Form entfaltet, "wie aus der Ferne" und als fühlte sie ein Jch, das über dem persönlichen ist, wenngleich es doch in ihm ist, - dieser Widerspruch ist dennoch eine psychologische Wirklichkeit; gerade in der tiefsten Schicht des Jch fühlen wir gewisse Gefühle so, als ob nicht wir sie fühlen, sondern als wäre das Jch nur das Sprachrohr einer viel breiteren Macht oder Nothwendigkeit.

Auf dieser zweiten Form des Fühlens ruht alle Kunst höheren Sinnes. Die ursprüngliche Leidenschaft des Gefühles, das Nur-Persönliche seiner Betonung, die ausschließende Giltigkeit für das eine Subjekt, muß es im Schaffenden wie im Genießenden des Kunstwerkes verlieren. Denn so sicher dessen Sinn und Recht überhaupt in Gefühlen liegt, aus denen es fließt und die aus ihm fließen, so gründet sich der Aufstieg von niederer und primitiver Kunst zu ihrer Reinheit und Höhe auf den Uebergang des unmittelbaren subjektiven Gefühles zu jenem objektiven, das den gleichen Jnhalt aus der Jmpulsivität und Zugespitztheit jenes in Ruhe und breitere Giltigkeit überführt. Erotische Erregungen mögen unsere Aeußerungen zuerst zu Melodien gestaltet haben, aus kriegerischen Affekten mag die erste Rhythmisirung des Schrittes, aus religiösen die erste Erhebung und Stilisirung der Rede gequollen sein, aus den starken Eindrücken der Dinge die bildnerischen Versuche, in denen man gleichsam Herr über diese wurde, ihre Formen sich unterwarf. Und nun auf der anderen Seite: je unkultivirter der Hörer und Beschauer ist, desto unmittelbarere, sozusagen materiellere Affekte ruft das Kunstwerk in ihm hervor: der dargestellte Vorgang erregt ihn in genau der selben Weise, wie der wirkliche ihn erregen würde, sein Jnteresse gilt dem Jnhalt, nicht der Kunstform des Werkes, weil eben sein Jnhalt ja auch in der Wirklichkeit zu finden ist und die an diese geknüpften Gefühle unmittelbar erleben läßt. Jn der Musik fesselt ihn fast ausschließlich die Melodie, weil diese den subjektiven Stimmungsgehalt am Deutlichsten und Direktesten zum Ausdruck und Eindruck bringt. So unverächtlich nun alles Dies ist, da solches unmittelbare, die ganze Subjektivität ergreifende Fühlen das Kräftereservoir auch aller späteren Gestaltungen bleibt, so liegt doch das Wesen der Kunst als solcher, Das, was die Kunst zur Kunst macht, in der Entwickelung von jenem hinweg: in der Entwickelung gleichsam vom subjektiven Jch zum objektiven, zu jener Schicht unseres Fühlens, in der es die geheimnißvolle Gewähr trägt, über die Zufälligkeit der momentanen Erregung hinaus zu gelten, ja, überhaupt einer Ordnung jenseits des nur persönlichen Jch anzugehören. Die Herausbildung solchen Fühlens wird sich am Ehesten an die Produktion und Rezeption innerhalb solcher Künste knüpfen, die in der festen äußeren Gegebenheit ihres Materials dem Jch eine Stütze bei der Objektivirung seiner tiefsten Jnhalte gewähren: also bei den Künsten der Sichtbarkeit. Am Tiefsten

ist, doch ihren Jnhalt auch in dieser Form entfaltet, „wie aus der Ferne“ und als fühlte sie ein Jch, das über dem persönlichen ist, wenngleich es doch in ihm ist, – dieser Widerspruch ist dennoch eine psychologische Wirklichkeit; gerade in der tiefsten Schicht des Jch fühlen wir gewisse Gefühle so, als ob nicht wir sie fühlen, sondern als wäre das Jch nur das Sprachrohr einer viel breiteren Macht oder Nothwendigkeit.

Auf dieser zweiten Form des Fühlens ruht alle Kunst höheren Sinnes. Die ursprüngliche Leidenschaft des Gefühles, das Nur-Persönliche seiner Betonung, die ausschließende Giltigkeit für das eine Subjekt, muß es im Schaffenden wie im Genießenden des Kunstwerkes verlieren. Denn so sicher dessen Sinn und Recht überhaupt in Gefühlen liegt, aus denen es fließt und die aus ihm fließen, so gründet sich der Aufstieg von niederer und primitiver Kunst zu ihrer Reinheit und Höhe auf den Uebergang des unmittelbaren subjektiven Gefühles zu jenem objektiven, das den gleichen Jnhalt aus der Jmpulsivität und Zugespitztheit jenes in Ruhe und breitere Giltigkeit überführt. Erotische Erregungen mögen unsere Aeußerungen zuerst zu Melodien gestaltet haben, aus kriegerischen Affekten mag die erste Rhythmisirung des Schrittes, aus religiösen die erste Erhebung und Stilisirung der Rede gequollen sein, aus den starken Eindrücken der Dinge die bildnerischen Versuche, in denen man gleichsam Herr über diese wurde, ihre Formen sich unterwarf. Und nun auf der anderen Seite: je unkultivirter der Hörer und Beschauer ist, desto unmittelbarere, sozusagen materiellere Affekte ruft das Kunstwerk in ihm hervor: der dargestellte Vorgang erregt ihn in genau der selben Weise, wie der wirkliche ihn erregen würde, sein Jnteresse gilt dem Jnhalt, nicht der Kunstform des Werkes, weil eben sein Jnhalt ja auch in der Wirklichkeit zu finden ist und die an diese geknüpften Gefühle unmittelbar erleben läßt. Jn der Musik fesselt ihn fast ausschließlich die Melodie, weil diese den subjektiven Stimmungsgehalt am Deutlichsten und Direktesten zum Ausdruck und Eindruck bringt. So unverächtlich nun alles Dies ist, da solches unmittelbare, die ganze Subjektivität ergreifende Fühlen das Kräftereservoir auch aller späteren Gestaltungen bleibt, so liegt doch das Wesen der Kunst als solcher, Das, was die Kunst zur Kunst macht, in der Entwickelung von jenem hinweg: in der Entwickelung gleichsam vom subjektiven Jch zum objektiven, zu jener Schicht unseres Fühlens, in der es die geheimnißvolle Gewähr trägt, über die Zufälligkeit der momentanen Erregung hinaus zu gelten, ja, überhaupt einer Ordnung jenseits des nur persönlichen Jch anzugehören. Die Herausbildung solchen Fühlens wird sich am Ehesten an die Produktion und Rezeption innerhalb solcher Künste knüpfen, die in der festen äußeren Gegebenheit ihres Materials dem Jch eine Stütze bei der Objektivirung seiner tiefsten Jnhalte gewähren: also bei den Künsten der Sichtbarkeit. Am Tiefsten

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[387/0003] ist, doch ihren Jnhalt auch in dieser Form entfaltet, „wie aus der Ferne“ und als fühlte sie ein Jch, das über dem persönlichen ist, wenngleich es doch in ihm ist, – dieser Widerspruch ist dennoch eine psychologische Wirklichkeit; gerade in der tiefsten Schicht des Jch fühlen wir gewisse Gefühle so, als ob nicht wir sie fühlen, sondern als wäre das Jch nur das Sprachrohr einer viel breiteren Macht oder Nothwendigkeit. Auf dieser zweiten Form des Fühlens ruht alle Kunst höheren Sinnes. Die ursprüngliche Leidenschaft des Gefühles, das Nur-Persönliche seiner Betonung, die ausschließende Giltigkeit für das eine Subjekt, muß es im Schaffenden wie im Genießenden des Kunstwerkes verlieren. Denn so sicher dessen Sinn und Recht überhaupt in Gefühlen liegt, aus denen es fließt und die aus ihm fließen, so gründet sich der Aufstieg von niederer und primitiver Kunst zu ihrer Reinheit und Höhe auf den Uebergang des unmittelbaren subjektiven Gefühles zu jenem objektiven, das den gleichen Jnhalt aus der Jmpulsivität und Zugespitztheit jenes in Ruhe und breitere Giltigkeit überführt. Erotische Erregungen mögen unsere Aeußerungen zuerst zu Melodien gestaltet haben, aus kriegerischen Affekten mag die erste Rhythmisirung des Schrittes, aus religiösen die erste Erhebung und Stilisirung der Rede gequollen sein, aus den starken Eindrücken der Dinge die bildnerischen Versuche, in denen man gleichsam Herr über diese wurde, ihre Formen sich unterwarf. Und nun auf der anderen Seite: je unkultivirter der Hörer und Beschauer ist, desto unmittelbarere, sozusagen materiellere Affekte ruft das Kunstwerk in ihm hervor: der dargestellte Vorgang erregt ihn in genau der selben Weise, wie der wirkliche ihn erregen würde, sein Jnteresse gilt dem Jnhalt, nicht der Kunstform des Werkes, weil eben sein Jnhalt ja auch in der Wirklichkeit zu finden ist und die an diese geknüpften Gefühle unmittelbar erleben läßt. Jn der Musik fesselt ihn fast ausschließlich die Melodie, weil diese den subjektiven Stimmungsgehalt am Deutlichsten und Direktesten zum Ausdruck und Eindruck bringt. So unverächtlich nun alles Dies ist, da solches unmittelbare, die ganze Subjektivität ergreifende Fühlen das Kräftereservoir auch aller späteren Gestaltungen bleibt, so liegt doch das Wesen der Kunst als solcher, Das, was die Kunst zur Kunst macht, in der Entwickelung von jenem hinweg: in der Entwickelung gleichsam vom subjektiven Jch zum objektiven, zu jener Schicht unseres Fühlens, in der es die geheimnißvolle Gewähr trägt, über die Zufälligkeit der momentanen Erregung hinaus zu gelten, ja, überhaupt einer Ordnung jenseits des nur persönlichen Jch anzugehören. Die Herausbildung solchen Fühlens wird sich am Ehesten an die Produktion und Rezeption innerhalb solcher Künste knüpfen, die in der festen äußeren Gegebenheit ihres Materials dem Jch eine Stütze bei der Objektivirung seiner tiefsten Jnhalte gewähren: also bei den Künsten der Sichtbarkeit. Am Tiefsten

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Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-12-08T11:03:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-12-08T11:03:09Z)

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Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396, hier S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898/3>, abgerufen am 03.12.2024.