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Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396.

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Jch mit all seinen Ursprünglichkeiten eingeschlossen, sich gleichsam erst ihr Gefolge bestimmt. Da handelt es sich nun freilich nicht mehr um Erlösung von der Noth des Daseins, wenigstens nicht in dem Sinne, wie eine Kunst, die sich den unmittelbaren Gefühlserregungen zärtlicher anschmiegt, es vermag. Diese hier würde den Anspruch, die subjektiven Leiden und Unzulänglichkeiten des Lebens zu versöhnen, so zurückweisen wie ein edler Wein den Anspruch, den Durst zu löschen. Weil sie nicht aus den Leidenschaften geboren ist, wie die Kunst Michelangelos und Beethovens, wirkt sie auch auf sie nicht so vertiefend und dadurch erlösend zurück; sondern wie Giorgione und Bach steht sie von vorn herein im Hellen; und ihr Befreitsein und Befreien vom Dunkel ist nicht ein Aufstreben aus den heißen Tiefen erlösungbedürftiger Leidenschaft, sondern ein Jenseits ihrer.

Damit ist freilich kein Prinzip in die Lyrik eingeführt, das vorher unerhört gewesen wäre, sondern nur das von je her in ihr wirksame Kunstmoment dem Naturmoment gegenüber zu unbedingterer Reinheit und Herrschaft geführt; womit jener kritische Punkt so vieler Entwickelungen erreicht ist, dem man nicht ansehen kann, sondern der erst durch seine Progenitur zu erweisen hat, ob er nur der Abschluß einer alten Reihe oder der Beginn einer neuen ist. Auch ist weder <die> Produktion Stefan Georges von Nachklängen jener subjektivistisch gefühlsmäßigen Dichtweise frei, noch ist überhaupt meine Deutung des Lebensprinzips der Lyrik Georges durch das Anführen von Einzelheiten zu belegen, so wenig wie der innerste Rhythmus eines Menschen, die Jdee, zu deren Verwirklichung er allein bestimmt ist, von irgend einem einzelnen Thun vollständig umschrieben wird. Die Kraft vielmehr, die das Ganze trägt, kann auch nur aus dem Ganzen unzweideutig hervorleuchten.

II.

Was bisher über die Dichtung Stefan Georges ausgemacht wurde und ihre subjektive Seite, die psychischen Energien ihrer Produktion und ihres Genossenwerdens, betraf, läßt sich aus ihrer Beschaffenheit auch in objektiver Wendung ablesen. Der Naturalismus hatte sich auf der pantheistischen Empfindung aufgebaut, daß der Sinn und die Bedeutsamkeit der Welt jedem beliebigen Ausschnitt ihrer gleichmäßig innewohne; das bloße Herausheben eines solchen, indem man ihn in die äußerlichen Grenzen einer Kunstform versetzte und gegen sein Vorher, Nachher und Daneben isolirte, schien so der Forderung der Dinge an das Kunstwerk, ihrem Werth und Geist die Zunge zu lösen, schon zu entsprechen. Nicht daß die Kunst ein Bild des Lebens sei, sondern ein Bild des Lebens, war dem Naturalismus ihre Seele. Wenn nun der Lyrik Georges selbst das Gefühlsleben und seine zartesten und intimsten Jnhalte in unmittelbarem Ausdruck noch nicht die Kunst ausmachen, sondern

Jch mit all seinen Ursprünglichkeiten eingeschlossen, sich gleichsam erst ihr Gefolge bestimmt. Da handelt es sich nun freilich nicht mehr um Erlösung von der Noth des Daseins, wenigstens nicht in dem Sinne, wie eine Kunst, die sich den unmittelbaren Gefühlserregungen zärtlicher anschmiegt, es vermag. Diese hier würde den Anspruch, die subjektiven Leiden und Unzulänglichkeiten des Lebens zu versöhnen, so zurückweisen wie ein edler Wein den Anspruch, den Durst zu löschen. Weil sie nicht aus den Leidenschaften geboren ist, wie die Kunst Michelangelos und Beethovens, wirkt sie auch auf sie nicht so vertiefend und dadurch erlösend zurück; sondern wie Giorgione und Bach steht sie von vorn herein im Hellen; und ihr Befreitsein und Befreien vom Dunkel ist nicht ein Aufstreben aus den heißen Tiefen erlösungbedürftiger Leidenschaft, sondern ein Jenseits ihrer.

Damit ist freilich kein Prinzip in die Lyrik eingeführt, das vorher unerhört gewesen wäre, sondern nur das von je her in ihr wirksame Kunstmoment dem Naturmoment gegenüber zu unbedingterer Reinheit und Herrschaft geführt; womit jener kritische Punkt so vieler Entwickelungen erreicht ist, dem man nicht ansehen kann, sondern der erst durch seine Progenitur zu erweisen hat, ob er nur der Abschluß einer alten Reihe oder der Beginn einer neuen ist. Auch ist weder <die> Produktion Stefan Georges von Nachklängen jener subjektivistisch gefühlsmäßigen Dichtweise frei, noch ist überhaupt meine Deutung des Lebensprinzips der Lyrik Georges durch das Anführen von Einzelheiten zu belegen, so wenig wie der innerste Rhythmus eines Menschen, die Jdee, zu deren Verwirklichung er allein bestimmt ist, von irgend einem einzelnen Thun vollständig umschrieben wird. Die Kraft vielmehr, die das Ganze trägt, kann auch nur aus dem Ganzen unzweideutig hervorleuchten.

II.

Was bisher über die Dichtung Stefan Georges ausgemacht wurde und ihre subjektive Seite, die psychischen Energien ihrer Produktion und ihres Genossenwerdens, betraf, läßt sich aus ihrer Beschaffenheit auch in objektiver Wendung ablesen. Der Naturalismus hatte sich auf der pantheistischen Empfindung aufgebaut, daß der Sinn und die Bedeutsamkeit der Welt jedem beliebigen Ausschnitt ihrer gleichmäßig innewohne; das bloße Herausheben eines solchen, indem man ihn in die äußerlichen Grenzen einer Kunstform versetzte und gegen sein Vorher, Nachher und Daneben isolirte, schien so der Forderung der Dinge an das Kunstwerk, ihrem Werth und Geist die Zunge zu lösen, schon zu entsprechen. Nicht daß die Kunst ein Bild des Lebens sei, sondern ein Bild des Lebens, war dem Naturalismus ihre Seele. Wenn nun der Lyrik Georges selbst das Gefühlsleben und seine zartesten und intimsten Jnhalte in unmittelbarem Ausdruck noch nicht die Kunst ausmachen, sondern

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[391/0007] Jch mit all seinen Ursprünglichkeiten eingeschlossen, sich gleichsam erst ihr Gefolge bestimmt. Da handelt es sich nun freilich nicht mehr um Erlösung von der Noth des Daseins, wenigstens nicht in dem Sinne, wie eine Kunst, die sich den unmittelbaren Gefühlserregungen zärtlicher anschmiegt, es vermag. Diese hier würde den Anspruch, die subjektiven Leiden und Unzulänglichkeiten des Lebens zu versöhnen, so zurückweisen wie ein edler Wein den Anspruch, den Durst zu löschen. Weil sie nicht aus den Leidenschaften geboren ist, wie die Kunst Michelangelos und Beethovens, wirkt sie auch auf sie nicht so vertiefend und dadurch erlösend zurück; sondern wie Giorgione und Bach steht sie von vorn herein im Hellen; und ihr Befreitsein und Befreien vom Dunkel ist nicht ein Aufstreben aus den heißen Tiefen erlösungbedürftiger Leidenschaft, sondern ein Jenseits ihrer. Damit ist freilich kein Prinzip in die Lyrik eingeführt, das vorher unerhört gewesen wäre, sondern nur das von je her in ihr wirksame Kunstmoment dem Naturmoment gegenüber zu unbedingterer Reinheit und Herrschaft geführt; womit jener kritische Punkt so vieler Entwickelungen erreicht ist, dem man nicht ansehen kann, sondern der erst durch seine Progenitur zu erweisen hat, ob er nur der Abschluß einer alten Reihe oder der Beginn einer neuen ist. Auch ist weder <die> Produktion Stefan Georges von Nachklängen jener subjektivistisch gefühlsmäßigen Dichtweise frei, noch ist überhaupt meine Deutung des Lebensprinzips der Lyrik Georges durch das Anführen von Einzelheiten zu belegen, so wenig wie der innerste Rhythmus eines Menschen, die Jdee, zu deren Verwirklichung er allein bestimmt ist, von irgend einem einzelnen Thun vollständig umschrieben wird. Die Kraft vielmehr, die das Ganze trägt, kann auch nur aus dem Ganzen unzweideutig hervorleuchten. II. Was bisher über die Dichtung Stefan Georges ausgemacht wurde und ihre subjektive Seite, die psychischen Energien ihrer Produktion und ihres Genossenwerdens, betraf, läßt sich aus ihrer Beschaffenheit auch in objektiver Wendung ablesen. Der Naturalismus hatte sich auf der pantheistischen Empfindung aufgebaut, daß der Sinn und die Bedeutsamkeit der Welt jedem beliebigen Ausschnitt ihrer gleichmäßig innewohne; das bloße Herausheben eines solchen, indem man ihn in die äußerlichen Grenzen einer Kunstform versetzte und gegen sein Vorher, Nachher und Daneben isolirte, schien so der Forderung der Dinge an das Kunstwerk, ihrem Werth und Geist die Zunge zu lösen, schon zu entsprechen. Nicht daß die Kunst ein Bild des Lebens sei, sondern ein Bild des Lebens, war dem Naturalismus ihre Seele. Wenn nun der Lyrik Georges selbst das Gefühlsleben und seine zartesten und intimsten Jnhalte in unmittelbarem Ausdruck noch nicht die Kunst ausmachen, sondern

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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-12-08T11:03:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396, hier S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898/7>, abgerufen am 21.11.2024.