Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Studie. In: Neue Deutsche Rundschau (Freie Bühne) 12, 2 (1901), S. 207–215.Farben, Gedanken und Gestalten, Bewegungen und Jdeen wie durch eine sachliche Nothwendigkeit eigen sind, wie Bestimmungen, die sich ihrem Wesen unmittelbar verbinden. Gewiss sind es nur subjektive, innerliche Vorkommnisse, um deren Anknüpfung an äußerliche, sinnliche Gegebenheiten es sich handelt; allein die Thatsache, daß sie sich an sie anknüpfen, wird als objektive Nothwendigkeit empfunden, und zwar als eine, die der Beschaffenheit des Gegebenen selbst anhaftet. Dies ist vielleicht der Sinn der zeitlosen Bedeutung, die wir Kunstwerken zusprechen. Die Zeitlosigkeit oder Ewigkeit des Naturgesetzes besagt doch, daß der Erfolg gewisser Bedingungen sachlich nothwendig ist, ganz gleichgültig gegen den Zeitmoment, in dem sie eintreten, und ob und wie oft sie überhaupt eintreten; die Zeitlosigkeit einer Jdee hat den Sinn, daß ihre logische oder ethische Bedeutung ihr selbst einwohnt, wir mögen sie in uns nachbilden oder nicht - aber wenn wir diese Jdee denken wollen, jetzt oder in tausend Jahren, so kann sie immer nur diese Bedeutung haben; und so überzeugt uns die Kunst, daß jedem ihrer Elemente gewisse subjektive Bewegungen - wir nennen sie, vielleicht nicht durchweg zutreffend, Gefühle - aus der eigenen Beschaffenheit eben jener Elemente heraus zugehören. Wir mögen sie in uns seelisch vollkommen oder unvollkommen, heute oder morgen oder nie realisiren, wenn wir aber diese Ausdrücke, Bilder, Formen so empfinden wollen, wie es ihnen entspricht, so können wir es nur mit diesen und keinen anderen Gefühlsvorgängen. Diese objektiven Valeurs aller Elemente des lyrischen Gedichtes zur Alleinherrschaft zu bringen, uns fühlen zu machen, welche innere Nothwendigkeit psychischer Reaktion jedes Wort, jeden Gedanken, jedes Gleichniß wie ein Astralleib umgiebt - das ist George nun am vollendetsten in seiner letzten Veröffentlichung ("der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod, mit einem Vorspiel") gelungen. Das "Vorspiel", das mir als der Gipfel seiner bisherigen Leistungen erscheint, *) schildert in vierundzwanzig Gedichten, wie das höhere Leben, die immer weiter greifende Zugehörigkeit zu den idealen Mächten uns von der verworrenen Wirklichkeit erlöst. Unter dem Bilde des "Engels", der ihn durch das Dasein führt, erscheint ihm die ganz allgemeine Form unserer höchsten Werthpotenzen, die der Dichter als seine Muse, der Forscher als die Wahrheit, der handelnde Mensch als das praktische Jdeal bezeichnen mag; dies ist für jeden die letzte Jnstanz, deren Einheit uns ebenso den Ueberschwang alles Glückes, wie die Unerbittlichkeit schmerzlichster Pflichten bedeutet; die uns von der darunter gelegenen Welt ebenso trennt, wie sie doch deren gerade für uns bestimmte Werthe kenntlich macht und in sich sublimirt; die uns von den Forderungen wie von den Genüssen des flacheren Lebens scheidet, um den Preis, allein vor ihr und uns selbst verantwortlich zu sein. Der Engel ist der Sinn, den das Leben in sich, und zugleich die Norm, die es über sich hat. Nach Goethe weiß ich keine Dichtung, in der ein so völlig Allgemeines, durch keine Einzelbestimmung Festzulegendes, wie der Engel, so künstlerisch anschaulich, in der das Ungreifbare doch so fühlbar gemacht wäre. Der ungeheure Ernst seines Problems würde nun mit dem sinnlichen Reize seiner Form nicht zusammengehen, wenn nicht jedes Wort und jedes sonstige Element mit jener, ihm allein zukommenden, als nothwendig empfundenen Bedeutung wirkte, wenn das Kunstwerk nicht aus diesen inneren, jede Bereicherung oder Abzug von außen her ablehnenden Bedeutungen zusammenwüchse. Die Verse ziehen eine unvergleich- *) Jch lehne ausdrücklich ab, mit alledem eine Kritik der Georgeschen Dichtung zu geben. Mich geht hier nur an, was an dieser die Exemplifizirung gewisser kunstphilosophischer Gedanken ist - ganz dahingestellt lassend, ob das Werk damit, quantitativ und qualitativ, vollständig bezeichnet wird oder nicht.
Farben, Gedanken und Gestalten, Bewegungen und Jdeen wie durch eine sachliche Nothwendigkeit eigen sind, wie Bestimmungen, die sich ihrem Wesen unmittelbar verbinden. Gewiss sind es nur subjektive, innerliche Vorkommnisse, um deren Anknüpfung an äußerliche, sinnliche Gegebenheiten es sich handelt; allein die Thatsache, daß sie sich an sie anknüpfen, wird als objektive Nothwendigkeit empfunden, und zwar als eine, die der Beschaffenheit des Gegebenen selbst anhaftet. Dies ist vielleicht der Sinn der zeitlosen Bedeutung, die wir Kunstwerken zusprechen. Die Zeitlosigkeit oder Ewigkeit des Naturgesetzes besagt doch, daß der Erfolg gewisser Bedingungen sachlich nothwendig ist, ganz gleichgültig gegen den Zeitmoment, in dem sie eintreten, und ob und wie oft sie überhaupt eintreten; die Zeitlosigkeit einer Jdee hat den Sinn, daß ihre logische oder ethische Bedeutung ihr selbst einwohnt, wir mögen sie in uns nachbilden oder nicht – aber wenn wir diese Jdee denken wollen, jetzt oder in tausend Jahren, so kann sie immer nur diese Bedeutung haben; und so überzeugt uns die Kunst, daß jedem ihrer Elemente gewisse subjektive Bewegungen – wir nennen sie, vielleicht nicht durchweg zutreffend, Gefühle – aus der eigenen Beschaffenheit eben jener Elemente heraus zugehören. Wir mögen sie in uns seelisch vollkommen oder unvollkommen, heute oder morgen oder nie realisiren, wenn wir aber diese Ausdrücke, Bilder, Formen so empfinden wollen, wie es ihnen entspricht, so können wir es nur mit diesen und keinen anderen Gefühlsvorgängen. Diese objektiven Valeurs aller Elemente des lyrischen Gedichtes zur Alleinherrschaft zu bringen, uns fühlen zu machen, welche innere Nothwendigkeit psychischer Reaktion jedes Wort, jeden Gedanken, jedes Gleichniß wie ein Astralleib umgiebt – das ist George nun am vollendetsten in seiner letzten Veröffentlichung („der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod, mit einem Vorspiel“) gelungen. Das „Vorspiel“, das mir als der Gipfel seiner bisherigen Leistungen erscheint, *) schildert in vierundzwanzig Gedichten, wie das höhere Leben, die immer weiter greifende Zugehörigkeit zu den idealen Mächten uns von der verworrenen Wirklichkeit erlöst. Unter dem Bilde des „Engels“, der ihn durch das Dasein führt, erscheint ihm die ganz allgemeine Form unserer höchsten Werthpotenzen, die der Dichter als seine Muse, der Forscher als die Wahrheit, der handelnde Mensch als das praktische Jdeal bezeichnen mag; dies ist für jeden die letzte Jnstanz, deren Einheit uns ebenso den Ueberschwang alles Glückes, wie die Unerbittlichkeit schmerzlichster Pflichten bedeutet; die uns von der darunter gelegenen Welt ebenso trennt, wie sie doch deren gerade für uns bestimmte Werthe kenntlich macht und in sich sublimirt; die uns von den Forderungen wie von den Genüssen des flacheren Lebens scheidet, um den Preis, allein vor ihr und uns selbst verantwortlich zu sein. Der Engel ist der Sinn, den das Leben in sich, und zugleich die Norm, die es über sich hat. Nach Goethe weiß ich keine Dichtung, in der ein so völlig Allgemeines, durch keine Einzelbestimmung Festzulegendes, wie der Engel, so künstlerisch anschaulich, in der das Ungreifbare doch so fühlbar gemacht wäre. Der ungeheure Ernst seines Problems würde nun mit dem sinnlichen Reize seiner Form nicht zusammengehen, wenn nicht jedes Wort und jedes sonstige Element mit jener, ihm allein zukommenden, als nothwendig empfundenen Bedeutung wirkte, wenn das Kunstwerk nicht aus diesen inneren, jede Bereicherung oder Abzug von außen her ablehnenden Bedeutungen zusammenwüchse. Die Verse ziehen eine unvergleich- *) Jch lehne ausdrücklich ab, mit alledem eine Kritik der Georgeschen Dichtung zu geben. Mich geht hier nur an, was an dieser die Exemplifizirung gewisser kunstphilosophischer Gedanken ist – ganz dahingestellt lassend, ob das Werk damit, quantitativ und qualitativ, vollständig bezeichnet wird oder nicht.
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Farben, Gedanken und Gestalten, Bewegungen und Jdeen wie durch eine sachliche Nothwendigkeit eigen sind, wie Bestimmungen, die sich ihrem Wesen unmittelbar verbinden. Gewiss sind es nur subjektive, innerliche Vorkommnisse, um deren Anknüpfung an äußerliche, sinnliche Gegebenheiten es sich handelt; allein die Thatsache, daß sie sich an sie anknüpfen, wird als objektive Nothwendigkeit empfunden, und zwar als eine, die der Beschaffenheit des Gegebenen selbst anhaftet. Dies ist vielleicht der Sinn der zeitlosen Bedeutung, die wir Kunstwerken zusprechen. Die Zeitlosigkeit oder Ewigkeit des Naturgesetzes besagt doch, daß der Erfolg gewisser Bedingungen sachlich nothwendig ist, ganz gleichgültig gegen den Zeitmoment, in dem sie eintreten, und ob und wie oft sie überhaupt eintreten; die Zeitlosigkeit einer Jdee hat den Sinn, daß ihre logische oder ethische Bedeutung ihr selbst einwohnt, wir mögen sie in uns nachbilden oder nicht – aber wenn wir diese Jdee denken wollen, jetzt oder in tausend Jahren, so kann sie immer nur diese Bedeutung haben; und so überzeugt uns die Kunst, daß jedem ihrer Elemente gewisse subjektive Bewegungen – wir nennen sie, vielleicht nicht durchweg zutreffend, Gefühle – aus der eigenen Beschaffenheit eben jener Elemente heraus zugehören. Wir mögen sie in uns seelisch vollkommen oder unvollkommen, heute oder morgen oder nie realisiren, wenn wir aber diese Ausdrücke, Bilder, Formen so empfinden wollen, wie es ihnen entspricht, so können wir es nur mit diesen und keinen anderen Gefühlsvorgängen.
Diese objektiven Valeurs aller Elemente des lyrischen Gedichtes zur Alleinherrschaft zu bringen, uns fühlen zu machen, welche innere Nothwendigkeit psychischer Reaktion jedes Wort, jeden Gedanken, jedes Gleichniß wie ein Astralleib umgiebt – das ist George nun am vollendetsten in seiner letzten Veröffentlichung („der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod, mit einem Vorspiel“) gelungen. Das „Vorspiel“, das mir als der Gipfel seiner bisherigen Leistungen erscheint, *) schildert in vierundzwanzig Gedichten, wie das höhere Leben, die immer weiter greifende Zugehörigkeit zu den idealen Mächten uns von der verworrenen Wirklichkeit erlöst. Unter dem Bilde des „Engels“, der ihn durch das Dasein führt, erscheint ihm die ganz allgemeine Form unserer höchsten Werthpotenzen, die der Dichter als seine Muse, der Forscher als die Wahrheit, der handelnde Mensch als das praktische Jdeal bezeichnen mag; dies ist für jeden die letzte Jnstanz, deren Einheit uns ebenso den Ueberschwang alles Glückes, wie die Unerbittlichkeit schmerzlichster Pflichten bedeutet; die uns von der darunter gelegenen Welt ebenso trennt, wie sie doch deren gerade für uns bestimmte Werthe kenntlich macht und in sich sublimirt; die uns von den Forderungen wie von den Genüssen des flacheren Lebens scheidet, um den Preis, allein vor ihr und uns selbst verantwortlich zu sein. Der Engel ist der Sinn, den das Leben in sich, und zugleich die Norm, die es über sich hat. Nach Goethe weiß ich keine Dichtung, in der ein so völlig Allgemeines, durch keine Einzelbestimmung Festzulegendes, wie der Engel, so künstlerisch anschaulich, in der das Ungreifbare doch so fühlbar gemacht wäre. Der ungeheure Ernst seines Problems würde nun mit dem sinnlichen Reize seiner Form nicht zusammengehen, wenn nicht jedes Wort und jedes sonstige Element mit jener, ihm allein zukommenden, als nothwendig empfundenen Bedeutung wirkte, wenn das Kunstwerk nicht aus diesen inneren, jede Bereicherung oder Abzug von außen her ablehnenden Bedeutungen zusammenwüchse. Die Verse ziehen eine unvergleich-
*) Jch lehne ausdrücklich ab, mit alledem eine Kritik der Georgeschen Dichtung zu geben. Mich geht hier nur an, was an dieser die Exemplifizirung gewisser kunstphilosophischer Gedanken ist – ganz dahingestellt lassend, ob das Werk damit, quantitativ und qualitativ, vollständig bezeichnet wird oder nicht.
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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
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