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Siniscalchi, Liborio: Sacramentalisches Abendmahl. Übers. v. Peter Obladen. Costanz/Ulm, 1752.

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Von dem H. Altars-Sacrament.
sich vor einem halb zerbrochenen Altar nieder,
und konnte fast nicht aufhören, jene Stein zu
küssen, auf welchen diß heilige Sacrament
ausgewürckt worden.

Da sie sich eines Tags in diesem Tempel be-
fande, kame jenseits aus der Insul Candia ein
edler Jäger, so einem Hirschen nachjagte. Er
kame ohngefehr zu einer Gruben, so mit Was-
ser angefüllet ware, und fande daselbst einige
gewässerte Bohnen. Daraus schlosse er, es
müsse da ein Einsiedler wohnen; Er wirfft al-
so die Augen hin und her. Endlichen siht er,
daß sich was hinter dem Altar bewege. Er
wolte hingehen, hörte aber diese Wort: Halte
still; dann ich bin eine übel bedeckte Weibs-
Persohn; wilst du was von mir wissen/ so
wirffe mir zuvor was von deinen Kleidern
zu, und ich will dir alles sagen.
Der Jäger
erschracke, warffe ihr sein Ober-Kleid zu; sie
kleidete sich ehrbar an, und tratte hervor. Das
Angesicht ware bleich, eingefallen, und fast ohne
Fleisch; also zwar, daß sie einem lebendigen
Bus-Bild gleich sahe. Als sie der Jäger er-
sehen, warffe er sich ihr zu Füssen, und begehr-
te den heiligen Seegen. Sie bettete was we-
niges, und erzehlte ihme ihren gantzen Lebens-
Lauff, und bittete ihne inständigst, er möchte
ihr doch ein anders mahl, wenn er wieder auf
die Jagd gienge, in einem weissen Tüchlein ei-
ne heilige Hostien überbringen; massen sie oh-
ne selbe nicht mehr leben könnte. Er verspache

es

Von dem H. Altars-Sacrament.
ſich vor einem halb zerbrochenen Altar nieder,
und konnte faſt nicht aufhören, jene Stein zu
küſſen, auf welchen diß heilige Sacrament
ausgewürckt worden.

Da ſie ſich eines Tags in dieſem Tempel be-
fande, kame jenſeits aus der Inſul Candia ein
edler Jäger, ſo einem Hirſchen nachjagte. Er
kame ohngefehr zu einer Gruben, ſo mit Waſ-
ſer angefüllet ware, und fande daſelbſt einige
gewäſſerte Bohnen. Daraus ſchloſſe er, es
müſſe da ein Einſiedler wohnen; Er wirfft al-
ſo die Augen hin und her. Endlichen ſiht er,
daß ſich was hinter dem Altar bewege. Er
wolte hingehen, hörte aber dieſe Wort: Halte
ſtill; dann ich bin eine übel bedeckte Weibs-
Perſohn; wilſt du was von mir wiſſen/ ſo
wirffe mir zuvor was von deinen Kleidern
zu, und ich will dir alles ſagen.
Der Jäger
erſchracke, warffe ihr ſein Ober-Kleid zu; ſie
kleidete ſich ehrbar an, und tratte hervor. Das
Angeſicht ware bleich, eingefallen, und faſt ohne
Fleiſch; alſo zwar, daß ſie einem lebendigen
Bus-Bild gleich ſahe. Als ſie der Jäger er-
ſehen, warffe er ſich ihr zu Füſſen, und begehr-
te den heiligen Seegen. Sie bettete was we-
niges, und erzehlte ihme ihren gantzen Lebens-
Lauff, und bittete ihne inſtändigſt, er möchte
ihr doch ein anders mahl, wenn er wieder auf
die Jagd gienge, in einem weiſſen Tüchlein ei-
ne heilige Hoſtien überbringen; maſſen ſie oh-
ne ſelbe nicht mehr leben könnte. Er verſpache

es
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[63/0100] Von dem H. Altars-Sacrament. ſich vor einem halb zerbrochenen Altar nieder, und konnte faſt nicht aufhören, jene Stein zu küſſen, auf welchen diß heilige Sacrament ausgewürckt worden. Da ſie ſich eines Tags in dieſem Tempel be- fande, kame jenſeits aus der Inſul Candia ein edler Jäger, ſo einem Hirſchen nachjagte. Er kame ohngefehr zu einer Gruben, ſo mit Waſ- ſer angefüllet ware, und fande daſelbſt einige gewäſſerte Bohnen. Daraus ſchloſſe er, es müſſe da ein Einſiedler wohnen; Er wirfft al- ſo die Augen hin und her. Endlichen ſiht er, daß ſich was hinter dem Altar bewege. Er wolte hingehen, hörte aber dieſe Wort: Halte ſtill; dann ich bin eine übel bedeckte Weibs- Perſohn; wilſt du was von mir wiſſen/ ſo wirffe mir zuvor was von deinen Kleidern zu, und ich will dir alles ſagen. Der Jäger erſchracke, warffe ihr ſein Ober-Kleid zu; ſie kleidete ſich ehrbar an, und tratte hervor. Das Angeſicht ware bleich, eingefallen, und faſt ohne Fleiſch; alſo zwar, daß ſie einem lebendigen Bus-Bild gleich ſahe. Als ſie der Jäger er- ſehen, warffe er ſich ihr zu Füſſen, und begehr- te den heiligen Seegen. Sie bettete was we- niges, und erzehlte ihme ihren gantzen Lebens- Lauff, und bittete ihne inſtändigſt, er möchte ihr doch ein anders mahl, wenn er wieder auf die Jagd gienge, in einem weiſſen Tüchlein ei- ne heilige Hoſtien überbringen; maſſen ſie oh- ne ſelbe nicht mehr leben könnte. Er verſpache es

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Zitationshilfe: Siniscalchi, Liborio: Sacramentalisches Abendmahl. Übers. v. Peter Obladen. Costanz/Ulm, 1752, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siniscalchi_abendmahl_1752/100>, abgerufen am 24.11.2024.