Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das dritte Capitel. Die siebende Frage. Ob uns dieses entschuldige/ wann wir keinen hunger und durst nach solcher seelen-speise fühlen? WJr singen in der christlichen kirchen: Solche grosse gnad und barm- sach
Das dritte Capitel. Die ſiebende Frage. Ob uns dieſes entſchuldige/ wann wir keinen hunger und durſt nach ſolcher ſeelen-ſpeiſe fuͤhlen? WJr ſingen in der chriſtlichen kirchen: Solche groſſe gnad und barm- ſach
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Das dritte Capitel.
Die ſiebende Frage.
Ob uns dieſes entſchuldige/ wann wir keinen hunger und durſt
nach ſolcher ſeelen-ſpeiſe fuͤhlen?
WJr ſingen in der chriſtlichen kirchen: Solche groſſe gnad und barm-
hertzigkeit/ ſucht ein hertz in groſſer arbeit; iſt dir wohl/ ſo bleib da-
von/ daß du nicht kriegeſt boͤſen lohn. Daraus will in mißdeutung der
worte eine neue entſchuldigung genommen werden/ wo man ſich wol befinde/
keine ſuͤnde habe/ die uns truͤcken/ und alſo wir keinen hunger und durſt nach
dieſem himmliſchen labſaal und artzeney fuͤhlen/ ſo koͤnne man wol des heili-
gen Abendmahls muͤßig gehen. Jſt aber eine nicht beſſere entſchuldigung als
die uͤbrigen; welches wir alſo weiſen wollen. Es findet ſich bey dem leibli-
chen hunger und durſt/ daß man 1. krafft bedoͤrffe: wo nemlich magen und
glieder den gehabten nahrungs-ſafft verzehrt/ und alſo neuen bedoͤrffen. 2.
Daß man auch ſolche duͤrfftigkeit fuͤhle/ und wiſſe 3. daß man deßwegen be-
gehre der noth der natur zu huͤlffe zu kommen. 4. Wiſſe/ was dazu/ den hun-
ger und durſt zu ſtillen gehoͤre/ und 5. es zu ſich nehme. Wo wir dann von
der geiſtlichen ſpeiſe und tranck reden/ muͤſſen wir ſehen/ wo es eigentlich bey
dieſer entſchuldigung fehle. An dem letzten ſiehet man ohnedas/ daß es feh-
le/ indem ſolche leute die ſpeiß und tranck nicht zu ſich nehmen/ aber die ur-
ſach deſſen iſt noch zu ſuchen. An dem erſten kans nicht mangeln: die duͤrfftig-
keit geiſtlicher artzney und ſpeiſe iſt allezeit bey uns/ denn die ſuͤnde und ange-
bohrne ſchwachheit iſt allezeit bey uns. Findeſtu alſo nicht irgend etwas von
wiꝛcklichen ſuͤnden/ das unmuͤglich iſt; ſo gehe nur auf die eꝛbliche/ da wiꝛſtu ei-
ne ſolche verderbung deiner natur finden/ daß du es fuͤr kranckheit gnug haltẽ
muſt/ dagegen du geiſtliche artzeney beduͤrffeſt: ja ſolche erkaͤntnuͤß des erb-
ſchadens wird dir nachmal auch zeigen/ daß in deinem leben vieles wirckliche
ſuͤnden ſeynd/ ſo du vorher nicht dafuͤr gehalten. Weil es dann hie an der
ſache ſelbs/ und an der duͤrfftigkeit nicht manglet/ ſo bleibet noch uͤbrig/ daß
es an den 3. andern ſtuͤcken manglen muͤſſe/ worinnen er keinen hunger und
durſt bey ſich ſpuͤret; nemlich/ entweder erkennet er ſeine nothdurfft nicht/ o-
der er begehret derſelben nicht loßzukommen/ und ſich helffen zu laſſen; oder
er erkennet die vortrefligkeit dieſer heiligen ſpeiſe nicht/ daß ſie diejenige ſeye/
durch welche ihm geholffen werde: keine andere urſache wird ſich finden/ aus
deren es an ſolchem hunger manglen koͤnte. Nun ſind aber alle ſolche urſa-
chen an ſich ſelbs boͤſe/ und ſtreiten wider das geſamte Chriſtenthum. Dann
die vortrefligkeit dieſer himmliſchen ſpeiſe nicht erkennen/ das heiſt ſelbs den
artickel von dem H. Abendmahl und ſeiner frucht in zweiffel ziehen; waͤre al-
ſo daſſelbe ein ketzeriſcher irrthum/ und ein ſolcher menſch/ der aus ſolcher ur-
ſach
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