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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
ihn zu verlassen. Nehmet aber in der furcht des HErrn die gedult/ der sache
besser nachzudencken/ so hoffe ich/ solle euch mehr und mehr klahr werden/
daß ihr die rechte gestalt davon nicht recht eingenommen habet; hingegen daß
ihr ohne verletzung eures gewissens euch demselben wohl bequemen könnet.
Brauchen ihn andre übel/ so brauchet ihn recht. Jhr werdet ja wollen von
euch glauben machen/ daß ihr täglich GOTT beichtet/ seine vergebung bit-
tet und besserung versprechet; warum beschwehrete ich mich dann solche be-
käntnüß zu GOTT auch vor seinem diener zu thun/ und was ihr auch sonst
aus GOttes wort zur versicherung eures glaubens euch selbs erinnert/ aus
dessen munde mit glauben anzunehmen. Man fodert ja von keinem ein gewis-
ses formular einer beichte/ das eurem gewissen zuwider wäre/ sondern ist
gnug/ wo ihr euch bußfertig darstellet/ ohne welches ihr ja nie vor GOTT
bestehen könnet. Also kan ich nicht begreiffen/ was ihr in der beicht und ab-
solution zeigen köntet/ das in wahr heit wider ein erleuchtetes gewissen strei-
ten könte.

Heisset es aber: Es ist gleich wol die beicht vor dem H. Abendmahl keine
von GOtt gebotene sache/ sondern weil sie nur eine kirchen-ceremonie, muß
das gewissen nicht damit gebunden werden/ sonst sündiget man/ wo man sich
die von Christo geschenckte freyheit nehmen lässet. Antwort: Man nöthi-
get niemand/ die beicht vor dem H. Abendmahl als eine göttliche einsetzung
zu gebrauchen/ sondern allein als eine solche kirchen-ordnung/ die ihren nutzen
haben kan. Und also darffstu nicht beichten/ als wann ohne die dem Predi-
ger geschehende beicht niemand selig werden könte/ daß sich dein glaube an
diese ordnung selbs binden solte; sondern/ daß dein glaube/ was er zwahr auch
ohne die beicht von GOtt unmittelbar haben kan/ in derjenigen ordnung su-
che/ die die kirche eingeführet hat/ dero die liebe/ als des glaubens erste toch-
ter/ sich willig bequemet. 2. So ist es eine in der Heil. Schrifft sonderlich
Rom. 14. 1. Cor. 8. ausgemachte sache/ was die liebe in den dingen die in
einer freyheit stehen/ von einem Christen erfodere: nemlich/ daß
man dem bruder/ der schwach ist/ zu gefallen/ sich auch seiner frey-
heit begeben müsse/ oder man sündige an CHristo. Es war damal durch
Christum das Levitische gesetz auffgehaben/ und alle Christen in die freyheit
gesetzet/ alle speisen zu essen/ die den Juden verboten waren. Darein konten
sich die aus den Juden bekehrte schwehrlich schicken/ sondern stiessen sich dar-
an/ wann erleuchtete andre Christen von verbotenen speisen assen. Da will
aber Paulus/ ehe die gläubige/ die doch ihre theuer von Christo erworbene
freyheit verstunden/ und hoch hielten/ wolten mit gebrauch ihrer freyheit
den andern brüdern einen anstoß geben/ solten sie sich lieber ihrer freyheit
in dem gebrauch begeben/ und wo sie es nicht thäten/ sagt er/ sie wandelten

nicht

Das dritte Capitel.
ihn zu verlaſſen. Nehmet aber in der furcht des HErrn die gedult/ der ſache
beſſer nachzudencken/ ſo hoffe ich/ ſolle euch mehr und mehr klahr werden/
daß ihr die rechte geſtalt davon nicht recht eingenommen habet; hingegen daß
ihr ohne verletzung eures gewiſſens euch demſelben wohl bequemen koͤnnet.
Brauchen ihn andre uͤbel/ ſo brauchet ihn recht. Jhr werdet ja wollen von
euch glauben machen/ daß ihr taͤglich GOTT beichtet/ ſeine vergebung bit-
tet und beſſerung verſprechet; warum beſchwehrete ich mich dann ſolche be-
kaͤntnuͤß zu GOTT auch vor ſeinem diener zu thun/ und was ihr auch ſonſt
aus GOttes wort zur verſicherung eures glaubens euch ſelbs erinnert/ aus
deſſen munde mit glauben anzunehmen. Man fodert ja von keinem ein gewiſ-
ſes formular einer beichte/ das eurem gewiſſen zuwider waͤre/ ſondern iſt
gnug/ wo ihr euch bußfertig darſtellet/ ohne welches ihr ja nie vor GOTT
beſtehen koͤnnet. Alſo kan ich nicht begreiffen/ was ihr in der beicht und ab-
ſolution zeigen koͤntet/ das in wahr heit wider ein erleuchtetes gewiſſen ſtrei-
ten koͤnte.

Heiſſet es aber: Es iſt gleich wol die beicht vor dem H. Abendmahl keine
von GOtt gebotene ſache/ ſondern weil ſie nur eine kirchen-ceremonie, muß
das gewiſſen nicht damit gebunden werden/ ſonſt ſuͤndiget man/ wo man ſich
die von Chriſto geſchenckte freyheit nehmen laͤſſet. Antwort: Man noͤthi-
get niemand/ die beicht vor dem H. Abendmahl als eine goͤttliche einſetzung
zu gebrauchen/ ſondern allein als eine ſolche kirchen-ordnung/ die ihren nutzen
haben kan. Und alſo darffſtu nicht beichten/ als wann ohne die dem Predi-
ger geſchehende beicht niemand ſelig werden koͤnte/ daß ſich dein glaube an
dieſe ordnung ſelbs binden ſolte; ſondern/ daß dein glaube/ was er zwahr auch
ohne die beicht von GOtt unmittelbar haben kan/ in derjenigen ordnung ſu-
che/ die die kirche eingefuͤhret hat/ dero die liebe/ als des glaubens erſte toch-
ter/ ſich willig bequemet. 2. So iſt es eine in der Heil. Schrifft ſonderlich
Rom. 14. 1. Cor. 8. ausgemachte ſache/ was die liebe in den dingen die in
einer freyheit ſtehen/ von einem Chriſten erfodere: nemlich/ daß
man dem bruder/ der ſchwach iſt/ zu gefallen/ ſich auch ſeiner frey-
heit begeben muͤſſe/ oder man ſuͤndige an CHriſto. Es war damal durch
Chriſtum das Levitiſche geſetz auffgehaben/ und alle Chriſten in die freyheit
geſetzet/ alle ſpeiſen zu eſſen/ die den Juden verboten waren. Darein konten
ſich die aus den Juden bekehrte ſchwehrlich ſchicken/ ſondern ſtieſſen ſich dar-
an/ wann erleuchtete andre Chriſten von verbotenen ſpeiſen aſſen. Da will
aber Paulus/ ehe die glaͤubige/ die doch ihre theuer von Chriſto erworbene
freyheit verſtunden/ und hoch hielten/ wolten mit gebrauch ihrer freyheit
den andern bruͤdern einen anſtoß geben/ ſolten ſie ſich lieber ihrer freyheit
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nicht
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[172/0180] Das dritte Capitel. ihn zu verlaſſen. Nehmet aber in der furcht des HErrn die gedult/ der ſache beſſer nachzudencken/ ſo hoffe ich/ ſolle euch mehr und mehr klahr werden/ daß ihr die rechte geſtalt davon nicht recht eingenommen habet; hingegen daß ihr ohne verletzung eures gewiſſens euch demſelben wohl bequemen koͤnnet. Brauchen ihn andre uͤbel/ ſo brauchet ihn recht. Jhr werdet ja wollen von euch glauben machen/ daß ihr taͤglich GOTT beichtet/ ſeine vergebung bit- tet und beſſerung verſprechet; warum beſchwehrete ich mich dann ſolche be- kaͤntnuͤß zu GOTT auch vor ſeinem diener zu thun/ und was ihr auch ſonſt aus GOttes wort zur verſicherung eures glaubens euch ſelbs erinnert/ aus deſſen munde mit glauben anzunehmen. Man fodert ja von keinem ein gewiſ- ſes formular einer beichte/ das eurem gewiſſen zuwider waͤre/ ſondern iſt gnug/ wo ihr euch bußfertig darſtellet/ ohne welches ihr ja nie vor GOTT beſtehen koͤnnet. Alſo kan ich nicht begreiffen/ was ihr in der beicht und ab- ſolution zeigen koͤntet/ das in wahr heit wider ein erleuchtetes gewiſſen ſtrei- ten koͤnte. Heiſſet es aber: Es iſt gleich wol die beicht vor dem H. Abendmahl keine von GOtt gebotene ſache/ ſondern weil ſie nur eine kirchen-ceremonie, muß das gewiſſen nicht damit gebunden werden/ ſonſt ſuͤndiget man/ wo man ſich die von Chriſto geſchenckte freyheit nehmen laͤſſet. Antwort: Man noͤthi- get niemand/ die beicht vor dem H. Abendmahl als eine goͤttliche einſetzung zu gebrauchen/ ſondern allein als eine ſolche kirchen-ordnung/ die ihren nutzen haben kan. Und alſo darffſtu nicht beichten/ als wann ohne die dem Predi- ger geſchehende beicht niemand ſelig werden koͤnte/ daß ſich dein glaube an dieſe ordnung ſelbs binden ſolte; ſondern/ daß dein glaube/ was er zwahr auch ohne die beicht von GOtt unmittelbar haben kan/ in derjenigen ordnung ſu- che/ die die kirche eingefuͤhret hat/ dero die liebe/ als des glaubens erſte toch- ter/ ſich willig bequemet. 2. So iſt es eine in der Heil. Schrifft ſonderlich Rom. 14. 1. Cor. 8. ausgemachte ſache/ was die liebe in den dingen die in einer freyheit ſtehen/ von einem Chriſten erfodere: nemlich/ daß man dem bruder/ der ſchwach iſt/ zu gefallen/ ſich auch ſeiner frey- heit begeben muͤſſe/ oder man ſuͤndige an CHriſto. Es war damal durch Chriſtum das Levitiſche geſetz auffgehaben/ und alle Chriſten in die freyheit geſetzet/ alle ſpeiſen zu eſſen/ die den Juden verboten waren. Darein konten ſich die aus den Juden bekehrte ſchwehrlich ſchicken/ ſondern ſtieſſen ſich dar- an/ wann erleuchtete andre Chriſten von verbotenen ſpeiſen aſſen. Da will aber Paulus/ ehe die glaͤubige/ die doch ihre theuer von Chriſto erworbene freyheit verſtunden/ und hoch hielten/ wolten mit gebrauch ihrer freyheit den andern bruͤdern einen anſtoß geben/ ſolten ſie ſich lieber ihrer freyheit in dem gebrauch begeben/ und wo ſie es nicht thaͤten/ ſagt er/ ſie wandelten nicht

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/180>, abgerufen am 24.11.2024.