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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.

WAs die überschickte frage von dem gelübde anlangt/ so schicke erstlich
hierbey eine antwort/ die ich von der materie vor diesem an einen
andern guten freund gethan/ daraus meine meinung von dieser sa-
che abzunehmen seyn wird. Auff den Special-Casum aber zu kommen: 1. So
halte dieses votum quaestionis, so viel ich noch sehe oder begreiffen kan/ nicht
wohl und mit gebührender vorsichtigkeit gethan. Denn ich kaum verstehe/
wie ein mensch ohne verletzung seiner gesundheit des tages immerfort nur ein-
mal speisen/ in der woche aber zweymal gantz fasten könte. Daher weiln
wir nicht Herren unsers leibes sind/ sondern derselbe so wol als unsere seele
Christi eigen ist/ deswegen von uns also muß gepfleget werden/ daß er tüch-
tig bleibe zu verrichtung desjenigen/ worzu ihn GOtt verordnet hat/ und die
zu GOttes ehr begirige seele durch und in ihm wircken muß; so stehet uns
nicht frey/ aus einiger ursach/ und also auch nicht per modum voti, demsel-
ben also zuzusetzen/ daß er darnach zu seinen verrichtungen geschwächet/ und
also auch die fertigkeit der seele/ die allezeit von der leibes beschaffenheit et-
was mit leidet/ mehr gehindert als gefördert werde. Daher 2. wird nöthig
seyn/ daß die person zum fördersten einen verständigen christlichen Medicum
consuli
re/ der ihrer constitution wohl wissend seye/ oder sie ihm solche nach
aller nothdurfft deutlich vorstelle/ und alsdenn von demselben vernehme/ ob
er ohne verletzung und schwächung seiner gesundheit diese rationem victus
gebrauche/ sonderlich aber/ ob er nicht zu sorgen haben möchte/ daß auffs we-
nigste in das künfftige seiner gesundheit davon schade zu befahren wäre. Wie
ich mich entsinne/ als ich in zeit meiner studiorum einmal ein jahr absque
voto continui
ret/ die woche alleine eine mahlzeit (den sambstag) gantz auszu-
setzen/ und also biß abends zu fasten/ ein verständiger und meiner constitution
kündiger Medicus darnach bezeuget/ daß meiner gesundheit solchen schaden
gethan hätte/ welchen/ wenn es möglich/ lieber mit geld abkauffen solte. Da-
her auch jetzt/ da ich ex ratione valetudinis und einige zeit zur arbeit zu gewin-
nen/ wöchentlich 2. abend ordinarie (wiewol ich mich auch nicht als an etwas
nöthiges daran binde) nicht zu tische gehe/ mir gleichwol eine suppe/ brodt
und trunck auff mein losament reichen lasse/ und nicht gantz faste; alles aber
sine voto. 3. Wo nun der Medicus, welches ich schwehrlich gedencken kan/
aussprechen solte/ daß damit der gesundheit nicht geschadet würde/ oder doch/
daß noch biß auff eine gewisse zeit ohne sorge künfftig davon fühlenden unge-
machs damit continuiret werden könne/ so bliebe das votum in seinem vigo-
re,
und würde eine muthwillige brechung desselbigen (ein anders ist von un-
bedachtsamer überschreitung) sonderlich da sie mehrmal wiederhohlet wür-
de/ eine solche sünde seyn/ die den menschen in Gottes ungnade setzte/ wie ande-
re wissentliche sonderlich beharrliche sünden. Jndem die gelübde wegen gött-

lichen
Das dritte Capitel.

WAs die uͤberſchickte frage von dem geluͤbde anlangt/ ſo ſchicke erſtlich
hierbey eine antwort/ die ich von der materie vor dieſem an einen
andern guten freund gethan/ daraus meine meinung von dieſer ſa-
che abzunehmen ſeyn wird. Auff den Special-Caſum aber zu kommen: 1. So
halte dieſes votum quæſtionis, ſo viel ich noch ſehe oder begreiffen kan/ nicht
wohl und mit gebuͤhrender vorſichtigkeit gethan. Denn ich kaum verſtehe/
wie ein menſch ohne verletzung ſeiner geſundheit des tages immerfort nur ein-
mal ſpeiſen/ in der woche aber zweymal gantz faſten koͤnte. Daher weiln
wir nicht Herren unſers leibes ſind/ ſondern derſelbe ſo wol als unſere ſeele
Chriſti eigen iſt/ deswegen von uns alſo muß gepfleget werden/ daß er tuͤch-
tig bleibe zu verrichtung desjenigen/ worzu ihn GOtt verordnet hat/ und die
zu GOttes ehr begirige ſeele durch und in ihm wircken muß; ſo ſtehet uns
nicht frey/ aus einiger urſach/ und alſo auch nicht per modum voti, demſel-
ben alſo zuzuſetzen/ daß er darnach zu ſeinen verrichtungen geſchwaͤchet/ und
alſo auch die fertigkeit der ſeele/ die allezeit von der leibes beſchaffenheit et-
was mit leidet/ mehr gehindert als gefoͤrdert werde. Daher 2. wird noͤthig
ſeyn/ daß die perſon zum foͤrderſten einen verſtaͤndigen chriſtlichen Medicum
conſuli
re/ der ihrer conſtitution wohl wiſſend ſeye/ oder ſie ihm ſolche nach
aller nothdurfft deutlich vorſtelle/ und alsdenn von demſelben vernehme/ ob
er ohne verletzung und ſchwaͤchung ſeiner geſundheit dieſe rationem victus
gebrauche/ ſonderlich aber/ ob er nicht zu ſorgen haben moͤchte/ daß auffs we-
nigſte in das kuͤnfftige ſeiner geſundheit davon ſchade zu befahren waͤre. Wie
ich mich entſinne/ als ich in zeit meiner ſtudiorum einmal ein jahr absque
voto continui
ret/ die woche alleine eine mahlzeit (den ſambſtag) gantz auszu-
ſetzen/ und alſo biß abends zu faſten/ ein verſtaͤndiger und meiner conſtitution
kuͤndiger Medicus darnach bezeuget/ daß meiner geſundheit ſolchen ſchaden
gethan haͤtte/ welchen/ wenn es moͤglich/ lieber mit geld abkauffen ſolte. Da-
her auch jetzt/ da ich ex ratione valetudinis und einige zeit zur arbeit zu gewin-
nen/ woͤchentlich 2. abend ordinarie (wiewol ich mich auch nicht als an etwas
noͤthiges daran binde) nicht zu tiſche gehe/ mir gleichwol eine ſuppe/ brodt
und trunck auff mein loſament reichen laſſe/ und nicht gantz faſte; alles aber
ſine voto. 3. Wo nun der Medicus, welches ich ſchwehrlich gedencken kan/
ausſprechen ſolte/ daß damit der geſundheit nicht geſchadet wuͤrde/ oder doch/
daß noch biß auff eine gewiſſe zeit ohne ſorge kuͤnfftig davon fuͤhlenden unge-
machs damit continuiret werden koͤnne/ ſo bliebe das votum in ſeinem vigo-
re,
und wuͤrde eine muthwillige brechung deſſelbigen (ein anders iſt von un-
bedachtſamer uͤberſchreitung) ſonderlich da ſie mehrmal wiederhohlet wuͤr-
de/ eine ſolche ſuͤnde ſeyn/ die den menſchen in Gottes ungnade ſetzte/ wie ande-
re wiſſentliche ſonderlich beharrliche ſuͤnden. Jndem die geluͤbde wegen goͤtt-

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[12/0020] Das dritte Capitel. WAs die uͤberſchickte frage von dem geluͤbde anlangt/ ſo ſchicke erſtlich hierbey eine antwort/ die ich von der materie vor dieſem an einen andern guten freund gethan/ daraus meine meinung von dieſer ſa- che abzunehmen ſeyn wird. Auff den Special-Caſum aber zu kommen: 1. So halte dieſes votum quæſtionis, ſo viel ich noch ſehe oder begreiffen kan/ nicht wohl und mit gebuͤhrender vorſichtigkeit gethan. Denn ich kaum verſtehe/ wie ein menſch ohne verletzung ſeiner geſundheit des tages immerfort nur ein- mal ſpeiſen/ in der woche aber zweymal gantz faſten koͤnte. Daher weiln wir nicht Herren unſers leibes ſind/ ſondern derſelbe ſo wol als unſere ſeele Chriſti eigen iſt/ deswegen von uns alſo muß gepfleget werden/ daß er tuͤch- tig bleibe zu verrichtung desjenigen/ worzu ihn GOtt verordnet hat/ und die zu GOttes ehr begirige ſeele durch und in ihm wircken muß; ſo ſtehet uns nicht frey/ aus einiger urſach/ und alſo auch nicht per modum voti, demſel- ben alſo zuzuſetzen/ daß er darnach zu ſeinen verrichtungen geſchwaͤchet/ und alſo auch die fertigkeit der ſeele/ die allezeit von der leibes beſchaffenheit et- was mit leidet/ mehr gehindert als gefoͤrdert werde. Daher 2. wird noͤthig ſeyn/ daß die perſon zum foͤrderſten einen verſtaͤndigen chriſtlichen Medicum conſulire/ der ihrer conſtitution wohl wiſſend ſeye/ oder ſie ihm ſolche nach aller nothdurfft deutlich vorſtelle/ und alsdenn von demſelben vernehme/ ob er ohne verletzung und ſchwaͤchung ſeiner geſundheit dieſe rationem victus gebrauche/ ſonderlich aber/ ob er nicht zu ſorgen haben moͤchte/ daß auffs we- nigſte in das kuͤnfftige ſeiner geſundheit davon ſchade zu befahren waͤre. Wie ich mich entſinne/ als ich in zeit meiner ſtudiorum einmal ein jahr absque voto continuiret/ die woche alleine eine mahlzeit (den ſambſtag) gantz auszu- ſetzen/ und alſo biß abends zu faſten/ ein verſtaͤndiger und meiner conſtitution kuͤndiger Medicus darnach bezeuget/ daß meiner geſundheit ſolchen ſchaden gethan haͤtte/ welchen/ wenn es moͤglich/ lieber mit geld abkauffen ſolte. Da- her auch jetzt/ da ich ex ratione valetudinis und einige zeit zur arbeit zu gewin- nen/ woͤchentlich 2. abend ordinarie (wiewol ich mich auch nicht als an etwas noͤthiges daran binde) nicht zu tiſche gehe/ mir gleichwol eine ſuppe/ brodt und trunck auff mein loſament reichen laſſe/ und nicht gantz faſte; alles aber ſine voto. 3. Wo nun der Medicus, welches ich ſchwehrlich gedencken kan/ ausſprechen ſolte/ daß damit der geſundheit nicht geſchadet wuͤrde/ oder doch/ daß noch biß auff eine gewiſſe zeit ohne ſorge kuͤnfftig davon fuͤhlenden unge- machs damit continuiret werden koͤnne/ ſo bliebe das votum in ſeinem vigo- re, und wuͤrde eine muthwillige brechung deſſelbigen (ein anders iſt von un- bedachtſamer uͤberſchreitung) ſonderlich da ſie mehrmal wiederhohlet wuͤr- de/ eine ſolche ſuͤnde ſeyn/ die den menſchen in Gottes ungnade ſetzte/ wie ande- re wiſſentliche ſonderlich beharrliche ſuͤnden. Jndem die geluͤbde wegen goͤtt- lichen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/20>, abgerufen am 21.11.2024.