Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.ARTIC. III. SECTIO V. schuldig: Jndem er die frucht vor todt achtet/ und nach aller seiner kunst undeinsicht nicht anders als todt halten kan/ also würde er vor GOTT in solchem fall nicht anders schuldig seyn/ als einer wäre/ der ohne alle seine schuld einen anderen durch einen unglücklichen fall getödtet hätte/ da ihn GOTT unge- fehr in seine hände hätte fallen lassen. 2. Mos. 21/ 13. Wo wir leicht erken- nen/ daß zwahr ein homicidium physicum, nicht aber morale, geschähe; das ist/ daß wircklich ein mensch sein leben verliehret/ aber ohne eigenliche ver- schuldung des thäters vor GOTT/ indem weder dolus noch culpa vorhan- den ist/ weder vorsatz noch sträffliche schuld aus unvorsichtigkeit und der- gleichen. Man möchte zwahr sagen und einwenden/ es geschehe gleichwol mit das- O o
ARTIC. III. SECTIO V. ſchuldig: Jndem er die frucht vor todt achtet/ und nach aller ſeiner kunſt undeinſicht nicht anders als todt halten kan/ alſo wuͤrde er vor GOTT in ſolchem fall nicht anders ſchuldig ſeyn/ als einer waͤre/ der ohne alle ſeine ſchuld einen anderen durch einen ungluͤcklichen fall getoͤdtet haͤtte/ da ihn GOTT unge- fehr in ſeine haͤnde haͤtte fallen laſſen. 2. Moſ. 21/ 13. Wo wir leicht erken- nen/ daß zwahr ein homicidium phyſicum, nicht aber morale, geſchaͤhe; das iſt/ daß wircklich ein menſch ſein leben verliehret/ aber ohne eigenliche ver- ſchuldung des thaͤters vor GOTT/ indem weder dolus noch culpa vorhan- den iſt/ weder vorſatz noch ſtraͤffliche ſchuld aus unvorſichtigkeit und der- gleichen. Man moͤchte zwahr ſagen und einwenden/ es geſchehe gleichwol mit das- O o
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ARTIC. III. SECTIO V.
ſchuldig: Jndem er die frucht vor todt achtet/ und nach aller ſeiner kunſt und
einſicht nicht anders als todt halten kan/ alſo wuͤrde er vor GOTT in ſolchem
fall nicht anders ſchuldig ſeyn/ als einer waͤre/ der ohne alle ſeine ſchuld einen
anderen durch einen ungluͤcklichen fall getoͤdtet haͤtte/ da ihn GOTT unge-
fehr in ſeine haͤnde haͤtte fallen laſſen. 2. Moſ. 21/ 13. Wo wir leicht erken-
nen/ daß zwahr ein homicidium phyſicum, nicht aber morale, geſchaͤhe; das
iſt/ daß wircklich ein menſch ſein leben verliehret/ aber ohne eigenliche ver-
ſchuldung des thaͤters vor GOTT/ indem weder dolus noch culpa vorhan-
den iſt/ weder vorſatz noch ſtraͤffliche ſchuld aus unvorſichtigkeit und der-
gleichen.
Man moͤchte zwahr ſagen und einwenden/ es geſchehe gleichwol mit
zweifflendem gewiſſen/ da aber/ was alſo geſchihet/ ſuͤndlich iſt/ nach Rom.
14/ 23. Nun iſts freylich an dem/ wo einer ſolches eigenlich mit zweifflendem
gewiſſen thaͤte/ daß er nicht von der ſuͤnde frey gezehlet werden koͤnne: Wir
haben aber dieſes auch wiederum zu erfordern/ daß ein ſolcher Medicus ſein
gewiſſen erſtlich feſt ſetze/ und verſichert ſeye/ daß in dieſem fall ſein amt und
die liebe von ihm dasjenige erfordere/ was er thue/ ſo thut ers alſo nicht im
zweiffel. Ja/ aber er iſt doch nicht unfehlbar des todes des kindes ver ſichert.
Antwort: Dieſes wird zugegeben/ indeſſen iſts doch nichteigenlich ein zweif-
fel/ indem bey einem ſcharff alſo genannten zweiffel ſich dieſes findet/ daß das
gemuͤth ſich auf keine ſeite mehr als auf die andre lencke/ da wir hingegen hier
ſetzen/ daß der Medicus den todt nach allen menſchlichen vermuthungen vor
gewiß glaube/ und nur eine geringe formido oppoſiti, und ſorge/ daß das ge-
gentheil muͤglich ſeyn koͤnne/ ſo er aber doch nicht vermuthet/ vorhanden waͤre.
Wo wir aber auch ſolches einen zweiffel nennen wollen/ muͤſſen wir einen un-
terſcheid machen unter einem zweifflenden gewiſſen ſelbs/ und unter einem
verſicherten gewiſſen in einer ſache/ in dero ſonſten ein zweiffel ſeyn mag.
Welche beyderley unterſchieden ſind: Dann es kan eine ſache ſeyn/ worinnen
ſich ein zweiffel findet/ ob dieſes und jenes ſich alſo verhalte/ und indeſſen blei-
bet doch das gewiſſen aus guten gruͤnden verſichert/ daß es in dieſer bewand-
nuͤß nach goͤttlicher ordnung dieſes oder jenes thun ſolle. Alſo abſolviret
ein auch gewiſſenhaffter Prediger denjenigen/ den er nach muͤglichkeit gepruͤf-
fet/ und nichts/ ſo ihn unwuͤrdig zu ſeyn zeiget/ an ihm befunden haͤtte/ ob er
wol weiß/ es ſeye muͤglich/ daß er durch heucheley betrogen wuͤrde/ ja ob er
auch aus gewiſſen anzeigungen eine ſorge derſelben haͤtte/ darauf aber der an-
dere ihm ſo fern gnuͤge gethan/ daß er nicht weiter/ wie es in dieſem menſchli-
chen leben/ die wir in die hertzen nicht ſehen koͤnnen/ ſtehet/ hat kommen koͤn-
nen: Jndeſſen iſt ſein gewiſſen ohne zweiffel/ daß er dieſes thun moͤge/ ob wol
in der ſach ein zweiffel noch uͤbrig ſeyn kan. Alſo kan ich von dem nechſten
das-
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