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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
sagen/ es hätte der mensch keiner hülffe in dem stand der unschuld bedorfft/ da
er noch in keiner noth gesteckt/ sondern in der vollkommensten glückseligkeit
geschwebet hat. Wir haben aber einen unterscheid zu machen unter einer
hülffe/ die den menschen aus einem übel und elend errettete/ und anderseits/
welche allein seine glückseligkeit verbesserte. Der ersten art hülffe bedorffte
der mensch in dem stand der unschuld nicht/ als von dem alles elend so fern als
die sünde war/ der andern art hülffe aber ist nicht fremd auch von demselbigen
stand des ersten menschen/ dessen glückseligkeit groß und vollkommen war/
aber ohnwidersprechlich noch in unterschiedlichem ansehen wachsen/ und ver-
mehret werden konte. Da nun der text nicht eben austrücklich gedencket/
worinnen solche hülffe bestanden/ so stehet uns frey/ solche in christlichem nach-
sinnen zu suchen. Wir wissen/ daß der mensch erschaffen war/ daß ihm wohl
wäre/ und er nicht nur allein in sich selbs hätte/ was seiner natur zu ihrer voll-
kommenheit gnug wäre/ wie er dann deßwegen mit dem göttlichen ebenbild
ausgeziehret gewesen/ sondern daß er auch dasjenige/ was er thun solte/ am
bequemsten verrichten könte. Es lag ihm aber nichts anders ob/ als GOtt
zu dienen/ ihn zu erkennen/ zu preisen/ der creatur sich zu gebrauchen/ daß sie
ihm lauter mittel wären/ göttliche güte und liebe darinnen zu schmecken/ und
in denselben alle vergnügung seines leibes und seiner seelen in allen dero kräff-
ten zu finden/ und nachmal weiter auf GOTT solche zu richten. Daß also
keine unter allen seinen kräfften seyn solte/ die nicht ihre vergnügliche übung
hätte. Nun aber war hiezu nicht gantz bequem/ daß der mensch allein wäre/
dann ob er wol jene obgedachte werck alle in gewisser maaß auch allein vor sich
verrichten können/ so sind sie doch insgesamt alle allezeit vergnüglicher in ge-
sellschafft eines andern gleichen/ und geziehmete sich also göttlicher liebe und
weißheit/ daß sie auch diese vermehrung seiner glückseligkeit dem menschen
gebe. Nullius boni sine socio jucunda possessio est. Dahero wir auch se-
hen/ in dem allerseligsten wesen/ GOTT dem HErrn selbsten/ weil ausser
demselben nichtes ihm gleiches hat können oder sollen seyn/ daß auffs wenig-
ste in demselben selbs unterschiedliche personen sind/ dero liebe und freude in
und an einander die unmäßliche seligkeit solches in sich vergnügtesten wesens
am vollkommensten machet. Nicht weniger sehen wir auch/ daß die göttliche
weißheit von andern creaturen keine gantz allein geschaffen/ sondern jeglicher
allemal andere gleiche zu dero besten zugeordnet hat; da solte dann auch bey
dem menschen es an solcher seligkeit nicht manglen/ sondern er eine gehülffin
haben/ die neben ihm gleicher herrlichkeit genösse/ und dero gemeinschafft fer-
ner seinen genuß vollkommen machte. Würde also das weib seine gehülffin
haben seyn sollen/ GOTT zu loben/ zu preisen/ zu dancken; welche wercke alle
besser mit andern/ als darinnen neue auffmunterung und freude stecket/ als

allemal

Das dritte Capitel.
ſagen/ es haͤtte der menſch keiner huͤlffe in dem ſtand der unſchuld bedorfft/ da
er noch in keiner noth geſteckt/ ſondern in der vollkommenſten gluͤckſeligkeit
geſchwebet hat. Wir haben aber einen unterſcheid zu machen unter einer
huͤlffe/ die den menſchen aus einem uͤbel und elend errettete/ und anderſeits/
welche allein ſeine gluͤckſeligkeit verbeſſerte. Der erſten art huͤlffe bedorffte
der menſch in dem ſtand der unſchuld nicht/ als von dem alles elend ſo fern als
die ſuͤnde war/ der andern art huͤlffe aber iſt nicht fremd auch von demſelbigen
ſtand des erſten menſchen/ deſſen gluͤckſeligkeit groß und vollkommen war/
aber ohnwiderſprechlich noch in unterſchiedlichem anſehen wachſen/ und ver-
mehret werden konte. Da nun der text nicht eben austruͤcklich gedencket/
worinnen ſolche huͤlffe beſtanden/ ſo ſtehet uns frey/ ſolche in chriſtlichem nach-
ſinnen zu ſuchen. Wir wiſſen/ daß der menſch erſchaffen war/ daß ihm wohl
waͤre/ und er nicht nur allein in ſich ſelbs haͤtte/ was ſeiner natur zu ihrer voll-
kommenheit gnug waͤre/ wie er dann deßwegen mit dem goͤttlichen ebenbild
ausgeziehret geweſen/ ſondern daß er auch dasjenige/ was er thun ſolte/ am
bequemſten verrichten koͤnte. Es lag ihm aber nichts anders ob/ als GOtt
zu dienen/ ihn zu erkennen/ zu preiſen/ der creatur ſich zu gebrauchen/ daß ſie
ihm lauter mittel waͤren/ goͤttliche guͤte und liebe darinnen zu ſchmecken/ und
in denſelben alle vergnuͤgung ſeines leibes und ſeiner ſeelen in allen dero kraͤff-
ten zu finden/ und nachmal weiter auf GOTT ſolche zu richten. Daß alſo
keine unter allen ſeinen kraͤfften ſeyn ſolte/ die nicht ihre vergnuͤgliche uͤbung
haͤtte. Nun aber war hiezu nicht gantz bequem/ daß der menſch allein waͤre/
dann ob er wol jene obgedachte werck alle in gewiſſer maaß auch allein vor ſich
verrichten koͤnnen/ ſo ſind ſie doch insgeſamt alle allezeit vergnuͤglicher in ge-
ſellſchafft eines andern gleichen/ und geziehmete ſich alſo goͤttlicher liebe und
weißheit/ daß ſie auch dieſe vermehrung ſeiner gluͤckſeligkeit dem menſchen
gebe. Nullius boni ſine ſocio jucunda poſſeſſio eſt. Dahero wir auch ſe-
hen/ in dem allerſeligſten weſen/ GOTT dem HErrn ſelbſten/ weil auſſer
demſelben nichtes ihm gleiches hat koͤnnen oder ſollen ſeyn/ daß auffs wenig-
ſte in demſelben ſelbs unterſchiedliche perſonen ſind/ dero liebe und freude in
und an einander die unmaͤßliche ſeligkeit ſolches in ſich vergnuͤgteſten weſens
am vollkommenſten machet. Nicht weniger ſehen wir auch/ daß die goͤttliche
weißheit von andern creaturen keine gantz allein geſchaffen/ ſondern jeglicher
allemal andere gleiche zu dero beſten zugeordnet hat; da ſolte dann auch bey
dem menſchen es an ſolcher ſeligkeit nicht manglen/ ſondern er eine gehuͤlffin
haben/ die neben ihm gleicher herrlichkeit genoͤſſe/ und dero gemeinſchafft fer-
ner ſeinen genuß vollkommen machte. Wuͤrde alſo das weib ſeine gehuͤlffin
haben ſeyn ſollen/ GOTT zu loben/ zu preiſen/ zu dancken; welche wercke alle
beſſer mit andern/ als darinnen neue auffmunterung und freude ſtecket/ als

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[306/0314] Das dritte Capitel. ſagen/ es haͤtte der menſch keiner huͤlffe in dem ſtand der unſchuld bedorfft/ da er noch in keiner noth geſteckt/ ſondern in der vollkommenſten gluͤckſeligkeit geſchwebet hat. Wir haben aber einen unterſcheid zu machen unter einer huͤlffe/ die den menſchen aus einem uͤbel und elend errettete/ und anderſeits/ welche allein ſeine gluͤckſeligkeit verbeſſerte. Der erſten art huͤlffe bedorffte der menſch in dem ſtand der unſchuld nicht/ als von dem alles elend ſo fern als die ſuͤnde war/ der andern art huͤlffe aber iſt nicht fremd auch von demſelbigen ſtand des erſten menſchen/ deſſen gluͤckſeligkeit groß und vollkommen war/ aber ohnwiderſprechlich noch in unterſchiedlichem anſehen wachſen/ und ver- mehret werden konte. Da nun der text nicht eben austruͤcklich gedencket/ worinnen ſolche huͤlffe beſtanden/ ſo ſtehet uns frey/ ſolche in chriſtlichem nach- ſinnen zu ſuchen. Wir wiſſen/ daß der menſch erſchaffen war/ daß ihm wohl waͤre/ und er nicht nur allein in ſich ſelbs haͤtte/ was ſeiner natur zu ihrer voll- kommenheit gnug waͤre/ wie er dann deßwegen mit dem goͤttlichen ebenbild ausgeziehret geweſen/ ſondern daß er auch dasjenige/ was er thun ſolte/ am bequemſten verrichten koͤnte. Es lag ihm aber nichts anders ob/ als GOtt zu dienen/ ihn zu erkennen/ zu preiſen/ der creatur ſich zu gebrauchen/ daß ſie ihm lauter mittel waͤren/ goͤttliche guͤte und liebe darinnen zu ſchmecken/ und in denſelben alle vergnuͤgung ſeines leibes und ſeiner ſeelen in allen dero kraͤff- ten zu finden/ und nachmal weiter auf GOTT ſolche zu richten. Daß alſo keine unter allen ſeinen kraͤfften ſeyn ſolte/ die nicht ihre vergnuͤgliche uͤbung haͤtte. Nun aber war hiezu nicht gantz bequem/ daß der menſch allein waͤre/ dann ob er wol jene obgedachte werck alle in gewiſſer maaß auch allein vor ſich verrichten koͤnnen/ ſo ſind ſie doch insgeſamt alle allezeit vergnuͤglicher in ge- ſellſchafft eines andern gleichen/ und geziehmete ſich alſo goͤttlicher liebe und weißheit/ daß ſie auch dieſe vermehrung ſeiner gluͤckſeligkeit dem menſchen gebe. Nullius boni ſine ſocio jucunda poſſeſſio eſt. Dahero wir auch ſe- hen/ in dem allerſeligſten weſen/ GOTT dem HErrn ſelbſten/ weil auſſer demſelben nichtes ihm gleiches hat koͤnnen oder ſollen ſeyn/ daß auffs wenig- ſte in demſelben ſelbs unterſchiedliche perſonen ſind/ dero liebe und freude in und an einander die unmaͤßliche ſeligkeit ſolches in ſich vergnuͤgteſten weſens am vollkommenſten machet. Nicht weniger ſehen wir auch/ daß die goͤttliche weißheit von andern creaturen keine gantz allein geſchaffen/ ſondern jeglicher allemal andere gleiche zu dero beſten zugeordnet hat; da ſolte dann auch bey dem menſchen es an ſolcher ſeligkeit nicht manglen/ ſondern er eine gehuͤlffin haben/ die neben ihm gleicher herrlichkeit genoͤſſe/ und dero gemeinſchafft fer- ner ſeinen genuß vollkommen machte. Wuͤrde alſo das weib ſeine gehuͤlffin haben ſeyn ſollen/ GOTT zu loben/ zu preiſen/ zu dancken; welche wercke alle beſſer mit andern/ als darinnen neue auffmunterung und freude ſtecket/ als allemal

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/314>, abgerufen am 22.11.2024.