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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. III. SECTIO XI.
wo man die gelder/ welche die andre nicht mehr nöthig haben/ und gerne wie-
der ablegen wolten/ nicht wieder annehmen/ sondern den andern als einen
stäten tributarium behalten will: dahin ich auch ziehe/ wo schuldner ein stär-
ckeres capital nimmer auff einmal abzutragen vermögen/ und also der ursach
wegen zu ihrer grossen beschwehrde unter solcher last mit ihren nachkommen-
den bleiben müsten/ aber durch eine particular solution befreyet zu werden/
vermöchten/ und man diese (gleichwol auch auff eine solche art angestellet/
daß man dieser seit nicht hinwieder nachtheil davon leide) nicht annehmen
will. Alles dieses und was dergleichen seyn mag/ kan das zinse nehmen un-
recht machen. Denn weil mein darleyhen ein liebes-werck und gutthat seyn/
und von dem andern hinwiederum liebreiche danckbarkeit erfordern solle/ so
muß dabey nichts auffgezwungenes seyn/ noch einer so wenig zu diesem als
anderem contract genöthigt werden.

Also alles kurtz zu fassen/ so bald etwas bey dem zinse-nehmen mit ein-
laufft/ welches der liebe und billichkeit zuwider ist/ und ich in meinem hertzen
versichert bin/ daß ich in gleichem fall von dem andern ein solches vor un-
recht halten würde (Matth. 6/ 12.) machet solches dasselbe zur sünde/ wie
auch andre dinge/ so göttlicher ordnung an sich selbs gemäß sind/ durch miß-
brauch dergleichen werden können. Daher auch so bald in der materie zwei-
felhaffte fälle entstehen/ will das gewissen haben/ daß wir allezeit lieber we-
niger als zu viel nehmen: indem man sich mit diesem nicht aber jenen ver-
sündigen kan.

Wann aber nun diese fehler auszuschliessen die frage völliger also for-
mi
ret würde/ ob in dem N. Test. von willig-auffgenommenen und zu
verzinsen behaltenen geldern von denjenigen/ welche solche also ge-
brauchen/ daß sie ihren vortheil davon zu machen vermögen/ und in
dem stande stehen/ daß sie dergleichen abtragen können/ dörffen lan-
desübliche zinse genommen werden?
So traue ich diese frage von uns in
dem N. T. allerdings zu bejahen. Das haupt-fundament meiner bejahung
ist dieses/ daß wir nun kein ander gesetz in dem N. T. was die pflichten gegen
den nechsten anlangt/ haben/ als das gesetz der liebe: das unser Königli-
ches
gebot ist; und bleibet also allerdings wahr/ alle gebot seyen in diesem
wort verfasset: Du solt deinen nechsten lieben als dich selbs:
und/ so
bleibet die liebe des gesetzes erfüllung/ und wer den andern liebet/ der
hat das gesetz erfüllet. Rom. 13/ 8. 9. 10.
Welches wir in dem N. T. in
so viel mehrerm rigor ansehen können/ weil was über dieses gebot der liebe in
dem A. T. zur regel der Jüdischen policey weiter vorgeschrieben ist (davon

nach-
T t

ARTIC. III. SECTIO XI.
wo man die gelder/ welche die andre nicht mehr noͤthig haben/ und gerne wie-
der ablegen wolten/ nicht wieder annehmen/ ſondern den andern als einen
ſtaͤten tributarium behalten will: dahin ich auch ziehe/ wo ſchuldner ein ſtaͤr-
ckeres capital nimmer auff einmal abzutragen vermoͤgen/ und alſo der urſach
wegen zu ihrer groſſen beſchwehrde unter ſolcher laſt mit ihren nachkommen-
den bleiben muͤſten/ aber durch eine particular ſolution befreyet zu werden/
vermoͤchten/ und man dieſe (gleichwol auch auff eine ſolche art angeſtellet/
daß man dieſer ſeit nicht hinwieder nachtheil davon leide) nicht annehmen
will. Alles dieſes und was dergleichen ſeyn mag/ kan das zinſe nehmen un-
recht machen. Denn weil mein darleyhen ein liebes-werck und gutthat ſeyn/
und von dem andern hinwiederum liebreiche danckbarkeit erfordern ſolle/ ſo
muß dabey nichts auffgezwungenes ſeyn/ noch einer ſo wenig zu dieſem als
anderem contract genoͤthigt werden.

Alſo alles kurtz zu faſſen/ ſo bald etwas bey dem zinſe-nehmen mit ein-
laufft/ welches der liebe und billichkeit zuwider iſt/ und ich in meinem hertzen
verſichert bin/ daß ich in gleichem fall von dem andern ein ſolches vor un-
recht halten wuͤrde (Matth. 6/ 12.) machet ſolches daſſelbe zur ſuͤnde/ wie
auch andre dinge/ ſo goͤttlicher ordnung an ſich ſelbs gemaͤß ſind/ durch miß-
brauch dergleichen werden koͤnnen. Daher auch ſo bald in der materie zwei-
felhaffte faͤlle entſtehen/ will das gewiſſen haben/ daß wir allezeit lieber we-
niger als zu viel nehmen: indem man ſich mit dieſem nicht aber jenen ver-
ſuͤndigen kan.

Wann aber nun dieſe fehler auszuſchlieſſen die frage voͤlliger alſo for-
mi
ret wuͤrde/ ob in dem N. Teſt. von willig-auffgenommenen und zu
verzinſen behaltenen geldern von denjenigen/ welche ſolche alſo ge-
brauchen/ daß ſie ihren vortheil davon zu machen vermoͤgen/ und in
dem ſtande ſtehen/ daß ſie dergleichen abtragen koͤnnen/ doͤrffen lan-
desuͤbliche zinſe genommen werden?
So traue ich dieſe frage von uns in
dem N. T. allerdings zu bejahen. Das haupt-fundament meiner bejahung
iſt dieſes/ daß wir nun kein ander geſetz in dem N. T. was die pflichten gegen
den nechſten anlangt/ haben/ als das geſetz der liebe: das unſer Koͤnigli-
ches
gebot iſt; und bleibet alſo allerdings wahr/ alle gebot ſeyen in dieſem
wort verfaſſet: Du ſolt deinen nechſten lieben als dich ſelbs:
und/ ſo
bleibet die liebe des geſetzes erfuͤllung/ und wer den andern liebet/ der
hat das geſetz erfuͤllet. Rom. 13/ 8. 9. 10.
Welches wir in dem N. T. in
ſo viel mehrerm rigor anſehen koͤnnen/ weil was uͤber dieſes gebot der liebe in
dem A. T. zur regel der Juͤdiſchen policey weiter vorgeſchrieben iſt (davon

nach-
T t
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[329/0337] ARTIC. III. SECTIO XI. wo man die gelder/ welche die andre nicht mehr noͤthig haben/ und gerne wie- der ablegen wolten/ nicht wieder annehmen/ ſondern den andern als einen ſtaͤten tributarium behalten will: dahin ich auch ziehe/ wo ſchuldner ein ſtaͤr- ckeres capital nimmer auff einmal abzutragen vermoͤgen/ und alſo der urſach wegen zu ihrer groſſen beſchwehrde unter ſolcher laſt mit ihren nachkommen- den bleiben muͤſten/ aber durch eine particular ſolution befreyet zu werden/ vermoͤchten/ und man dieſe (gleichwol auch auff eine ſolche art angeſtellet/ daß man dieſer ſeit nicht hinwieder nachtheil davon leide) nicht annehmen will. Alles dieſes und was dergleichen ſeyn mag/ kan das zinſe nehmen un- recht machen. Denn weil mein darleyhen ein liebes-werck und gutthat ſeyn/ und von dem andern hinwiederum liebreiche danckbarkeit erfordern ſolle/ ſo muß dabey nichts auffgezwungenes ſeyn/ noch einer ſo wenig zu dieſem als anderem contract genoͤthigt werden. Alſo alles kurtz zu faſſen/ ſo bald etwas bey dem zinſe-nehmen mit ein- laufft/ welches der liebe und billichkeit zuwider iſt/ und ich in meinem hertzen verſichert bin/ daß ich in gleichem fall von dem andern ein ſolches vor un- recht halten wuͤrde (Matth. 6/ 12.) machet ſolches daſſelbe zur ſuͤnde/ wie auch andre dinge/ ſo goͤttlicher ordnung an ſich ſelbs gemaͤß ſind/ durch miß- brauch dergleichen werden koͤnnen. Daher auch ſo bald in der materie zwei- felhaffte faͤlle entſtehen/ will das gewiſſen haben/ daß wir allezeit lieber we- niger als zu viel nehmen: indem man ſich mit dieſem nicht aber jenen ver- ſuͤndigen kan. Wann aber nun dieſe fehler auszuſchlieſſen die frage voͤlliger alſo for- miret wuͤrde/ ob in dem N. Teſt. von willig-auffgenommenen und zu verzinſen behaltenen geldern von denjenigen/ welche ſolche alſo ge- brauchen/ daß ſie ihren vortheil davon zu machen vermoͤgen/ und in dem ſtande ſtehen/ daß ſie dergleichen abtragen koͤnnen/ doͤrffen lan- desuͤbliche zinſe genommen werden? So traue ich dieſe frage von uns in dem N. T. allerdings zu bejahen. Das haupt-fundament meiner bejahung iſt dieſes/ daß wir nun kein ander geſetz in dem N. T. was die pflichten gegen den nechſten anlangt/ haben/ als das geſetz der liebe: das unſer Koͤnigli- ches gebot iſt; und bleibet alſo allerdings wahr/ alle gebot ſeyen in dieſem wort verfaſſet: Du ſolt deinen nechſten lieben als dich ſelbs: und/ ſo bleibet die liebe des geſetzes erfuͤllung/ und wer den andern liebet/ der hat das geſetz erfuͤllet. Rom. 13/ 8. 9. 10. Welches wir in dem N. T. in ſo viel mehrerm rigor anſehen koͤnnen/ weil was uͤber dieſes gebot der liebe in dem A. T. zur regel der Juͤdiſchen policey weiter vorgeſchrieben iſt (davon nach- T t

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/337>, abgerufen am 22.11.2024.