Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

Bild:
<< vorherige Seite
Das dritte Capitel.
andern keine ruhe zuwege bringen kan/ so wolte ich es also ansehen/ daß Gott
einen solchen menschen dahin wiese/ daß er ihm selbs mit erstattung alles durch
die erinnerung befundenen wehe thue/ und auff solche art endlichen das hertz
befriedige. Daher er dann auch sich dessen nicht zubeschwehren/ sondern
solches mittel nicht zu theuer zu achten hätte/ seinem gewisseneinige ruhe zu
schaffen.
Die andere Frage.
Ob die bekäntnüß der sünden/ so wider den nechsten begangen/ bey
allen fällen schlechterdings nöthig/ auch sonder dieselbe der nech-
ste (der von solcher sünde nichts weiß/ weil sie heimlich wider ihn
mit worten begangen) vor unversohnt zu halten/ und daher der
beleidiger/ so lange er solche dem
laeso nicht geoffenbaret und ab-
gebeten/ deren keine vergebung bey GOtt sich zu getrösten habe?

AUf diese frage ist bereits solcher gründliche entscheid in dem überschickten
befindlich/ daß kaum sehe/ was dazu zu thun nöthig wäre/ sonderlich da
sie/ wie zuletzt geschihet/ noch deutlicher eingeschrencket wird; da es also lau-
tet: Ob ein Christ/ der sich erinnert/ daß er ehemals/ bevorab in seiner ju-
gend/ ein und andern fehler seines nechsten/ andern im vertrauen/ oder aus
unbesonnenheit/ entdecket/ seine verbrechen und mängel durchgezogen/ von
seinem thun unzeitig und unbefohlen geurtheilt/ oder auff andere weise und
wege in worten seinen nechsten betreffend sich verlauffen/ da solches dem laeso
unwissend/ und dieser also keinen groll oder feindschafft deshalben heget/ das
factum (die verleumbdung/ verspottung/ verkleinerung/ oder wie es nah-
men haben mag) auch selbs denen/ so es zu ohren getragen/ oder die es ange-
höret/ wol längst vergessen/ ob sage ich solcher bey seiner busse nöthig habe/
solche seine sünden dem nechsten/ wider den sie begangen worden/ zu entde-
cken/ und sie ihme abzubitten? oder ob zu wahrer buß und vergebung solcher
heimlichen sünde gnug/ daß er sie GOtt dem HErrn beichte/ und in wahrem
glauben abbitte/ auch sich bemühe/ partis laesae famam sonsten bey aller gele-
genheit zu vertheidigen/ und da er erfahren solte/ daß seiner ehemals geführ-
ter worte halben dessen guter nahme angefochten werden wolte/ so dann über
sein voriges factum ernstliches mißfallen bezeuge/ und also das gegebene är-
gernüß bey denen es erreget/ mit allem fleiß auffzuheben trachte/ und ob er
factis his animoque firmiter destinatis sein gewissen befriedigen könne/ und
da ihm ferner hierüber gedancken zusetzen wolten/ solche ausschlagen/ und ih-
nen nicht gehör geben solle? Jn welcher frage formirung bereits die nöthige li-
mitationes,
oder was gleichwol der schuldige zu thun verbunden seye/ dabey
stehen/ die sonsten bemercken hätte wollen/ wie nemlich gleichwol die busse ge-

gen
Das dritte Capitel.
andern keine ruhe zuwege bringen kan/ ſo wolte ich es alſo anſehen/ daß Gott
einen ſolchen menſchen dahin wieſe/ daß er ihm ſelbs mit erſtattung alles durch
die erinnerung befundenen wehe thue/ und auff ſolche art endlichen das hertz
befriedige. Daher er dann auch ſich deſſen nicht zubeſchwehren/ ſondern
ſolches mittel nicht zu theuer zu achten haͤtte/ ſeinem gewiſſeneinige ruhe zu
ſchaffen.
Die andere Frage.
Ob die bekaͤntnuͤß der ſuͤnden/ ſo wider den nechſten begangen/ bey
allen faͤllen ſchlechterdings noͤthig/ auch ſonder dieſelbe der nech-
ſte (der von ſolcher ſuͤnde nichts weiß/ weil ſie heimlich wider ihn
mit worten begangen) vor unverſohnt zu halten/ und daher der
beleidiger/ ſo lange er ſolche dem
læſo nicht geoffenbaret und ab-
gebeten/ deren keine vergebung bey GOtt ſich zu getroͤſten habe?

AUf dieſe frage iſt bereits ſolcher gruͤndliche entſcheid in dem uͤberſchickten
befindlich/ daß kaum ſehe/ was dazu zu thun noͤthig waͤre/ ſonderlich da
ſie/ wie zuletzt geſchihet/ noch deutlicher eingeſchrencket wird; da es alſo lau-
tet: Ob ein Chriſt/ der ſich erinnert/ daß er ehemals/ bevorab in ſeiner ju-
gend/ ein und andern fehler ſeines nechſten/ andern im vertrauen/ oder aus
unbeſonnenheit/ entdecket/ ſeine verbrechen und maͤngel durchgezogen/ von
ſeinem thun unzeitig und unbefohlen geurtheilt/ oder auff andere weiſe und
wege in worten ſeinen nechſten betreffend ſich verlauffen/ da ſolches dem læſo
unwiſſend/ und dieſer alſo keinen groll oder feindſchafft deshalben heget/ das
factum (die verleumbdung/ verſpottung/ verkleinerung/ oder wie es nah-
men haben mag) auch ſelbs denen/ ſo es zu ohren getragen/ oder die es ange-
hoͤret/ wol laͤngſt vergeſſen/ ob ſage ich ſolcher bey ſeiner buſſe noͤthig habe/
ſolche ſeine ſuͤnden dem nechſten/ wider den ſie begangen worden/ zu entde-
cken/ und ſie ihme abzubitten? oder ob zu wahrer buß und vergebung ſolcher
heimlichen ſuͤnde gnug/ daß er ſie GOtt dem HErrn beichte/ und in wahrem
glauben abbitte/ auch ſich bemuͤhe/ partis læſæ famam ſonſten bey aller gele-
genheit zu vertheidigen/ und da er erfahren ſolte/ daß ſeiner ehemals gefuͤhr-
ter worte halben deſſen guter nahme angefochten werden wolte/ ſo dann uͤber
ſein voriges factum ernſtliches mißfallen bezeuge/ und alſo das gegebene aͤr-
gernuͤß bey denen es erreget/ mit allem fleiß auffzuheben trachte/ und ob er
factis his animoque firmiter deſtinatis ſein gewiſſen befriedigen koͤnne/ und
da ihm ferner hieruͤber gedancken zuſetzen wolten/ ſolche ausſchlagen/ und ih-
nen nicht gehoͤr geben ſolle? Jn welcher frage formirung bereits die noͤthige li-
mitationes,
oder was gleichwol der ſchuldige zu thun verbunden ſeye/ dabey
ſtehen/ die ſonſten bemercken haͤtte wollen/ wie nemlich gleichwol die buſſe ge-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item><pb facs="#f0354" n="346"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das dritte Capitel.</hi></fw><lb/>
andern keine ruhe zuwege bringen kan/ &#x017F;o wolte ich es al&#x017F;o an&#x017F;ehen/ daß Gott<lb/>
einen &#x017F;olchen men&#x017F;chen dahin wie&#x017F;e/ daß er ihm &#x017F;elbs mit er&#x017F;tattung alles durch<lb/>
die erinnerung befundenen wehe thue/ und auff &#x017F;olche art endlichen das hertz<lb/>
befriedige. Daher er dann auch &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en nicht zube&#x017F;chwehren/ &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;olches mittel nicht zu theuer zu achten ha&#x0364;tte/ &#x017F;einem gewi&#x017F;&#x017F;eneinige ruhe zu<lb/>
&#x017F;chaffen.</item>
              </list>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Die andere Frage.</hi> </head><lb/>
              <list>
                <item> <hi rendition="#fr">Ob die beka&#x0364;ntnu&#x0364;ß der &#x017F;u&#x0364;nden/ &#x017F;o wider den nech&#x017F;ten begangen/ bey<lb/>
allen fa&#x0364;llen &#x017F;chlechterdings no&#x0364;thig/ auch &#x017F;onder die&#x017F;elbe der nech-<lb/>
&#x017F;te (der von &#x017F;olcher &#x017F;u&#x0364;nde nichts weiß/ weil &#x017F;ie heimlich wider ihn<lb/>
mit worten begangen) vor unver&#x017F;ohnt zu halten/ und daher der<lb/>
beleidiger/ &#x017F;o lange er &#x017F;olche dem</hi> <hi rendition="#aq">&#x017F;o</hi> <hi rendition="#fr">nicht geoffenbaret und ab-<lb/>
gebeten/ deren keine vergebung bey GOtt &#x017F;ich zu getro&#x0364;&#x017F;ten habe?</hi> </item>
              </list><lb/>
              <p><hi rendition="#in">A</hi>Uf die&#x017F;e frage i&#x017F;t bereits &#x017F;olcher gru&#x0364;ndliche ent&#x017F;cheid in dem u&#x0364;ber&#x017F;chickten<lb/>
befindlich/ daß kaum &#x017F;ehe/ was dazu zu thun no&#x0364;thig wa&#x0364;re/ &#x017F;onderlich da<lb/>
&#x017F;ie/ wie zuletzt ge&#x017F;chihet/ noch deutlicher einge&#x017F;chrencket wird; da es al&#x017F;o lau-<lb/>
tet: Ob ein Chri&#x017F;t/ der &#x017F;ich erinnert/ daß er ehemals/ bevorab in &#x017F;einer ju-<lb/>
gend/ ein und andern fehler &#x017F;eines nech&#x017F;ten/ andern im vertrauen/ oder aus<lb/>
unbe&#x017F;onnenheit/ entdecket/ &#x017F;eine verbrechen und ma&#x0364;ngel durchgezogen/ von<lb/>
&#x017F;einem thun unzeitig und unbefohlen geurtheilt/ oder auff andere wei&#x017F;e und<lb/>
wege in worten &#x017F;einen nech&#x017F;ten betreffend &#x017F;ich verlauffen/ da &#x017F;olches dem <hi rendition="#aq">&#x017F;o</hi><lb/>
unwi&#x017F;&#x017F;end/ und die&#x017F;er al&#x017F;o keinen groll oder feind&#x017F;chafft deshalben heget/ das<lb/><hi rendition="#aq">factum</hi> (die verleumbdung/ ver&#x017F;pottung/ verkleinerung/ oder wie es nah-<lb/>
men haben mag) auch &#x017F;elbs denen/ &#x017F;o es zu ohren getragen/ oder die es ange-<lb/>
ho&#x0364;ret/ wol la&#x0364;ng&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en/ ob &#x017F;age ich &#x017F;olcher bey &#x017F;einer bu&#x017F;&#x017F;e no&#x0364;thig habe/<lb/>
&#x017F;olche &#x017F;eine &#x017F;u&#x0364;nden dem nech&#x017F;ten/ wider den &#x017F;ie begangen worden/ zu entde-<lb/>
cken/ und &#x017F;ie ihme abzubitten? oder ob zu wahrer buß und vergebung &#x017F;olcher<lb/>
heimlichen &#x017F;u&#x0364;nde gnug/ daß er &#x017F;ie GOtt dem HErrn beichte/ und in wahrem<lb/>
glauben abbitte/ auch &#x017F;ich bemu&#x0364;he/ <hi rendition="#aq">partis læ&#x017F;æ famam</hi> &#x017F;on&#x017F;ten bey aller gele-<lb/>
genheit zu vertheidigen/ und da er erfahren &#x017F;olte/ daß &#x017F;einer ehemals gefu&#x0364;hr-<lb/>
ter worte halben de&#x017F;&#x017F;en guter nahme angefochten werden wolte/ &#x017F;o dann u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;ein voriges <hi rendition="#aq">factum</hi> ern&#x017F;tliches mißfallen bezeuge/ und al&#x017F;o das gegebene a&#x0364;r-<lb/>
gernu&#x0364;ß bey denen es erreget/ mit allem fleiß auffzuheben trachte/ und ob er<lb/><hi rendition="#aq">factis his animoque firmiter de&#x017F;tinatis</hi> &#x017F;ein gewi&#x017F;&#x017F;en befriedigen ko&#x0364;nne/ und<lb/>
da ihm ferner hieru&#x0364;ber gedancken zu&#x017F;etzen wolten/ &#x017F;olche aus&#x017F;chlagen/ und ih-<lb/>
nen nicht geho&#x0364;r geben &#x017F;olle? Jn welcher frage formirung bereits die no&#x0364;thige <hi rendition="#aq">li-<lb/>
mitationes,</hi> oder was gleichwol der &#x017F;chuldige zu thun verbunden &#x017F;eye/ dabey<lb/>
&#x017F;tehen/ die &#x017F;on&#x017F;ten bemercken ha&#x0364;tte wollen/ wie nemlich gleichwol die bu&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0354] Das dritte Capitel. andern keine ruhe zuwege bringen kan/ ſo wolte ich es alſo anſehen/ daß Gott einen ſolchen menſchen dahin wieſe/ daß er ihm ſelbs mit erſtattung alles durch die erinnerung befundenen wehe thue/ und auff ſolche art endlichen das hertz befriedige. Daher er dann auch ſich deſſen nicht zubeſchwehren/ ſondern ſolches mittel nicht zu theuer zu achten haͤtte/ ſeinem gewiſſeneinige ruhe zu ſchaffen. Die andere Frage. Ob die bekaͤntnuͤß der ſuͤnden/ ſo wider den nechſten begangen/ bey allen faͤllen ſchlechterdings noͤthig/ auch ſonder dieſelbe der nech- ſte (der von ſolcher ſuͤnde nichts weiß/ weil ſie heimlich wider ihn mit worten begangen) vor unverſohnt zu halten/ und daher der beleidiger/ ſo lange er ſolche dem læſo nicht geoffenbaret und ab- gebeten/ deren keine vergebung bey GOtt ſich zu getroͤſten habe? AUf dieſe frage iſt bereits ſolcher gruͤndliche entſcheid in dem uͤberſchickten befindlich/ daß kaum ſehe/ was dazu zu thun noͤthig waͤre/ ſonderlich da ſie/ wie zuletzt geſchihet/ noch deutlicher eingeſchrencket wird; da es alſo lau- tet: Ob ein Chriſt/ der ſich erinnert/ daß er ehemals/ bevorab in ſeiner ju- gend/ ein und andern fehler ſeines nechſten/ andern im vertrauen/ oder aus unbeſonnenheit/ entdecket/ ſeine verbrechen und maͤngel durchgezogen/ von ſeinem thun unzeitig und unbefohlen geurtheilt/ oder auff andere weiſe und wege in worten ſeinen nechſten betreffend ſich verlauffen/ da ſolches dem læſo unwiſſend/ und dieſer alſo keinen groll oder feindſchafft deshalben heget/ das factum (die verleumbdung/ verſpottung/ verkleinerung/ oder wie es nah- men haben mag) auch ſelbs denen/ ſo es zu ohren getragen/ oder die es ange- hoͤret/ wol laͤngſt vergeſſen/ ob ſage ich ſolcher bey ſeiner buſſe noͤthig habe/ ſolche ſeine ſuͤnden dem nechſten/ wider den ſie begangen worden/ zu entde- cken/ und ſie ihme abzubitten? oder ob zu wahrer buß und vergebung ſolcher heimlichen ſuͤnde gnug/ daß er ſie GOtt dem HErrn beichte/ und in wahrem glauben abbitte/ auch ſich bemuͤhe/ partis læſæ famam ſonſten bey aller gele- genheit zu vertheidigen/ und da er erfahren ſolte/ daß ſeiner ehemals gefuͤhr- ter worte halben deſſen guter nahme angefochten werden wolte/ ſo dann uͤber ſein voriges factum ernſtliches mißfallen bezeuge/ und alſo das gegebene aͤr- gernuͤß bey denen es erreget/ mit allem fleiß auffzuheben trachte/ und ob er factis his animoque firmiter deſtinatis ſein gewiſſen befriedigen koͤnne/ und da ihm ferner hieruͤber gedancken zuſetzen wolten/ ſolche ausſchlagen/ und ih- nen nicht gehoͤr geben ſolle? Jn welcher frage formirung bereits die noͤthige li- mitationes, oder was gleichwol der ſchuldige zu thun verbunden ſeye/ dabey ſtehen/ die ſonſten bemercken haͤtte wollen/ wie nemlich gleichwol die buſſe ge- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/354
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/354>, abgerufen am 22.11.2024.