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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO XIII.
mit dem zeitlichen nicht so bewandt/ wie ihrer viel offt gedencken/ und sich ver-
lauten lassen/ an dem zeitlichen lige nicht so viel/ obs dieser oder jener habe/
seye daher keine sache/ da man sich vor GOTT grosser sünden zu sorgen habe/
wie man mit den gütern umgehe/ sondern da möge/ was der welt-brauch
autorisirt hat/ obs schon wider GOttes gebet und die liebe streiten solte/ wol
paßirt werden. Diesen gedancken/ welche sonst so gemein sind/ widerstehet
nichts kräfftiger/ als die furcht GOttes/ und also ist sie diejenige/ welche uns/
wie in andern sachen also auch in handlung/ regiren und vor allem unrecht
verwahren muß. Zu diesen beyden regeln wolte ich die dritte setzen/ so zwahr
mit in der zweyten stecken mag/ und freylich mit zu der forcht GOttes gehö-
ret/ nemlich die liebe/ und deroselben von unserem Heyland gefaßten aus-
spruch/ was wir wollen/ daß uns die leute thun/ das sollen wir ihnen
auch thun.
Wo diese tieff in das hertz getruckt/ und in allen handlungs-
geschäfften alles wol überlegt wird/ was wir/ wo wir in des andern stelle wä-
ren/ verlangen würden/ das uns geschehen solte/ so wird man sich nicht leicht
versündigen/ sondern unser gewissen in den meisten stücken unser eigener leh-
rer und richter seyn/ was uns zu thun oblige. Ohne diese allgemeine regeln
weiß ich wenig andere denen handels-leuten zu geben. Jch weiß daß liebe
freunde gesucht absonderlich zu determiniren/ was man vor eine regel des ge-
winns wegen zu machen hätte/ daß man darinnen nicht sein gewissen verletze.
Aber ich habe nachmal von christlichen handels-leuten gehöret/ und deuchtet
mich/ sie haben mich überzeugt/ daß solche regeln zu machen unmöglich seye/
oder man müste die gantze handelschafft ruiniren: Es lasse sich nicht eine allge-
meine proportion, wie viel man auf eine wahr zu schlagen habe/ setzen/ indem
der nachstand der einen offt durch mehrern gewinn an der andern/ soll anders
die handlung bestehen können/ ersetzet werden müste. Ja es würde offt ge-
schehen/ daß ein und anderes/ so man meinen solte/ das der liebe gemäß wäre/
wo es recht erwogen würde/ auf eine andere art der liebe viel gefährlicher ein-
trag thäte. Daß daher davor gehalten habe/ und noch in solcher meinung
bestehe/ ob zwahr vielleicht einige der kauffmannschafft besser verständige
Theologi, da ich hingegen nichts davon verstehe/ solten mögen etzliche nützli-
che regeln und erinnerungen geben können/ wie diese und jene steine des an-
stossens des gewissens in gewissen stücken zu bemercken und zu vermeiden
seyen/ daß doch das wenigste sich so eigenlich beschreiben lasse/ daß einer aus
denselben solte allemal so bald seines gewissens genugsame information ha-
ben können/ sondern ich wüßte keinen andern rath/ als daß bey einem handels-
mann endlich ein gutes Christenthum insgemein gepflantzet/ und also in sein
gemüth eine wahre ungefärbte furcht GOttes und auffrichtige liebe des
nechsten/ so dann geringachtung des zeitlichen (welches lauter dinge sind/ so

jegli-
H h h 2

ARTIC. IV. SECTIO XIII.
mit dem zeitlichen nicht ſo bewandt/ wie ihrer viel offt gedencken/ und ſich ver-
lauten laſſen/ an dem zeitlichen lige nicht ſo viel/ obs dieſer oder jener habe/
ſeye daher keine ſache/ da man ſich vor GOTT groſſer ſuͤnden zu ſorgen habe/
wie man mit den guͤtern umgehe/ ſondern da moͤge/ was der welt-brauch
autoriſirt hat/ obs ſchon wider GOttes gebet und die liebe ſtreiten ſolte/ wol
paßirt werden. Dieſen gedancken/ welche ſonſt ſo gemein ſind/ widerſtehet
nichts kraͤfftiger/ als die furcht GOttes/ und alſo iſt ſie diejenige/ welche uns/
wie in andern ſachen alſo auch in handlung/ regiren und vor allem unrecht
verwahren muß. Zu dieſen beyden regeln wolte ich die dritte ſetzen/ ſo zwahr
mit in der zweyten ſtecken mag/ und freylich mit zu der forcht GOttes gehoͤ-
ret/ nemlich die liebe/ und deroſelben von unſerem Heyland gefaßten aus-
ſpruch/ was wir wollen/ daß uns die leute thun/ das ſollen wir ihnen
auch thun.
Wo dieſe tieff in das hertz getruckt/ und in allen handlungs-
geſchaͤfften alles wol uͤberlegt wird/ was wir/ wo wir in des andern ſtelle waͤ-
ren/ verlangen wuͤrden/ das uns geſchehen ſolte/ ſo wird man ſich nicht leicht
verſuͤndigen/ ſondern unſer gewiſſen in den meiſten ſtuͤcken unſer eigener leh-
rer und richter ſeyn/ was uns zu thun oblige. Ohne dieſe allgemeine regeln
weiß ich wenig andere denen handels-leuten zu geben. Jch weiß daß liebe
freunde geſucht abſonderlich zu determiniren/ was man vor eine regel des ge-
winns wegen zu machen haͤtte/ daß man darinnen nicht ſein gewiſſen verletze.
Aber ich habe nachmal von chriſtlichen handels-leuten gehoͤret/ und deuchtet
mich/ ſie haben mich uͤberzeugt/ daß ſolche regeln zu machen unmoͤglich ſeye/
oder man muͤſte die gantze handelſchafft ruiniren: Es laſſe ſich nicht eine allge-
meine proportion, wie viel man auf eine wahr zu ſchlagen habe/ ſetzen/ indem
der nachſtand der einen offt durch mehrern gewinn an der andern/ ſoll anders
die handlung beſtehen koͤnnen/ erſetzet werden muͤſte. Ja es wuͤrde offt ge-
ſchehen/ daß ein und anderes/ ſo man meinen ſolte/ das der liebe gemaͤß waͤre/
wo es recht erwogen wuͤrde/ auf eine andere art der liebe viel gefaͤhrlicher ein-
trag thaͤte. Daß daher davor gehalten habe/ und noch in ſolcher meinung
beſtehe/ ob zwahr vielleicht einige der kauffmannſchafft beſſer verſtaͤndige
Theologi, da ich hingegen nichts davon verſtehe/ ſolten moͤgen etzliche nuͤtzli-
che regeln und erinnerungen geben koͤnnen/ wie dieſe und jene ſteine des an-
ſtoſſens des gewiſſens in gewiſſen ſtuͤcken zu bemercken und zu vermeiden
ſeyen/ daß doch das wenigſte ſich ſo eigenlich beſchreiben laſſe/ daß einer aus
denſelben ſolte allemal ſo bald ſeines gewiſſens genugſame information ha-
ben koͤnnen/ ſondern ich wuͤßte keinen andern rath/ als daß bey einem handels-
mann endlich ein gutes Chriſtenthum insgemein gepflantzet/ und alſo in ſein
gemuͤth eine wahre ungefaͤrbte furcht GOttes und auffrichtige liebe des
nechſten/ ſo dann geringachtung des zeitlichen (welches lauter dinge ſind/ ſo

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[427/0435] ARTIC. IV. SECTIO XIII. mit dem zeitlichen nicht ſo bewandt/ wie ihrer viel offt gedencken/ und ſich ver- lauten laſſen/ an dem zeitlichen lige nicht ſo viel/ obs dieſer oder jener habe/ ſeye daher keine ſache/ da man ſich vor GOTT groſſer ſuͤnden zu ſorgen habe/ wie man mit den guͤtern umgehe/ ſondern da moͤge/ was der welt-brauch autoriſirt hat/ obs ſchon wider GOttes gebet und die liebe ſtreiten ſolte/ wol paßirt werden. Dieſen gedancken/ welche ſonſt ſo gemein ſind/ widerſtehet nichts kraͤfftiger/ als die furcht GOttes/ und alſo iſt ſie diejenige/ welche uns/ wie in andern ſachen alſo auch in handlung/ regiren und vor allem unrecht verwahren muß. Zu dieſen beyden regeln wolte ich die dritte ſetzen/ ſo zwahr mit in der zweyten ſtecken mag/ und freylich mit zu der forcht GOttes gehoͤ- ret/ nemlich die liebe/ und deroſelben von unſerem Heyland gefaßten aus- ſpruch/ was wir wollen/ daß uns die leute thun/ das ſollen wir ihnen auch thun. Wo dieſe tieff in das hertz getruckt/ und in allen handlungs- geſchaͤfften alles wol uͤberlegt wird/ was wir/ wo wir in des andern ſtelle waͤ- ren/ verlangen wuͤrden/ das uns geſchehen ſolte/ ſo wird man ſich nicht leicht verſuͤndigen/ ſondern unſer gewiſſen in den meiſten ſtuͤcken unſer eigener leh- rer und richter ſeyn/ was uns zu thun oblige. Ohne dieſe allgemeine regeln weiß ich wenig andere denen handels-leuten zu geben. Jch weiß daß liebe freunde geſucht abſonderlich zu determiniren/ was man vor eine regel des ge- winns wegen zu machen haͤtte/ daß man darinnen nicht ſein gewiſſen verletze. Aber ich habe nachmal von chriſtlichen handels-leuten gehoͤret/ und deuchtet mich/ ſie haben mich uͤberzeugt/ daß ſolche regeln zu machen unmoͤglich ſeye/ oder man muͤſte die gantze handelſchafft ruiniren: Es laſſe ſich nicht eine allge- meine proportion, wie viel man auf eine wahr zu ſchlagen habe/ ſetzen/ indem der nachſtand der einen offt durch mehrern gewinn an der andern/ ſoll anders die handlung beſtehen koͤnnen/ erſetzet werden muͤſte. Ja es wuͤrde offt ge- ſchehen/ daß ein und anderes/ ſo man meinen ſolte/ das der liebe gemaͤß waͤre/ wo es recht erwogen wuͤrde/ auf eine andere art der liebe viel gefaͤhrlicher ein- trag thaͤte. Daß daher davor gehalten habe/ und noch in ſolcher meinung beſtehe/ ob zwahr vielleicht einige der kauffmannſchafft beſſer verſtaͤndige Theologi, da ich hingegen nichts davon verſtehe/ ſolten moͤgen etzliche nuͤtzli- che regeln und erinnerungen geben koͤnnen/ wie dieſe und jene ſteine des an- ſtoſſens des gewiſſens in gewiſſen ſtuͤcken zu bemercken und zu vermeiden ſeyen/ daß doch das wenigſte ſich ſo eigenlich beſchreiben laſſe/ daß einer aus denſelben ſolte allemal ſo bald ſeines gewiſſens genugſame information ha- ben koͤnnen/ ſondern ich wuͤßte keinen andern rath/ als daß bey einem handels- mann endlich ein gutes Chriſtenthum insgemein gepflantzet/ und alſo in ſein gemuͤth eine wahre ungefaͤrbte furcht GOttes und auffrichtige liebe des nechſten/ ſo dann geringachtung des zeitlichen (welches lauter dinge ſind/ ſo jegli- H h h 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/435>, abgerufen am 22.11.2024.