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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
thun/ sonderlich aber werde GOTT selbs eine solche offt beängstigte seele zu
rechter stund nach ihrer gedult-zeit in freyheit setzen. Also meine ich gründ-
lich gnug gezeiget zu haben/ daß so wol handels-leute selbs/ als ihre diener/ ih-
ren stand ohne verletzung ihres gewissens behalten und führen können/ obwol
bey beyden viele vorsichtigkeit und wachsamkeit/ sich auf dem gefährlichen weg
nicht zustossen/ nöthig ist/ so dann auch viele gedult erfordert wird: Also fäl-
let das haupt-fundament dahin/ so zu der nothwendigen verlassung der hand-
lung wollen geleget werden.

2. Hierzu setze billich/ daß es zu diesen zeiten nicht allein schwehr werde
aus einer profession zu einer andern überzugehen/ und gute gelegenheit zu
finden: Wie ich bekenne/ da auch der schluß zu ändern fest bliebe/ daß ich zu einer
dergleichen versorgung/ wie etwa gehoffet und verlanget würde/ keinen rath
zu geben wüste/ nachdem alle biß auf die geringste dienste so bewandt sind/ daß
immer deren/ die darauf warten/ sich eine solche anzahl findet/ daß die wenigste
darvon ihren zweck erreichen/ und zwahr nicht allezeit die frömmeste denen
andern vorgezogen werden. Sondern wir sehen die lebens-arten alle an/
wie wir wollen/ so ist keine einige/ die nicht eben so wol ihre beschwehrden ha-
be/ und das gewissen dabey seine stricke sehe/ vor denen es sich nicht eben alle-
mal gnug vorzusehen weiß. Also daß keine einige noch weniger anstösse
und gelegenheit zu sünden haben/ als die bloß dahin in eusserlichen hand-arbei-
ten bestehen/ wiewol sie doch auch nicht gar ohne gefahr sind. Was sonder-
lich anlanget die dienste/ so kan nimmermehr die handlung mehr klippen ha-
ben/ daran man sich stossen kan/ als die meiste dienste; theils wann meistens
die besoldungen so bewandt/ daß der auch vergnüglichste davon nicht nach
nothdurfft leben kan/ die accidentia aber gemeiniglich die gefährlichste stricke
sind; theils daß so offt geschihet/ daß solche leute anderer ungerechtigkeit
werckzeuge werden müssen/ mit mehrerer beängstigung der gewissen als kein
handels-diener bey einem auch geitzigen und ungerechten herrn. Da stecken
eben so wol solche gute leute in der klemme/ wenn ihnen befehl kommen/ wor-
nach sie sich achten müssen/ und hingegen das gewissen einige in der sache vor-
gehende ungerechtigkeit oder unbarmhertzigkeit zeiget/ die man doch exequi-
ren solle. Jn summa jeder sihet wol die beschwehrde und gefahr seines stan-
des/ als die er aus der erfahrung einsihet/ es bleiben ihm aber die beschwehr-
den und lasten anderer stände grossen theils verborgen: Und würden manche/
wo sie die andere auch eben also einsähen/ sich gern bey den ihrigen gedulden/
oder wieder lieber auffs neue nach denselben greiffen. Das macht/ das ver-
derben ist so allgemein worden/ und hat alle lebens-arten durchgetrungen/
daß eigen-liebe/ ungerechtigkeit und insgesamt was Johannes 1. Joh. 2/ 16.
welt
nennet/ überall/ nur in einem stand gröber und offenbarer/ in dem an-

dern

Das dritte Capitel.
thun/ ſonderlich aber werde GOTT ſelbs eine ſolche offt beaͤngſtigte ſeele zu
rechter ſtund nach ihrer gedult-zeit in freyheit ſetzen. Alſo meine ich gruͤnd-
lich gnug gezeiget zu haben/ daß ſo wol handels-leute ſelbs/ als ihre diener/ ih-
ren ſtand ohne verletzung ihres gewiſſens behalten und fuͤhren koͤnnen/ obwol
bey beyden viele vorſichtigkeit und wachſamkeit/ ſich auf dem gefaͤhrlichen weg
nicht zuſtoſſen/ noͤthig iſt/ ſo dann auch viele gedult erfordert wird: Alſo faͤl-
let das haupt-fundament dahin/ ſo zu der nothwendigen verlaſſung der hand-
lung wollen geleget werden.

2. Hierzu ſetze billich/ daß es zu dieſen zeiten nicht allein ſchwehr werde
aus einer profeſſion zu einer andern uͤberzugehen/ und gute gelegenheit zu
finden: Wie ich bekenne/ da auch der ſchluß zu aͤndern feſt bliebe/ daß ich zu einer
dergleichen verſorgung/ wie etwa gehoffet und verlanget wuͤrde/ keinen rath
zu geben wuͤſte/ nachdem alle biß auf die geringſte dienſte ſo bewandt ſind/ daß
immer deren/ die darauf warten/ ſich eine ſolche anzahl findet/ daß die wenigſte
darvon ihren zweck erreichen/ und zwahr nicht allezeit die froͤmmeſte denen
andern vorgezogen werden. Sondern wir ſehen die lebens-arten alle an/
wie wir wollen/ ſo iſt keine einige/ die nicht eben ſo wol ihre beſchwehrden ha-
be/ und das gewiſſen dabey ſeine ſtricke ſehe/ vor denen es ſich nicht eben alle-
mal gnug vorzuſehen weiß. Alſo daß keine einige noch weniger anſtoͤſſe
und gelegenheit zu ſuͤnden haben/ als die bloß dahin in euſſerlichen hand-arbei-
ten beſtehen/ wiewol ſie doch auch nicht gar ohne gefahr ſind. Was ſonder-
lich anlanget die dienſte/ ſo kan nimmermehr die handlung mehr klippen ha-
ben/ daran man ſich ſtoſſen kan/ als die meiſte dienſte; theils wann meiſtens
die beſoldungen ſo bewandt/ daß der auch vergnuͤglichſte davon nicht nach
nothdurfft leben kan/ die accidentia aber gemeiniglich die gefaͤhrlichſte ſtricke
ſind; theils daß ſo offt geſchihet/ daß ſolche leute anderer ungerechtigkeit
werckzeuge werden muͤſſen/ mit mehrerer beaͤngſtigung der gewiſſen als kein
handels-diener bey einem auch geitzigen und ungerechten herrn. Da ſtecken
eben ſo wol ſolche gute leute in der klemme/ wenn ihnen befehl kommen/ wor-
nach ſie ſich achten muͤſſen/ und hingegen das gewiſſen einige in der ſache vor-
gehende ungerechtigkeit oder unbarmhertzigkeit zeiget/ die man doch exequi-
ren ſolle. Jn ſumma jeder ſihet wol die beſchwehrde und gefahr ſeines ſtan-
des/ als die er aus der erfahrung einſihet/ es bleiben ihm aber die beſchwehr-
den und laſten anderer ſtaͤnde groſſen theils verborgen: Und wuͤrden manche/
wo ſie die andere auch eben alſo einſaͤhen/ ſich gern bey den ihrigen gedulden/
oder wieder lieber auffs neue nach denſelben greiffen. Das macht/ das ver-
derben iſt ſo allgemein worden/ und hat alle lebens-arten durchgetrungen/
daß eigen-liebe/ ungerechtigkeit und insgeſamt was Johannes 1. Joh. 2/ 16.
welt
nennet/ uͤberall/ nur in einem ſtand groͤber und offenbarer/ in dem an-

dern
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[438/0446] Das dritte Capitel. thun/ ſonderlich aber werde GOTT ſelbs eine ſolche offt beaͤngſtigte ſeele zu rechter ſtund nach ihrer gedult-zeit in freyheit ſetzen. Alſo meine ich gruͤnd- lich gnug gezeiget zu haben/ daß ſo wol handels-leute ſelbs/ als ihre diener/ ih- ren ſtand ohne verletzung ihres gewiſſens behalten und fuͤhren koͤnnen/ obwol bey beyden viele vorſichtigkeit und wachſamkeit/ ſich auf dem gefaͤhrlichen weg nicht zuſtoſſen/ noͤthig iſt/ ſo dann auch viele gedult erfordert wird: Alſo faͤl- let das haupt-fundament dahin/ ſo zu der nothwendigen verlaſſung der hand- lung wollen geleget werden. 2. Hierzu ſetze billich/ daß es zu dieſen zeiten nicht allein ſchwehr werde aus einer profeſſion zu einer andern uͤberzugehen/ und gute gelegenheit zu finden: Wie ich bekenne/ da auch der ſchluß zu aͤndern feſt bliebe/ daß ich zu einer dergleichen verſorgung/ wie etwa gehoffet und verlanget wuͤrde/ keinen rath zu geben wuͤſte/ nachdem alle biß auf die geringſte dienſte ſo bewandt ſind/ daß immer deren/ die darauf warten/ ſich eine ſolche anzahl findet/ daß die wenigſte darvon ihren zweck erreichen/ und zwahr nicht allezeit die froͤmmeſte denen andern vorgezogen werden. Sondern wir ſehen die lebens-arten alle an/ wie wir wollen/ ſo iſt keine einige/ die nicht eben ſo wol ihre beſchwehrden ha- be/ und das gewiſſen dabey ſeine ſtricke ſehe/ vor denen es ſich nicht eben alle- mal gnug vorzuſehen weiß. Alſo daß keine einige noch weniger anſtoͤſſe und gelegenheit zu ſuͤnden haben/ als die bloß dahin in euſſerlichen hand-arbei- ten beſtehen/ wiewol ſie doch auch nicht gar ohne gefahr ſind. Was ſonder- lich anlanget die dienſte/ ſo kan nimmermehr die handlung mehr klippen ha- ben/ daran man ſich ſtoſſen kan/ als die meiſte dienſte; theils wann meiſtens die beſoldungen ſo bewandt/ daß der auch vergnuͤglichſte davon nicht nach nothdurfft leben kan/ die accidentia aber gemeiniglich die gefaͤhrlichſte ſtricke ſind; theils daß ſo offt geſchihet/ daß ſolche leute anderer ungerechtigkeit werckzeuge werden muͤſſen/ mit mehrerer beaͤngſtigung der gewiſſen als kein handels-diener bey einem auch geitzigen und ungerechten herrn. Da ſtecken eben ſo wol ſolche gute leute in der klemme/ wenn ihnen befehl kommen/ wor- nach ſie ſich achten muͤſſen/ und hingegen das gewiſſen einige in der ſache vor- gehende ungerechtigkeit oder unbarmhertzigkeit zeiget/ die man doch exequi- ren ſolle. Jn ſumma jeder ſihet wol die beſchwehrde und gefahr ſeines ſtan- des/ als die er aus der erfahrung einſihet/ es bleiben ihm aber die beſchwehr- den und laſten anderer ſtaͤnde groſſen theils verborgen: Und wuͤrden manche/ wo ſie die andere auch eben alſo einſaͤhen/ ſich gern bey den ihrigen gedulden/ oder wieder lieber auffs neue nach denſelben greiffen. Das macht/ das ver- derben iſt ſo allgemein worden/ und hat alle lebens-arten durchgetrungen/ daß eigen-liebe/ ungerechtigkeit und insgeſamt was Johannes 1. Joh. 2/ 16. welt nennet/ uͤberall/ nur in einem ſtand groͤber und offenbarer/ in dem an- dern

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/446>, abgerufen am 22.11.2024.