Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.ARTIC. I. SECTIO X. Syllogismi conclusion passiren/ und unterschreibe ihr selbs. Wann aberdas argument also formiret würde: was den ceremonial- gesetzen wei- chet/ ist auch nicht moral; die feyr des sabbaths weichet den ceremoni- al- gesetzen/ daher ist sie nicht moral; so leugne ich den minorem, wo das weichen in seinem eigenlichen verstand gebraucht wird/ nemlich daß dessen obligation selbs auffgehoben werde; ob wol einiges weichen in dem verstand möchte zugegeben werden/ da des einen gebotes werck einem andern in gewis- ser maaß vorgezogen wird/ in welchem verstand hingegen der erste satz falsch seyn würde. Die sache aber besser zu verstehen/ wird vornemlich nöthig seyn/ daß wir bedencken/ worinnen die moralität des sabbaths bestehe; da ich sie nicht eigenlich setze in der ruhe des leibs/ oder der unterlassung der leiblichen arbeiten an und vor sich selbs/ sondern in dem: Nachdem der mensch in diesem jetzigen leben nicht allezeit unmittelbar mit GOtt und geistlichen dingen um- gehen kan/ sondern durch die irrdische geschäffte daran nicht wenig gehindert wird (sonderlich da diese nach dem fall gar zur straff und mehrer beschwehrde worden sind) daß GOtt dem menschen einen tag dazu verordnet hat/ da er als viel müglich ist/ allein mit göttlichen und geistlichen dingen umgehe/ und sich also göttlichen wirckungen zu seiner heiligung freyer darstelle. Dieses hal- te ich in dem N. T. das hauptwerck der sabbat-feyer/ und ist desselben art am gemässesten. Was aber betrifft die eusserliche unterlassung der arbeit/ wel- che in dem A. T. nach solches Testaments art so viel eigenlicher mit in das ge- bot an und vor sich selbs gehöret/ sehe ich jetzt nur an als ein mittel/ an jenem vornehmsten/ was geboten wird/ weniger gehindert zu werden. Nun alle exempel/ die angeführt werden/ heben das hauptwerck des sabbaths/ und die beschäfftigung des gemüths mit göttlichen dingen und betrachtungen/ nicht auf; also weichet dieses gebot andern nicht/ sondern sie lassen nur einigen eusser- lichen wercken neben sich platz/ dero unterlassung etlicher massen das gebotene in dem A. T. nach dessen Testaments art war/ aber uns in dem N. T. nicht e- ben verbindet/ und also nicht zu der moralität des tags oder gebots gehöret: wie dann nichts ungereimtes ist/ zu statuiren/ daß GOtt sonderlich in solches gebot zu demjenigen/ was eigenlich moral ist/ und allezeit aus der ersten einsetzung verbindlich gewesen/ in dem eigenlichen so genannten alten Testa- ment oder Levitischen dienst einige weitere determinationes hinzu gesetzt/ so deswegen nicht moral worden sind/ und also als etwas ceremoniales andern verrichtungenhat weichen können. Also wo ich die sache auff diesen fuß setze/ daß der wahre zweck und inhalt des gebotes seye/ die absonderung eines tags unter sieben zu geistlichen verrichtungen/ dem dienst GOttes und unsrer see- len heiligung/ die also nach sich ziehet die unterlassung der ordenlichen wo- chen- und irrdischen geschäfften/ nicht als das hauptwerck/ sondern nur als ein mit- E 3
ARTIC. I. SECTIO X. Syllogiſmi concluſion paſſiren/ und unterſchreibe ihr ſelbs. Wann aberdas argument alſo formiret wuͤrde: was den ceremonial- geſetzen wei- chet/ iſt auch nicht moral; die feyr des ſabbaths weichet den ceremoni- al- geſetzen/ daher iſt ſie nicht moral; ſo leugne ich den minorem, wo das weichen in ſeinem eigenlichen verſtand gebraucht wird/ nemlich daß deſſen obligation ſelbs auffgehoben werde; ob wol einiges weichen in dem verſtand moͤchte zugegeben werden/ da des einen gebotes werck einem andern in gewiſ- ſer maaß vorgezogen wird/ in welchem verſtand hingegen der erſte ſatz falſch ſeyn wuͤrde. Die ſache aber beſſer zu verſtehen/ wird vornemlich noͤthig ſeyn/ daß wir bedencken/ worinnen die moralitaͤt des ſabbaths beſtehe; da ich ſie nicht eigenlich ſetze in der ruhe des leibs/ oder der unterlaſſung der leiblichen arbeiten an und vor ſich ſelbs/ ſondern in dem: Nachdem der menſch in dieſem jetzigen leben nicht allezeit unmittelbar mit GOtt und geiſtlichen dingen um- gehen kan/ ſondern durch die irrdiſche geſchaͤffte daran nicht wenig gehindert wird (ſonderlich da dieſe nach dem fall gar zur ſtraff und mehrer beſchwehrde worden ſind) daß GOtt dem menſchen einen tag dazu verordnet hat/ da er als viel muͤglich iſt/ allein mit goͤttlichen und geiſtlichen dingen umgehe/ und ſich alſo goͤttlichen wirckungen zu ſeiner heiligung freyer darſtelle. Dieſes hal- te ich in dem N. T. das hauptwerck der ſabbat-feyer/ und iſt deſſelben art am gemaͤſſeſten. Was aber betrifft die euſſerliche unterlaſſung der arbeit/ wel- che in dem A. T. nach ſolches Teſtaments art ſo viel eigenlicher mit in das ge- bot an und vor ſich ſelbs gehoͤret/ ſehe ich jetzt nur an als ein mittel/ an jenem vornehmſten/ was geboten wird/ weniger gehindert zu werden. Nun alle exempel/ die angefuͤhrt werden/ heben das hauptwerck des ſabbaths/ und die beſchaͤfftigung des gemuͤths mit goͤttlichen dingen und betrachtungen/ nicht auf; alſo weichet dieſes gebot andern nicht/ ſondern ſie laſſen nur einigẽ euſſer- lichen wercken neben ſich platz/ dero unterlaſſung etlicher maſſen das gebotene in dem A. T. nach deſſen Teſtaments art war/ aber uns in dem N. T. nicht e- ben verbindet/ und alſo nicht zu der moralitaͤt des tags oder gebots gehoͤret: wie dann nichts ungereimtes iſt/ zu ſtatuiren/ daß GOtt ſonderlich in ſolches gebot zu demjenigen/ was eigenlich moral iſt/ und allezeit aus der erſten einſetzung verbindlich geweſen/ in dem eigenlichen ſo genannten alten Teſta- ment oder Levitiſchen dienſt einige weitere determinationes hinzu geſetzt/ ſo deswegen nicht moral worden ſind/ und alſo als etwas ceremoniales andern verrichtungenhat weichen koͤnnen. Alſo wo ich die ſache auff dieſen fuß ſetze/ daß der wahre zweck und inhalt des gebotes ſeye/ die abſonderung eines tags unter ſieben zu geiſtlichen verrichtungen/ dem dienſt GOttes und unſrer ſee- len heiligung/ die alſo nach ſich ziehet die unterlaſſung der ordenlichen wo- chen- und irrdiſchen geſchaͤfften/ nicht als das hauptwerck/ ſondern nur als ein mit- E 3
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ARTIC. I. SECTIO X.
Syllogiſmi concluſion paſſiren/ und unterſchreibe ihr ſelbs. Wann aber
das argument alſo formiret wuͤrde: was den ceremonial- geſetzen wei-
chet/ iſt auch nicht moral; die feyr des ſabbaths weichet den ceremoni-
al- geſetzen/ daher iſt ſie nicht moral; ſo leugne ich den minorem, wo das
weichen in ſeinem eigenlichen verſtand gebraucht wird/ nemlich daß deſſen
obligation ſelbs auffgehoben werde; ob wol einiges weichen in dem verſtand
moͤchte zugegeben werden/ da des einen gebotes werck einem andern in gewiſ-
ſer maaß vorgezogen wird/ in welchem verſtand hingegen der erſte ſatz falſch
ſeyn wuͤrde. Die ſache aber beſſer zu verſtehen/ wird vornemlich noͤthig ſeyn/
daß wir bedencken/ worinnen die moralitaͤt des ſabbaths beſtehe; da ich ſie
nicht eigenlich ſetze in der ruhe des leibs/ oder der unterlaſſung der leiblichen
arbeiten an und vor ſich ſelbs/ ſondern in dem: Nachdem der menſch in dieſem
jetzigen leben nicht allezeit unmittelbar mit GOtt und geiſtlichen dingen um-
gehen kan/ ſondern durch die irrdiſche geſchaͤffte daran nicht wenig gehindert
wird (ſonderlich da dieſe nach dem fall gar zur ſtraff und mehrer beſchwehrde
worden ſind) daß GOtt dem menſchen einen tag dazu verordnet hat/ da er
als viel muͤglich iſt/ allein mit goͤttlichen und geiſtlichen dingen umgehe/ und
ſich alſo goͤttlichen wirckungen zu ſeiner heiligung freyer darſtelle. Dieſes hal-
te ich in dem N. T. das hauptwerck der ſabbat-feyer/ und iſt deſſelben art am
gemaͤſſeſten. Was aber betrifft die euſſerliche unterlaſſung der arbeit/ wel-
che in dem A. T. nach ſolches Teſtaments art ſo viel eigenlicher mit in das ge-
bot an und vor ſich ſelbs gehoͤret/ ſehe ich jetzt nur an als ein mittel/ an jenem
vornehmſten/ was geboten wird/ weniger gehindert zu werden. Nun alle
exempel/ die angefuͤhrt werden/ heben das hauptwerck des ſabbaths/ und die
beſchaͤfftigung des gemuͤths mit goͤttlichen dingen und betrachtungen/ nicht
auf; alſo weichet dieſes gebot andern nicht/ ſondern ſie laſſen nur einigẽ euſſer-
lichen wercken neben ſich platz/ dero unterlaſſung etlicher maſſen das gebotene
in dem A. T. nach deſſen Teſtaments art war/ aber uns in dem N. T. nicht e-
ben verbindet/ und alſo nicht zu der moralitaͤt des tags oder gebots gehoͤret:
wie dann nichts ungereimtes iſt/ zu ſtatuiren/ daß GOtt ſonderlich in ſolches
gebot zu demjenigen/ was eigenlich moral iſt/ und allezeit aus der erſten
einſetzung verbindlich geweſen/ in dem eigenlichen ſo genannten alten Teſta-
ment oder Levitiſchen dienſt einige weitere determinationes hinzu geſetzt/ ſo
deswegen nicht moral worden ſind/ und alſo als etwas ceremoniales andern
verrichtungenhat weichen koͤnnen. Alſo wo ich die ſache auff dieſen fuß ſetze/
daß der wahre zweck und inhalt des gebotes ſeye/ die abſonderung eines tags
unter ſieben zu geiſtlichen verrichtungen/ dem dienſt GOttes und unſrer ſee-
len heiligung/ die alſo nach ſich ziehet die unterlaſſung der ordenlichen wo-
chen- und irrdiſchen geſchaͤfften/ nicht als das hauptwerck/ ſondern nur als ein
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