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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO XXVI.
jedoch achte zu der sache besserem verstand unterschiedliches zu bemercken
nöthig. 1. Es kan mit perruquen auch sündlicher pracht getrieben werden/ wie
mit allen andern stücken/ die zu des menschen kleidung und habit gehören/ so
wol durch dero kostbarkeit als unzimlichen fleiß und sorgfalt/ so man daran
wendet/ so dann eigenem wohlgefallen/ das man daran hat/ und seinem al-
ten Adam/ der gern pranget/ damit krauet. Es ist aber alsdenn nicht die
perruque an sich selbs schuldig/ sondern die sünde stecket in dem hertzen/ kan
auch nicht weniger mit eigenen haaren begangen werden; ja wo das eigne
wohlgefallen in dem hertzen stecket/ und man bey andern gesehen seyn will/ kan
im gegentheil gleichwie ein abgeschaben münchs-kleid in der opinion der
mehrern heiligkeit/ also auch die aus gleicher ursach herkommende nachläßig-
keit in den haaren zum sündlichen pracht werden. 2. An sich selbs a-
ber sind perruquen, sofern sie nichts anders sind/ als gebrauch frembder an
statt eigner haar/ zu dem ende/ dazu uns die haare natürlich gegeben sind/ ei-
genliche freye mitteldinge/ indem sie von GOtt nirgends verboten sind. Aus
dem A. T. kan nicht das geringste dagegen angeführet werden/ da doch sonsten
Gott den Jsraeliten in eusserlichen dingen allerhand ordnungen vorgeschrie-
ben/ also gewiß nichts auszutrucken vergessen hat/ was ihm im eusser lichen
schlechterdings zuwider wäre. So vielweniger kan es dann in dem N. T.
verboten seyn/ da wir ohne das von allen eusserlichen satzungen befreyet/ nun-
mehr kein ander gesetz haben/ als das gesetz der liebe: also gar daß uns nichts
verboten ist/ was nicht der liebe (nemlich GOttes/ des nechsten und unser
selbs) entgegen stehet: dahingegen mit keinem zimlichen schein gezeiget wer-
den kan/ wie die perruquen einiger art der liebe entgegen wären: ja zu erhal-
tung der gesundheit/ kommen sie vielmehr bey denen/ welche ihr bedörffen/
mit der liebe seiner selbs überein/ und werden von derselben erfordert. 3. Dem
möchte allein entgegen gehalten werden/ was 1. Cor. 11/ 14. 15. stehet/ daß
auch die natur lehre/ daß es einem mann eine unehr seye/ so er lange
haar zeuge/ dem weib aber eine ehre/ wo sie dergleichen zeuge.
Es
folget aber nichts mehr daraus/ als daß die natur und natürliche beschaffen-
heit beyderley geschlechter/ da das weibliche ordenlich nach seiner natur mehr
und längere haar hat/ anzeige/ daß jegliches geschlecht in seiner ordnung/ da-
zu es GOtt geschaffen hat/ bleiben/ und demselben sich gern bequemen solle:
Dahingegen wo manns-personen auff weibische art ihre haar lang wachsen
lassen/ und darinnen prangen wollen/ solches den schein gibet/ daß sie sich des
vorzugs aus der natur wider göttliche ordnung begeben wolten: hingegen
welches weib die haar verschneidet/ und die zierde ihrer natur ableget/ einent
mann gleich zu werden/ schämet sich göttlicher ordnung/ als die mit ihrem ge-
schlecht nicht zu frieden ist. Dieses aber gehet die perruquen, welche der na-

türli-
O o o 3

ARTIC. IV. SECTIO XXVI.
jedoch achte zu der ſache beſſerem verſtand unterſchiedliches zu bemercken
noͤthig. 1. Es kan mit perruquen auch ſuͤndlicher pracht getrieben werden/ wie
mit allen andern ſtuͤcken/ die zu des menſchen kleidung und habit gehoͤren/ ſo
wol durch dero koſtbarkeit als unzimlichen fleiß und ſorgfalt/ ſo man daran
wendet/ ſo dann eigenem wohlgefallen/ das man daran hat/ und ſeinem al-
ten Adam/ der gern pranget/ damit krauet. Es iſt aber alsdenn nicht die
perruque an ſich ſelbs ſchuldig/ ſondern die ſuͤnde ſtecket in dem hertzen/ kan
auch nicht weniger mit eigenen haaren begangen werden; ja wo das eigne
wohlgefallen in dem hertzen ſtecket/ und man bey andern geſehen ſeyn will/ kan
im gegentheil gleichwie ein abgeſchaben muͤnchs-kleid in der opinion der
mehrern heiligkeit/ alſo auch die aus gleicher urſach herkommende nachlaͤßig-
keit in den haaren zum ſuͤndlichen pracht werden. 2. An ſich ſelbs a-
ber ſind perruquen, ſofern ſie nichts anders ſind/ als gebrauch frembder an
ſtatt eigner haar/ zu dem ende/ dazu uns die haare natuͤrlich gegeben ſind/ ei-
genliche freye mitteldinge/ indem ſie von GOtt nirgends verboten ſind. Aus
dem A. T. kan nicht das geringſte dagegen angefuͤhret werden/ da doch ſonſten
Gott den Jſraeliten in euſſerlichen dingen allerhand ordnungen vorgeſchrie-
ben/ alſo gewiß nichts auszutrucken vergeſſen hat/ was ihm im euſſer lichen
ſchlechterdings zuwider waͤre. So vielweniger kan es dann in dem N. T.
verboten ſeyn/ da wir ohne das von allen euſſerlichen ſatzungen befreyet/ nun-
mehr kein ander geſetz haben/ als das geſetz der liebe: alſo gar daß uns nichts
verboten iſt/ was nicht der liebe (nemlich GOttes/ des nechſten und unſer
ſelbs) entgegen ſtehet: dahingegen mit keinem zimlichen ſchein gezeiget wer-
den kan/ wie die perruquen einiger art der liebe entgegen waͤren: ja zu erhal-
tung der geſundheit/ kommen ſie vielmehr bey denen/ welche ihr bedoͤrffen/
mit der liebe ſeiner ſelbs uͤberein/ und werden von derſelben erfordert. 3. Dem
moͤchte allein entgegen gehalten werden/ was 1. Cor. 11/ 14. 15. ſtehet/ daß
auch die natur lehre/ daß es einem mann eine unehr ſeye/ ſo er lange
haar zeuge/ dem weib aber eine ehre/ wo ſie dergleichen zeuge.
Es
folget aber nichts mehr daraus/ als daß die natur und natuͤrliche beſchaffen-
heit beyderley geſchlechter/ da das weibliche ordenlich nach ſeiner natur mehr
und laͤngere haar hat/ anzeige/ daß jegliches geſchlecht in ſeiner ordnung/ da-
zu es GOtt geſchaffen hat/ bleiben/ und demſelben ſich gern bequemen ſolle:
Dahingegen wo manns-perſonen auff weibiſche art ihre haar lang wachſen
laſſen/ und darinnen prangen wollen/ ſolches den ſchein gibet/ daß ſie ſich des
vorzugs aus der natur wider goͤttliche ordnung begeben wolten: hingegen
welches weib die haar verſchneidet/ und die zierde ihrer natur ableget/ einent
mann gleich zu werden/ ſchaͤmet ſich goͤttlicher ordnung/ als die mit ihrem ge-
ſchlecht nicht zu frieden iſt. Dieſes aber gehet die perruquen, welche der na-

tuͤrli-
O o o 3
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[477/0485] ARTIC. IV. SECTIO XXVI. jedoch achte zu der ſache beſſerem verſtand unterſchiedliches zu bemercken noͤthig. 1. Es kan mit perruquen auch ſuͤndlicher pracht getrieben werden/ wie mit allen andern ſtuͤcken/ die zu des menſchen kleidung und habit gehoͤren/ ſo wol durch dero koſtbarkeit als unzimlichen fleiß und ſorgfalt/ ſo man daran wendet/ ſo dann eigenem wohlgefallen/ das man daran hat/ und ſeinem al- ten Adam/ der gern pranget/ damit krauet. Es iſt aber alsdenn nicht die perruque an ſich ſelbs ſchuldig/ ſondern die ſuͤnde ſtecket in dem hertzen/ kan auch nicht weniger mit eigenen haaren begangen werden; ja wo das eigne wohlgefallen in dem hertzen ſtecket/ und man bey andern geſehen ſeyn will/ kan im gegentheil gleichwie ein abgeſchaben muͤnchs-kleid in der opinion der mehrern heiligkeit/ alſo auch die aus gleicher urſach herkommende nachlaͤßig- keit in den haaren zum ſuͤndlichen pracht werden. 2. An ſich ſelbs a- ber ſind perruquen, ſofern ſie nichts anders ſind/ als gebrauch frembder an ſtatt eigner haar/ zu dem ende/ dazu uns die haare natuͤrlich gegeben ſind/ ei- genliche freye mitteldinge/ indem ſie von GOtt nirgends verboten ſind. Aus dem A. T. kan nicht das geringſte dagegen angefuͤhret werden/ da doch ſonſten Gott den Jſraeliten in euſſerlichen dingen allerhand ordnungen vorgeſchrie- ben/ alſo gewiß nichts auszutrucken vergeſſen hat/ was ihm im euſſer lichen ſchlechterdings zuwider waͤre. So vielweniger kan es dann in dem N. T. verboten ſeyn/ da wir ohne das von allen euſſerlichen ſatzungen befreyet/ nun- mehr kein ander geſetz haben/ als das geſetz der liebe: alſo gar daß uns nichts verboten iſt/ was nicht der liebe (nemlich GOttes/ des nechſten und unſer ſelbs) entgegen ſtehet: dahingegen mit keinem zimlichen ſchein gezeiget wer- den kan/ wie die perruquen einiger art der liebe entgegen waͤren: ja zu erhal- tung der geſundheit/ kommen ſie vielmehr bey denen/ welche ihr bedoͤrffen/ mit der liebe ſeiner ſelbs uͤberein/ und werden von derſelben erfordert. 3. Dem moͤchte allein entgegen gehalten werden/ was 1. Cor. 11/ 14. 15. ſtehet/ daß auch die natur lehre/ daß es einem mann eine unehr ſeye/ ſo er lange haar zeuge/ dem weib aber eine ehre/ wo ſie dergleichen zeuge. Es folget aber nichts mehr daraus/ als daß die natur und natuͤrliche beſchaffen- heit beyderley geſchlechter/ da das weibliche ordenlich nach ſeiner natur mehr und laͤngere haar hat/ anzeige/ daß jegliches geſchlecht in ſeiner ordnung/ da- zu es GOtt geſchaffen hat/ bleiben/ und demſelben ſich gern bequemen ſolle: Dahingegen wo manns-perſonen auff weibiſche art ihre haar lang wachſen laſſen/ und darinnen prangen wollen/ ſolches den ſchein gibet/ daß ſie ſich des vorzugs aus der natur wider goͤttliche ordnung begeben wolten: hingegen welches weib die haar verſchneidet/ und die zierde ihrer natur ableget/ einent mann gleich zu werden/ ſchaͤmet ſich goͤttlicher ordnung/ als die mit ihrem ge- ſchlecht nicht zu frieden iſt. Dieſes aber gehet die perruquen, welche der na- tuͤrli- O o o 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/485>, abgerufen am 22.11.2024.