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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
wo umständlicher den weg/ welchen der HErr ihn geführet/ und wie er auff
solchem fortgefahren/ erfahren könte. Dabey versichre ich/ daß auch seines
lieben nahmens vor dem angesicht des HErrn unvergessen bleiben werde.
Den fleiß in denen von Petro in der 2. epistel am 1. capitel erzehlten tugenden
kan nicht anders als loben: nur will hoffen/ derselbe werde trachten/ ihn
vielmehr aus dem Evangelio als aus dem gesetz herzu ziehen und fortzuse-
tzen. Davon ich um der ursach willen meldung thue/ weil mir bekant/ daß
zuweilen einige gute seelen sich damit mehr hindern als fordern/ wann sie
fast ihr einiges werck daraus machen/ sich allein ihre obligende pflichten stets
vor augen zu stellen/ auch in lesung der H. Schrifft fast allein auff dieselbige
acht zu geben/ und sich um die übung derselben offters fast angsthafft zu be-
mühen/ dabey sie sich vielen zwang anzuthun meistens nöthig befinden. Da
hingegen der evangelische weg viel herrlicher kräfftiger und gesegneter ist
worauff der liebe Apostel selbs an solchem ort weiset/ wann er saget/ daß
allerley göttliche krafft/ was zum leben und göttlichen wandel dienet/
uns durch die erkäntnüß des der uns beruffen habe durch seine herr-
lichkeit und tugend/ geschencket werde.
Daher wo ein Christ sein haupt-
werck sein lässet/ am meisten seinen glauben an JEsum zu stärcken/ und in
dessen lebendiger erkäntnüß durch tägliche/ ja gleichsam stündliche betrach-
tung desselben herrlichkeit und unaussprechlicher wolthaten/ ja gegen uns
brennender liebe/ so dann der theuren schätze der seeligkeit/ die wir bereits in
denselben haben (dann alles solches gehöret zu seiner wahren erkäntnüß) zu
wachsen/ so wird dardurch am glücklichsten auch aller wachsthum in den ü-
brigen tugenden des lebens ohne eusserliche viele mühe von innen ausbeför-
dert. Jn dem da der glaube die gesegnete wurtzel alles übrigen guten ist/
fehlet sich nicht./ daß nicht dessen vermehrung auch desto mehrere frücht eu
bringen müßte: und wo die seele das feuer der liebe ihres JEsu durch stäte
glaubige betrachtung gleichsam in sich zeucht/ so zündet dasselbe aus dem
glauben sie hinwiderum mit derjenigen liebe an/ die durch alle andere tugen-
den würcket/ und nicht anders als gutes thun kan/ ja solches auch thut/ da
sie kaum daran gedencket. Daher solcher gehorsam das wenigste erzwun-
gene oder angsthaffte bey sich hat/ weil alles aus dem wahren innern grund
des glaubens gehet. Dieses wünsche nun/ daß auch bißher meines wehrten
Herrn meiste übung gewesen sey/ er auch in derselben stets fortfahre/ und
täglich neue früchten daraus in göttlichem seegen seliglich genieße/ so dann
mit seinem exempel auch andre neben sich darzu auffmuntere. Was im ü-
brigen das freundliche begehren wegen der Reformirten von den unsrigen
unterschiedenen lehrsätzen anlangt/ würde es vor einen brieff zu groß seyn/

auch

Das fuͤnffte Capitel.
wo umſtaͤndlicher den weg/ welchen der HErr ihn gefuͤhret/ und wie er auff
ſolchem fortgefahren/ erfahren koͤnte. Dabey verſichre ich/ daß auch ſeines
lieben nahmens vor dem angeſicht des HErrn unvergeſſen bleiben werde.
Den fleiß in denen von Petro in der 2. epiſtel am 1. capitel erzehlten tugenden
kan nicht anders als loben: nur will hoffen/ derſelbe werde trachten/ ihn
vielmehr aus dem Evangelio als aus dem geſetz herzu ziehen und fortzuſe-
tzen. Davon ich um der urſach willen meldung thue/ weil mir bekant/ daß
zuweilen einige gute ſeelen ſich damit mehr hindern als fordern/ wann ſie
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vor augen zu ſtellen/ auch in leſung der H. Schrifft faſt allein auff dieſelbige
acht zu geben/ und ſich um die uͤbung derſelben offters faſt angſthafft zu be-
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hingegen der evangeliſche weg viel herrlicher kraͤfftiger und geſegneter iſt
worauff der liebe Apoſtel ſelbs an ſolchem ort weiſet/ wann er ſaget/ daß
allerley goͤttliche krafft/ was zum leben und goͤttlichen wandel dienet/
uns durch die erkaͤntnuͤß des der uns beruffen habe durch ſeine herr-
lichkeit und tugend/ geſchencket werde.
Daher wo ein Chriſt ſein haupt-
werck ſein laͤſſet/ am meiſten ſeinen glauben an JEſum zu ſtaͤrcken/ und in
deſſen lebendiger erkaͤntnuͤß durch taͤgliche/ ja gleichſam ſtuͤndliche betrach-
tung deſſelben herrlichkeit und unausſprechlicher wolthaten/ ja gegen uns
brennender liebe/ ſo dann der theuren ſchaͤtze der ſeeligkeit/ die wir bereits in
denſelben haben (dann alles ſolches gehoͤret zu ſeiner wahren erkaͤntnuͤß) zu
wachſen/ ſo wird dardurch am gluͤcklichſten auch aller wachsthum in den uͤ-
brigen tugenden des lebens ohne euſſerliche viele muͤhe von innen ausbefoͤr-
dert. Jn dem da der glaube die geſegnete wurtzel alles uͤbrigen guten iſt/
fehlet ſich nicht./ daß nicht deſſen vermehrung auch deſto mehrere fruͤcht eu
bringen muͤßte: und wo die ſeele das feuer der liebe ihres JEſu durch ſtaͤte
glaubige betrachtung gleichſam in ſich zeucht/ ſo zuͤndet daſſelbe aus dem
glauben ſie hinwiderum mit derjenigen liebe an/ die durch alle andere tugen-
den wuͤrcket/ und nicht anders als gutes thun kan/ ja ſolches auch thut/ da
ſie kaum daran gedencket. Daher ſolcher gehorſam das wenigſte erzwun-
gene oder angſthaffte bey ſich hat/ weil alles aus dem wahren innern grund
des glaubens gehet. Dieſes wuͤnſche nun/ daß auch bißher meines wehrten
Herrn meiſte uͤbung geweſen ſey/ er auch in derſelben ſtets fortfahre/ und
taͤglich neue fruͤchten daraus in goͤttlichem ſeegen ſeliglich genieße/ ſo dann
mit ſeinem exempel auch andre neben ſich darzu auffmuntere. Was im uͤ-
brigen das freundliche begehren wegen der Reformirten von den unſrigen
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auch
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[690/0698] Das fuͤnffte Capitel. wo umſtaͤndlicher den weg/ welchen der HErr ihn gefuͤhret/ und wie er auff ſolchem fortgefahren/ erfahren koͤnte. Dabey verſichre ich/ daß auch ſeines lieben nahmens vor dem angeſicht des HErrn unvergeſſen bleiben werde. Den fleiß in denen von Petro in der 2. epiſtel am 1. capitel erzehlten tugenden kan nicht anders als loben: nur will hoffen/ derſelbe werde trachten/ ihn vielmehr aus dem Evangelio als aus dem geſetz herzu ziehen und fortzuſe- tzen. Davon ich um der urſach willen meldung thue/ weil mir bekant/ daß zuweilen einige gute ſeelen ſich damit mehr hindern als fordern/ wann ſie faſt ihr einiges werck daraus machen/ ſich allein ihre obligende pflichten ſtets vor augen zu ſtellen/ auch in leſung der H. Schrifft faſt allein auff dieſelbige acht zu geben/ und ſich um die uͤbung derſelben offters faſt angſthafft zu be- muͤhen/ dabey ſie ſich vielen zwang anzuthun meiſtens noͤthig befinden. Da hingegen der evangeliſche weg viel herrlicher kraͤfftiger und geſegneter iſt worauff der liebe Apoſtel ſelbs an ſolchem ort weiſet/ wann er ſaget/ daß allerley goͤttliche krafft/ was zum leben und goͤttlichen wandel dienet/ uns durch die erkaͤntnuͤß des der uns beruffen habe durch ſeine herr- lichkeit und tugend/ geſchencket werde. Daher wo ein Chriſt ſein haupt- werck ſein laͤſſet/ am meiſten ſeinen glauben an JEſum zu ſtaͤrcken/ und in deſſen lebendiger erkaͤntnuͤß durch taͤgliche/ ja gleichſam ſtuͤndliche betrach- tung deſſelben herrlichkeit und unausſprechlicher wolthaten/ ja gegen uns brennender liebe/ ſo dann der theuren ſchaͤtze der ſeeligkeit/ die wir bereits in denſelben haben (dann alles ſolches gehoͤret zu ſeiner wahren erkaͤntnuͤß) zu wachſen/ ſo wird dardurch am gluͤcklichſten auch aller wachsthum in den uͤ- brigen tugenden des lebens ohne euſſerliche viele muͤhe von innen ausbefoͤr- dert. Jn dem da der glaube die geſegnete wurtzel alles uͤbrigen guten iſt/ fehlet ſich nicht./ daß nicht deſſen vermehrung auch deſto mehrere fruͤcht eu bringen muͤßte: und wo die ſeele das feuer der liebe ihres JEſu durch ſtaͤte glaubige betrachtung gleichſam in ſich zeucht/ ſo zuͤndet daſſelbe aus dem glauben ſie hinwiderum mit derjenigen liebe an/ die durch alle andere tugen- den wuͤrcket/ und nicht anders als gutes thun kan/ ja ſolches auch thut/ da ſie kaum daran gedencket. Daher ſolcher gehorſam das wenigſte erzwun- gene oder angſthaffte bey ſich hat/ weil alles aus dem wahren innern grund des glaubens gehet. Dieſes wuͤnſche nun/ daß auch bißher meines wehrten Herrn meiſte uͤbung geweſen ſey/ er auch in derſelben ſtets fortfahre/ und taͤglich neue fruͤchten daraus in goͤttlichem ſeegen ſeliglich genieße/ ſo dann mit ſeinem exempel auch andre neben ſich darzu auffmuntere. Was im uͤ- brigen das freundliche begehren wegen der Reformirten von den unſrigen unterſchiedenen lehrſaͤtzen anlangt/ wuͤrde es vor einen brieff zu groß ſeyn/ auch

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/698>, abgerufen am 22.11.2024.