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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO II.
weiß ich nicht/ wie viel mir der HErr bestimmet haben möchte: Jedoch der gewis-
sen zuversicht lebende/ daß er so getreu sey/ daß er entweder keine versuchungen/
welche über die gegenwärtige kräfften wären/ mir zusenden/ oder so bald mit neuer
krafft aus der höhe zu dero überwindung mich auch anthun und ausrüsten werde.
Jch suche mich auch bey zeiten auff alle die jenigen arten gefaßt zumachen/ die mich
betreffen könten: wo ich in der theoria finde und leicht begreiffen kan/ daß keine
einige ursach so wichtig seyn könne/ uns von der vergnüglichen ruhe in GOtt und
der freudigkeit des glaubens in ihm abzutreiben: aber ich weiß auch dieses wohl/
daß wo der HErr uns in die probe und in den ofen wirfft/ es in unserer macht
nicht stehe/ die krafft auch des kräfftigsten trostes/ der uns sonsten mit hertzlicher
süßigkeit erqvicket hat/ zuschmecken/ sondern daß ob wohl nicht dem göttlichen wort
seine krafft entzogen jedoch unser geschmack gehemmet werde/ dieselbe vergnüglich
zuempfinden/ biß die stunde der versuchung und das wetter vorbeyist. Daß also die
praxis von der theoria noch zimlich entfernet ist/ und nicht also bald das jenige
in dem hertzen gefühlet wird/ wessen der verstand gnugsam und ohne widerspruch
überzeuget ist. Jedoch ist nicht zuleugnen/ daß die gründe/ die wir zu guter zeit fassen/
auffs wenigste gute waffen sind/ damit wir gegen die einstürmende anfechtungen
kämpffen. Da ist mir gegen die so vormalige als noch in der schwachheit des
fleisches übrig-habende sünde/ die vorstellung der unendlichen gnade des Vaters
und vollkommensten verdienstes unsers liebsten Heylandes eine unüberwindliche
sestung. Jedoch weiß ich/ wie auch da in der zueignung die krafft der anfechtung
so starck seyn mag/ zuweilen die empfindung deß daher sonsten fliessenden trostes
allerdings zuhemmen. Nicht anders gehets bey andern ursachen der hertzens
ängsten: plaget mich das ansehen des eussersten verderbens/ daß ich durch und
durch an allen orten/ und vor menschen augen keine hülffe/ sondern vielmehr die
noch weiter zunehmende gefahr sehe/ und billich das schreckliche gericht/ in welchem
so viel tausend seelen verlohren gehen/ bedaure/ so weiß ich zwahr wohl/ daß ich
mit göttlichem willen zufrieden seyn solle/ ja daß/ so fern auff solche art GOtt in der
offenbahrung seiner gerechtigkeit will verherrlichet seyn/ dasselbe/ obs wohl mit
zulassung vieles bösen geschehe/ dennoch das allerbeste seye/ daß GOTT der die
barmhertzigkeit selbsten ist/ deswegen viel barmhertziger seye/ als ich oder einiger
mensch seyn mag/ und der ursach halber/ wo er etwas geschehen lasse/ mein un-
mäßiges erbarmen eben so wohl unordentlich werden möchte: ferner daß denen/
die über solche greuel seuffzen und ihre seelen zuretten trachten/ diese zur ausbeute
gegeben/ Jerem. 45/ 3. 5. und sie als ein brandt aus dem feuer errettet werden sollen:
und was andere dergleichen betrachtungen mehr sind. Aber ich finde in der erfah-
rung/ wie diese an sich selbst unbetrügliche stärckeste gründe/ da sie durch unsere

schwach-
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ARTIC. II. SECTIO II.
weiß ich nicht/ wie viel mir der HErr beſtimmet haben moͤchte: Jedoch der gewiſ-
ſen zuverſicht lebende/ daß er ſo getreu ſey/ daß er entweder keine verſuchungen/
welche uͤber die gegenwaͤrtige kraͤfften waͤren/ mir zuſenden/ oder ſo bald mit neuer
krafft aus der hoͤhe zu dero uͤberwindung mich auch anthun und ausruͤſten werde.
Jch ſuche mich auch bey zeiten auff alle die jenigen arten gefaßt zumachen/ die mich
betreffen koͤnten: wo ich in der theoria finde und leicht begreiffen kan/ daß keine
einige urſach ſo wichtig ſeyn koͤnne/ uns von der vergnuͤglichen ruhe in GOtt und
der freudigkeit des glaubens in ihm abzutreiben: aber ich weiß auch dieſes wohl/
daß wo der HErr uns in die probe und in den ofen wirfft/ es in unſerer macht
nicht ſtehe/ die krafft auch des kraͤfftigſten troſtes/ der uns ſonſten mit hertzlicher
ſuͤßigkeit erqvicket hat/ zuſchmecken/ ſondern daß ob wohl nicht dem goͤttlichen wort
ſeine krafft entzogen jedoch unſer geſchmack gehemmet werde/ dieſelbe vergnuͤglich
zuempfinden/ biß die ſtunde der verſuchung und das wetter vorbeyiſt. Daß alſo die
praxis von der theoria noch zimlich entfernet iſt/ und nicht alſo bald das jenige
in dem hertzen gefuͤhlet wird/ weſſen der verſtand gnugſam und ohne widerſpruch
uͤberzeuget iſt. Jedoch iſt nicht zuleugnen/ daß die gruͤnde/ die wir zu guter zeit faſſen/
auffs wenigſte gute waffen ſind/ damit wir gegen die einſtuͤrmende anfechtungen
kaͤmpffen. Da iſt mir gegen die ſo vormalige als noch in der ſchwachheit des
fleiſches uͤbrig-habende ſuͤnde/ die vorſtellung der unendlichen gnade des Vaters
und vollkommenſten verdienſtes unſers liebſten Heylandes eine unuͤberwindliche
ſeſtung. Jedoch weiß ich/ wie auch da in der zueignung die krafft der anfechtung
ſo ſtarck ſeyn mag/ zuweilen die empfindung deß daher ſonſten flieſſenden troſtes
allerdings zuhemmen. Nicht anders gehets bey andern urſachen der hertzens
aͤngſten: plaget mich das anſehen des euſſerſten verderbens/ daß ich durch und
durch an allen orten/ und vor menſchen augen keine huͤlffe/ ſondern vielmehr die
noch weiter zunehmende gefahr ſehe/ und billich das ſchreckliche gericht/ in welchem
ſo viel tauſend ſeelen verlohren gehen/ bedaure/ ſo weiß ich zwahr wohl/ daß ich
mit goͤttlichem willen zufrieden ſeyn ſolle/ ja daß/ ſo fern auff ſolche art GOtt in der
offenbahrung ſeiner gerechtigkeit will verherrlichet ſeyn/ daſſelbe/ obs wohl mit
zulaſſung vieles boͤſen geſchehe/ dennoch das allerbeſte ſeye/ daß GOTT der die
barmhertzigkeit ſelbſten iſt/ deswegen viel barmhertziger ſeye/ als ich oder einiger
menſch ſeyn mag/ und der urſach halber/ wo er etwas geſchehen laſſe/ mein un-
maͤßiges erbarmen eben ſo wohl unordentlich werden moͤchte: ferner daß denen/
die uͤber ſolche greuel ſeuffzen und ihre ſeelen zuretten trachten/ dieſe zur ausbeute
gegeben/ Jerem. 45/ 3. 5. und ſie als ein brandt aus dem feuer errettet werden ſollen:
und was andere dergleichen betrachtungen mehr ſind. Aber ich finde in der erfah-
rung/ wie dieſe an ſich ſelbſt unbetruͤgliche ſtaͤrckeſte gruͤnde/ da ſie durch unſere

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[713/0721] ARTIC. II. SECTIO II. weiß ich nicht/ wie viel mir der HErr beſtimmet haben moͤchte: Jedoch der gewiſ- ſen zuverſicht lebende/ daß er ſo getreu ſey/ daß er entweder keine verſuchungen/ welche uͤber die gegenwaͤrtige kraͤfften waͤren/ mir zuſenden/ oder ſo bald mit neuer krafft aus der hoͤhe zu dero uͤberwindung mich auch anthun und ausruͤſten werde. Jch ſuche mich auch bey zeiten auff alle die jenigen arten gefaßt zumachen/ die mich betreffen koͤnten: wo ich in der theoria finde und leicht begreiffen kan/ daß keine einige urſach ſo wichtig ſeyn koͤnne/ uns von der vergnuͤglichen ruhe in GOtt und der freudigkeit des glaubens in ihm abzutreiben: aber ich weiß auch dieſes wohl/ daß wo der HErr uns in die probe und in den ofen wirfft/ es in unſerer macht nicht ſtehe/ die krafft auch des kraͤfftigſten troſtes/ der uns ſonſten mit hertzlicher ſuͤßigkeit erqvicket hat/ zuſchmecken/ ſondern daß ob wohl nicht dem goͤttlichen wort ſeine krafft entzogen jedoch unſer geſchmack gehemmet werde/ dieſelbe vergnuͤglich zuempfinden/ biß die ſtunde der verſuchung und das wetter vorbeyiſt. Daß alſo die praxis von der theoria noch zimlich entfernet iſt/ und nicht alſo bald das jenige in dem hertzen gefuͤhlet wird/ weſſen der verſtand gnugſam und ohne widerſpruch uͤberzeuget iſt. Jedoch iſt nicht zuleugnen/ daß die gruͤnde/ die wir zu guter zeit faſſen/ auffs wenigſte gute waffen ſind/ damit wir gegen die einſtuͤrmende anfechtungen kaͤmpffen. Da iſt mir gegen die ſo vormalige als noch in der ſchwachheit des fleiſches uͤbrig-habende ſuͤnde/ die vorſtellung der unendlichen gnade des Vaters und vollkommenſten verdienſtes unſers liebſten Heylandes eine unuͤberwindliche ſeſtung. Jedoch weiß ich/ wie auch da in der zueignung die krafft der anfechtung ſo ſtarck ſeyn mag/ zuweilen die empfindung deß daher ſonſten flieſſenden troſtes allerdings zuhemmen. Nicht anders gehets bey andern urſachen der hertzens aͤngſten: plaget mich das anſehen des euſſerſten verderbens/ daß ich durch und durch an allen orten/ und vor menſchen augen keine huͤlffe/ ſondern vielmehr die noch weiter zunehmende gefahr ſehe/ und billich das ſchreckliche gericht/ in welchem ſo viel tauſend ſeelen verlohren gehen/ bedaure/ ſo weiß ich zwahr wohl/ daß ich mit goͤttlichem willen zufrieden ſeyn ſolle/ ja daß/ ſo fern auff ſolche art GOtt in der offenbahrung ſeiner gerechtigkeit will verherrlichet ſeyn/ daſſelbe/ obs wohl mit zulaſſung vieles boͤſen geſchehe/ dennoch das allerbeſte ſeye/ daß GOTT der die barmhertzigkeit ſelbſten iſt/ deswegen viel barmhertziger ſeye/ als ich oder einiger menſch ſeyn mag/ und der urſach halber/ wo er etwas geſchehen laſſe/ mein un- maͤßiges erbarmen eben ſo wohl unordentlich werden moͤchte: ferner daß denen/ die uͤber ſolche greuel ſeuffzen und ihre ſeelen zuretten trachten/ dieſe zur ausbeute gegeben/ Jerem. 45/ 3. 5. und ſie als ein brandt aus dem feuer errettet werden ſollen: und was andere dergleichen betrachtungen mehr ſind. Aber ich finde in der erfah- rung/ wie dieſe an ſich ſelbſt unbetruͤgliche ſtaͤrckeſte gruͤnde/ da ſie durch unſere ſchwach- X x x x

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/721>, abgerufen am 22.11.2024.