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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO III.
seinen und anderer unversuchter augen unscheinbare gebet/ da er nicht mei-
net/ die andacht wie vorhin dabey zuhaben/ sondern mit lauter unruhe zu-
verrichten/ GOTT viel angenehmer seye/ als alles vorige gebet mag gewe-
sen seyn. Hat jenes mehr wort und ordentlicher gefaßte conceptus men-
tis
gehabt/ so hat dieses mehr krafft/ mehr hertz/ mehr himmel durchdrin-
genden nachtruck/ weil es in lauter ängsten und bangigkeit geschihet; Es
ist dem davidischen ähnlicher/ wie der herr pfarherr aus fleißiger lesung der
psalmen selbs mercken wird/ aber daraus erkennen soll/ daß er dann auch eben die
gnade und erhörung erlange/ die David erhalten hat. Da ist keine heuche-
ley mehr bey dem gebet/ welche sich uns unvermerckt sonsten gemeiniglich
ausser der noth in das gebet mit einschleichet/ sondern da redet nichts als das
hertz/ oder die noth desselben/ daß man kaum mercket/ daß auch das hertz rede.
Jndessen ist die ängstliche begierde nach göttlicher gnade vor GOttes oh-
ren das lauteste und ihm annehmlichste gebet. Solte nun der Herr schwager
nicht diese anfechtung vor nützlich achten/ die so viel gutes ihm unvermercket
bey ihm gewircket? wo er ferner will in sich gehen/ wird er solcher früchten
noch mehr finden. Solte er wol sein lebenlang mit solcher demuth vor
GOTT gestanden seyn/ als er jetzo bißher sich vor desselben stuhl so offt
mit furcht und zittern niedexgeworffen? Jch zweiffele nicht/ das hertz wirds
selber finden/ daß ihm in solchem stand nicht möglich wäre/ gegen GOTT
sich einiges zuerheben/ wozu sonsten unser fleisch uns so listig verleitet/ und
damit in die grösseste gefahr stürtzet. Vor solche gefährliche kranckheit ist
dieses eine zwahr bittere und unbarmhertzige aber heilsame und nützliche
artzney. Ja mit was sanfftmuth/ mitleiden und gedult lernet man gegen
andere gebrechliche sünder sich zustellen/ da man in dieser anfechtung erst sich
selbs beßer hat erkennen lernen? Daß der Herr pfarherr viel zarter von ge-
wissen gemacht worden/ als sonsten die welt pflegt zu seyn bekennet er
selbsten: und was gilts/ solte ihn GOTT mit anderm creutz nach seinem
willen belegen/ er würde finden/ wie viel leichter es ihm würde zutragen
werden. Daß er so vielmehr verlangen zu dem abschied aus der welt bey
sich spüre/ gestehet er auch in seinem schreiben ultro, ob zwahr also/ daß
viel sündliches und ungedultiges mit in das sonsten nicht unrechte verlan-
gen mit einfleust und es verderbet. Aus diesem wenigen aber wird er/ ge-

liebter

ARTIC. II. SECTIO III.
ſeinen und anderer unverſuchter augen unſcheinbare gebet/ da er nicht mei-
net/ die andacht wie vorhin dabey zuhaben/ ſondern mit lauter unruhe zu-
verrichten/ GOTT viel angenehmer ſeye/ als alles vorige gebet mag gewe-
ſen ſeyn. Hat jenes mehr wort und ordentlicher gefaßte conceptus men-
tis
gehabt/ ſo hat dieſes mehr krafft/ mehr hertz/ mehr himmel durchdrin-
genden nachtruck/ weil es in lauter aͤngſten und bangigkeit geſchihet; Es
iſt dem davidiſchen aͤhnlicher/ wie der herr pfarherr aus fleißiger leſung der
pſalmen ſelbs mercken wird/ aber daraus erkeñen ſoll/ daß er dann auch eben die
gnade und erhoͤrung erlange/ die David erhalten hat. Da iſt keine heuche-
ley mehr bey dem gebet/ welche ſich uns unvermerckt ſonſten gemeiniglich
auſſer der noth in das gebet mit einſchleichet/ ſondern da redet nichts als das
hertz/ oder die noth deſſelben/ daß man kaum mercket/ daß auch das hertz rede.
Jndeſſen iſt die aͤngſtliche begierde nach goͤttlicher gnade vor GOttes oh-
ren das lauteſte und ihm annehmlichſte gebet. Solte nun der Herr ſchwager
nicht dieſe anfechtung vor nuͤtzlich achten/ die ſo viel gutes ihm unvermercket
bey ihm gewircket? wo er ferner will in ſich gehen/ wird er ſolcher fruͤchten
noch mehr finden. Solte er wol ſein lebenlang mit ſolcher demuth vor
GOTT geſtanden ſeyn/ als er jetzo bißher ſich vor deſſelben ſtuhl ſo offt
mit furcht und zittern niedexgeworffen? Jch zweiffele nicht/ das hertz wirds
ſelber finden/ daß ihm in ſolchem ſtand nicht moͤglich waͤre/ gegen GOTT
ſich einiges zuerheben/ wozu ſonſten unſer fleiſch uns ſo liſtig verleitet/ und
damit in die groͤſſeſte gefahr ſtuͤrtzet. Vor ſolche gefaͤhrliche kranckheit iſt
dieſes eine zwahr bittere und unbarmhertzige aber heilſame und nuͤtzliche
artzney. Ja mit was ſanfftmuth/ mitleiden und gedult lernet man gegen
andere gebrechliche ſuͤnder ſich zuſtellen/ da man in dieſer anfechtung erſt ſich
ſelbs beßer hat erkennen lernen? Daß der Herr pfarherr viel zarter von ge-
wiſſen gemacht worden/ als ſonſten die welt pflegt zu ſeyn bekennet er
ſelbſten: und was gilts/ ſolte ihn GOTT mit anderm creutz nach ſeinem
willen belegen/ er wuͤrde finden/ wie viel leichter es ihm wuͤrde zutragen
werden. Daß er ſo vielmehr verlangen zu dem abſchied aus der welt bey
ſich ſpuͤre/ geſtehet er auch in ſeinem ſchreiben ultro, ob zwahr alſo/ daß
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gen mit einfleuſt und es verderbet. Aus dieſem wenigen aber wird er/ ge-

liebter
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[719/0727] ARTIC. II. SECTIO III. ſeinen und anderer unverſuchter augen unſcheinbare gebet/ da er nicht mei- net/ die andacht wie vorhin dabey zuhaben/ ſondern mit lauter unruhe zu- verrichten/ GOTT viel angenehmer ſeye/ als alles vorige gebet mag gewe- ſen ſeyn. Hat jenes mehr wort und ordentlicher gefaßte conceptus men- tis gehabt/ ſo hat dieſes mehr krafft/ mehr hertz/ mehr himmel durchdrin- genden nachtruck/ weil es in lauter aͤngſten und bangigkeit geſchihet; Es iſt dem davidiſchen aͤhnlicher/ wie der herr pfarherr aus fleißiger leſung der pſalmen ſelbs mercken wird/ aber daraus erkeñen ſoll/ daß er dann auch eben die gnade und erhoͤrung erlange/ die David erhalten hat. Da iſt keine heuche- ley mehr bey dem gebet/ welche ſich uns unvermerckt ſonſten gemeiniglich auſſer der noth in das gebet mit einſchleichet/ ſondern da redet nichts als das hertz/ oder die noth deſſelben/ daß man kaum mercket/ daß auch das hertz rede. Jndeſſen iſt die aͤngſtliche begierde nach goͤttlicher gnade vor GOttes oh- ren das lauteſte und ihm annehmlichſte gebet. Solte nun der Herr ſchwager nicht dieſe anfechtung vor nuͤtzlich achten/ die ſo viel gutes ihm unvermercket bey ihm gewircket? wo er ferner will in ſich gehen/ wird er ſolcher fruͤchten noch mehr finden. Solte er wol ſein lebenlang mit ſolcher demuth vor GOTT geſtanden ſeyn/ als er jetzo bißher ſich vor deſſelben ſtuhl ſo offt mit furcht und zittern niedexgeworffen? Jch zweiffele nicht/ das hertz wirds ſelber finden/ daß ihm in ſolchem ſtand nicht moͤglich waͤre/ gegen GOTT ſich einiges zuerheben/ wozu ſonſten unſer fleiſch uns ſo liſtig verleitet/ und damit in die groͤſſeſte gefahr ſtuͤrtzet. Vor ſolche gefaͤhrliche kranckheit iſt dieſes eine zwahr bittere und unbarmhertzige aber heilſame und nuͤtzliche artzney. Ja mit was ſanfftmuth/ mitleiden und gedult lernet man gegen andere gebrechliche ſuͤnder ſich zuſtellen/ da man in dieſer anfechtung erſt ſich ſelbs beßer hat erkennen lernen? Daß der Herr pfarherr viel zarter von ge- wiſſen gemacht worden/ als ſonſten die welt pflegt zu ſeyn bekennet er ſelbſten: und was gilts/ ſolte ihn GOTT mit anderm creutz nach ſeinem willen belegen/ er wuͤrde finden/ wie viel leichter es ihm wuͤrde zutragen werden. Daß er ſo vielmehr verlangen zu dem abſchied aus der welt bey ſich ſpuͤre/ geſtehet er auch in ſeinem ſchreiben ultro, ob zwahr alſo/ daß viel ſuͤndliches und ungedultiges mit in das ſonſten nicht unrechte verlan- gen mit einfleuſt und es verderbet. Aus dieſem wenigen aber wird er/ ge- liebter

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/727>, abgerufen am 20.05.2024.