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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
ein solches von seiner gerechtigkeit mit übermachten sünden wol verschuldet/
und also dieses gericht auff sich selbs gezogen habe. 2. Weil er sich erinne-
re/ daß von S. Hr. D. Schmieden gehört habe/ der verspruch bey der
ordination geschehe an eydesstatt/ solchen aber habe er mehrmalen gebro-
chen/ und demnach einen meineyd begangen. Was dann nun diese beyde
stücke anlangt/ will ich je demselben nicht schmeicheln/ noch so viel an mir ist/
dazu helffen oder rathen/ daß einiges unflätiges oder eyterhafftiges in der
wunden bleibe/ und nur destomehr die heilung derselben hindere: und also
ob mir wol 1. sein leben nicht so genau in allem bekant/ was in demselben mit
verletzung der allgemeinen christlichen oder amtspflicht möchte gesündiget
seyn worden/ ja ich gar 2. dasselbe etwa eher habe in vergleichung anderer
rühmen hören/ so dann 3. bey seiner gemüths-beschaffenheit sorgen muß/ daß
man sich etwa aus unterschiedlichen dingen sünde machen möchte/ die vor
GOtt und in sich selbs nicht sünde sind/ will ich doch lieber mit ihm alles das-
jenige vor sünde passiren lassen/ was ihm sein gewissen in seine anklag vor sün-
de darstellet: in dem wo wir die art der sünden erkennen/ jegliche derselben
schon vor sich selbs groß genug und in dem göttlichen zeitlich und ewigen ge-
richts schuldig ist/ da wir sie nicht nur mit anderen grössern vergleichen/ son-
dern wie sie eine beleidigung des grossen GOttes seye/ ansehen: Es sind
auch alle sünden desto schwehrer und grösser zu halten/ als mehr jeglicher un-
ter uns von GOtt seine gnade und gabe seines geistes empfangen hat: Dann
weil jede solche wolthat eine neue verbindlichkeit ist zur göttlichen danckbar-
keit/ so macht sie auch eine jede sünde desto schwehrer wegen des darinnen
enthaltenen undancks. Also bleibets wahr/ daß jegliche solenne versprü-
che/ so wir GOtt thun/ sonderlich in dergleichen wichtigen dingen/ als bey
der ordination, sind der krafft nach als eyde vor GOtt/ und derwegen der-
selbigen übertretung haben etwas von dem meineyd. Also will ich in allem
diesem meinem wehrten bruder weder heissen noch rathen/ daß er seine sünde
gering achte/ sondern sie vielmehr überaus sündig mache/ daß wo die sünde
mächtig
und deroselben krafft erkannt worden ist/ die gnade so viel mächti-
ger werde.
Aber das lasset uns dabey thun/ daß wo wir der sünden tieffe
erkennet/ wir auch nachmal der gnade hoheit erkennen/ und vor dieser sünde
uns sonderlich hüten/ daß wir sie ja nicht mit Cain muthwillig wolten grösser
achten/ als daß sie möchten vergeben werden/ und also GOtt diesen schimpff
anthun/ daß seine gnade nicht alles in der welt/ und also auch die sünde/ ü-
bertreffe/ welches göttlicher ehre am nechsten gehen/ und sie verletzen würde.
Vielmehr da der teuffel uns solche feurige pfeil in das hertz schiesset/ und un-
ser fleisch und blut sich davon zum unglauben und verzweifflung anzünden
will/ so lasset uns gegen die sünde am ernstlichsten streiten/ und die göttliche

barm-

Das fuͤnffte Capitel.
ein ſolches von ſeiner gerechtigkeit mit uͤbermachten ſuͤnden wol verſchuldet/
und alſo dieſes gericht auff ſich ſelbs gezogen habe. 2. Weil er ſich erinne-
re/ daß von S. Hr. D. Schmieden gehoͤrt habe/ der verſpruch bey der
ordination geſchehe an eydesſtatt/ ſolchen aber habe er mehrmalen gebro-
chen/ und demnach einen meineyd begangen. Was dann nun dieſe beyde
ſtuͤcke anlangt/ will ich je demſelben nicht ſchmeicheln/ noch ſo viel an mir iſt/
dazu helffen oder rathen/ daß einiges unflaͤtiges oder eyterhafftiges in der
wunden bleibe/ und nur deſtomehr die heilung derſelben hindere: und alſo
ob mir wol 1. ſein leben nicht ſo genau in allem bekant/ was in demſelben mit
verletzung der allgemeinen chriſtlichen oder amtspflicht moͤchte geſuͤndiget
ſeyn worden/ ja ich gar 2. daſſelbe etwa eher habe in vergleichung anderer
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man ſich etwa aus unterſchiedlichen dingen ſuͤnde machen moͤchte/ die vor
GOtt und in ſich ſelbs nicht ſuͤnde ſind/ will ich doch lieber mit ihm alles das-
jenige vor ſuͤnde paſſiren laſſen/ was ihm ſein gewiſſen in ſeine anklag vor ſuͤn-
de darſtellet: in dem wo wir die art der ſuͤnden erkennen/ jegliche derſelben
ſchon vor ſich ſelbs groß genug und in dem goͤttlichen zeitlich und ewigen ge-
richts ſchuldig iſt/ da wir ſie nicht nur mit anderen groͤſſern vergleichen/ ſon-
dern wie ſie eine beleidigung des groſſen GOttes ſeye/ anſehen: Es ſind
auch alle ſuͤnden deſto ſchwehrer und groͤſſer zu halten/ als mehr jeglicher un-
ter uns von GOtt ſeine gnade und gabe ſeines geiſtes empfangen hat: Dann
weil jede ſolche wolthat eine neue verbindlichkeit iſt zur goͤttlichen danckbar-
keit/ ſo macht ſie auch eine jede ſuͤnde deſto ſchwehrer wegen des darinnen
enthaltenen undancks. Alſo bleibets wahr/ daß jegliche ſolenne verſpruͤ-
che/ ſo wir GOtt thun/ ſonderlich in dergleichen wichtigen dingen/ als bey
der ordination, ſind der krafft nach als eyde vor GOtt/ und derwegen der-
ſelbigen uͤbertretung haben etwas von dem meineyd. Alſo will ich in allem
dieſem meinem wehrten bruder weder heiſſen noch rathen/ daß er ſeine ſuͤnde
gering achte/ ſondern ſie vielmehr uͤberaus ſuͤndig mache/ daß wo die ſuͤnde
maͤchtig
und deroſelben krafft erkannt worden iſt/ die gnade ſo viel maͤchti-
ger werde.
Aber das laſſet uns dabey thun/ daß wo wir der ſuͤnden tieffe
erkennet/ wir auch nachmal der gnade hoheit erkennen/ und vor dieſer ſuͤnde
uns ſonderlich huͤten/ daß wir ſie ja nicht mit Cain muthwillig wolten groͤſſer
achten/ als daß ſie moͤchten vergeben werden/ und alſo GOtt dieſen ſchimpff
anthun/ daß ſeine gnade nicht alles in der welt/ und alſo auch die ſuͤnde/ uͤ-
bertreffe/ welches goͤttlicher ehre am nechſten gehen/ und ſie verletzen wuͤrde.
Vielmehr da der teuffel uns ſolche feurige pfeil in das hertz ſchieſſet/ und un-
ſer fleiſch und blut ſich davon zum unglauben und verzweifflung anzuͤnden
will/ ſo laſſet uns gegen die ſuͤnde am ernſtlichſten ſtreiten/ und die goͤttliche

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[736/0744] Das fuͤnffte Capitel. ein ſolches von ſeiner gerechtigkeit mit uͤbermachten ſuͤnden wol verſchuldet/ und alſo dieſes gericht auff ſich ſelbs gezogen habe. 2. Weil er ſich erinne- re/ daß von S. Hr. D. Schmieden gehoͤrt habe/ der verſpruch bey der ordination geſchehe an eydesſtatt/ ſolchen aber habe er mehrmalen gebro- chen/ und demnach einen meineyd begangen. Was dann nun dieſe beyde ſtuͤcke anlangt/ will ich je demſelben nicht ſchmeicheln/ noch ſo viel an mir iſt/ dazu helffen oder rathen/ daß einiges unflaͤtiges oder eyterhafftiges in der wunden bleibe/ und nur deſtomehr die heilung derſelben hindere: und alſo ob mir wol 1. ſein leben nicht ſo genau in allem bekant/ was in demſelben mit verletzung der allgemeinen chriſtlichen oder amtspflicht moͤchte geſuͤndiget ſeyn worden/ ja ich gar 2. daſſelbe etwa eher habe in vergleichung anderer ruͤhmen hoͤren/ ſo dann 3. bey ſeiner gemuͤths-beſchaffenheit ſorgen muß/ daß man ſich etwa aus unterſchiedlichen dingen ſuͤnde machen moͤchte/ die vor GOtt und in ſich ſelbs nicht ſuͤnde ſind/ will ich doch lieber mit ihm alles das- jenige vor ſuͤnde paſſiren laſſen/ was ihm ſein gewiſſen in ſeine anklag vor ſuͤn- de darſtellet: in dem wo wir die art der ſuͤnden erkennen/ jegliche derſelben ſchon vor ſich ſelbs groß genug und in dem goͤttlichen zeitlich und ewigen ge- richts ſchuldig iſt/ da wir ſie nicht nur mit anderen groͤſſern vergleichen/ ſon- dern wie ſie eine beleidigung des groſſen GOttes ſeye/ anſehen: Es ſind auch alle ſuͤnden deſto ſchwehrer und groͤſſer zu halten/ als mehr jeglicher un- ter uns von GOtt ſeine gnade und gabe ſeines geiſtes empfangen hat: Dann weil jede ſolche wolthat eine neue verbindlichkeit iſt zur goͤttlichen danckbar- keit/ ſo macht ſie auch eine jede ſuͤnde deſto ſchwehrer wegen des darinnen enthaltenen undancks. Alſo bleibets wahr/ daß jegliche ſolenne verſpruͤ- che/ ſo wir GOtt thun/ ſonderlich in dergleichen wichtigen dingen/ als bey der ordination, ſind der krafft nach als eyde vor GOtt/ und derwegen der- ſelbigen uͤbertretung haben etwas von dem meineyd. Alſo will ich in allem dieſem meinem wehrten bruder weder heiſſen noch rathen/ daß er ſeine ſuͤnde gering achte/ ſondern ſie vielmehr uͤberaus ſuͤndig mache/ daß wo die ſuͤnde maͤchtig und deroſelben krafft erkannt worden iſt/ die gnade ſo viel maͤchti- ger werde. Aber das laſſet uns dabey thun/ daß wo wir der ſuͤnden tieffe erkennet/ wir auch nachmal der gnade hoheit erkennen/ und vor dieſer ſuͤnde uns ſonderlich huͤten/ daß wir ſie ja nicht mit Cain muthwillig wolten groͤſſer achten/ als daß ſie moͤchten vergeben werden/ und alſo GOtt dieſen ſchimpff anthun/ daß ſeine gnade nicht alles in der welt/ und alſo auch die ſuͤnde/ uͤ- bertreffe/ welches goͤttlicher ehre am nechſten gehen/ und ſie verletzen wuͤrde. Vielmehr da der teuffel uns ſolche feurige pfeil in das hertz ſchieſſet/ und un- ſer fleiſch und blut ſich davon zum unglauben und verzweifflung anzuͤnden will/ ſo laſſet uns gegen die ſuͤnde am ernſtlichſten ſtreiten/ und die goͤttliche barm-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 736. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/744>, abgerufen am 22.11.2024.