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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XXII.
seinem willen in die anfechtungs-schule und an solchen kampff geführet habe:
Jch habe mich aber dasselbe nicht befrembden lassen/ als ich durch N. N. dessen
benachrichtiget worden/ ja ob mir schon das leiden guter freunde an sich selbs
keine freude ist/ sondern so fern mit deroselben und andern in gleichem leiden ste-
henden billich ein hertzliches mitleiden trage/ bekenne dannoch/ daß ich ursach be-
sunden/ auch wegen dieses gütigen raths des himmlischen Vaters/ dessen lieb-
reiche weißheit an ihr danckbarlich zu preisen. Jch habe zwahr auch seither noch-
mal verstanden/ daß der HErr HErr sie einen theil solches kampffs siegreich
überwinden lassen/ und die last etwas erleichtert habe/ darinnen abermal seine
himmlische schonende gnade erkenne/ welche nach ihrer verheissung uns nicht
über vermögen lässet versuchet werden. Nun habe von der zeit/ als ich von die-
sem ihrem zustand gehöret/ mir so bald vorgesetzt/ nach der pflicht der liebe zu-
versuchen/ ob mit einigem Christlichen zuspruch ihr beyzustehen und zu stärcken
GOTT mir die gnade geben wolte/ wozu aber bey gegenwärtiger bewandnüß
keine andere gelegenheit ist/ als solches durch brieffe zu thun: jedoch hat mir
indessen fast keine zeit darzu werden wollen/ und hab ich es also von einem tage
zum andern auffschieben müssen. Gleichwol kan sie versichern/ wie ich auch
vorhin ihres lieben hauses/ und also darinnen auch ihr/ vor dem angesicht des
HErrn nicht vergessen/ daß biß daher auch absonderlich getrachtet habe/ mit mei-
nem gebet ihr/ obwol dem leibe nach abwesend/ dennoch nach dem geist gegen-
wärtig kämpffen zu helffen. Weil mir denn nun einige stunde frey wird/ habe
nicht länger verschieben sollen/ an dieselbe zu schreiben/ und also mein hertz vor ihr
über die bewandnüß ihrer seelen/ so viel die zeit zugibet/ auszuschütten. Das
erste/ das dieselbe zuerinnern und von ihr zu bitten habe/ ist dieses/ daß sie sich ja
den kampff/ darein sie der HErr geführet werden lassen/ nicht befrembden lasse.
Jch möchte hier die wort des lieben Petri auch gegen sie gebrauchen: Lasset
euch die hitze/ so euch begegnet/ nicht befrembden (die euch wieder-
fähret/ daß ihr versuchet werdet/) als wiederführe euch etwas seltza-
mes:
und nochmal: wisset/ daß eben dieselbige leiden über eure brü-
der in der welt gehen.
Meine geliebte/ freylich ists so/ wo sie in die her-
tzen aller ihrer brüder und schwestern sehen solte/ würde sie gewißlich mehr lei-
dens-genossen finden/ als sie ihr lebenlang sich nicht einbilden können. Es ist
zwahr der glaube ein liecht und feste zuversicht/ auch thut sich dasselbe zuweilen
in der seelen hervor/ und fühlen wir diese nicht ohne vergnügung: aber ach wie
offt verbirget sich jenes liecht und sonnen-glantz unter dergleichen schwartzen und
dicken wolcken des natürlichen unglaubens/ daß wir uns selbs mehr vor unglau-
big als gläubig halten/ auch kaum uns einbilden können/ daß wir jemal recht
gläubig gewesen wären. Da wir etwa auch zu andernmalen uns gegen alle

auff-
G g g g g 3

ARTIC. II. SECTIO XXII.
ſeinem willen in die anfechtungs-ſchule und an ſolchen kampff gefuͤhret habe:
Jch habe mich aber daſſelbe nicht befrembden laſſen/ als ich durch N. N. deſſen
benachrichtiget worden/ ja ob mir ſchon das leiden guter freunde an ſich ſelbs
keine freude iſt/ ſondern ſo fern mit deroſelben und andern in gleichem leiden ſte-
henden billich ein hertzliches mitleiden trage/ bekenne dannoch/ daß ich urſach be-
ſunden/ auch wegen dieſes guͤtigen raths des himmliſchen Vaters/ deſſen lieb-
reiche weißheit an ihr danckbarlich zu preiſen. Jch habe zwahr auch ſeither noch-
mal verſtanden/ daß der HErr HErr ſie einen theil ſolches kampffs ſiegreich
uͤberwinden laſſen/ und die laſt etwas erleichtert habe/ darinnen abermal ſeine
himmliſche ſchonende gnade erkenne/ welche nach ihrer verheiſſung uns nicht
uͤber vermoͤgen laͤſſet verſuchet werden. Nun habe von der zeit/ als ich von die-
ſem ihrem zuſtand gehoͤret/ mir ſo bald vorgeſetzt/ nach der pflicht der liebe zu-
verſuchen/ ob mit einigem Chriſtlichen zuſpruch ihr beyzuſtehen und zu ſtaͤrcken
GOTT mir die gnade geben wolte/ wozu aber bey gegenwaͤrtiger bewandnuͤß
keine andere gelegenheit iſt/ als ſolches durch brieffe zu thun: jedoch hat mir
indeſſen faſt keine zeit darzu werden wollen/ und hab ich es alſo von einem tage
zum andern auffſchieben muͤſſen. Gleichwol kan ſie verſichern/ wie ich auch
vorhin ihres lieben hauſes/ und alſo darinnen auch ihr/ vor dem angeſicht des
HErrn nicht vergeſſen/ daß biß daher auch abſonderlich getrachtet habe/ mit mei-
nem gebet ihr/ obwol dem leibe nach abweſend/ dennoch nach dem geiſt gegen-
waͤrtig kaͤmpffen zu helffen. Weil mir denn nun einige ſtunde frey wird/ habe
nicht laͤnger verſchieben ſollen/ an dieſelbe zu ſchreiben/ und alſo mein hertz vor ihr
uͤber die bewandnuͤß ihrer ſeelen/ ſo viel die zeit zugibet/ auszuſchuͤtten. Das
erſte/ das dieſelbe zuerinnern und von ihr zu bitten habe/ iſt dieſes/ daß ſie ſich ja
den kampff/ darein ſie der HErr gefuͤhret werden laſſen/ nicht befrembden laſſe.
Jch moͤchte hier die wort des lieben Petri auch gegen ſie gebrauchen: Laſſet
euch die hitze/ ſo euch begegnet/ nicht befrembden (die euch wieder-
faͤhret/ daß ihr verſuchet werdet/) als wiederfuͤhre euch etwas ſeltza-
mes:
und nochmal: wiſſet/ daß eben dieſelbige leiden uͤber eure bruͤ-
der in der welt gehen.
Meine geliebte/ freylich iſts ſo/ wo ſie in die her-
tzen aller ihrer bruͤder und ſchweſtern ſehen ſolte/ wuͤrde ſie gewißlich mehr lei-
dens-genoſſen finden/ als ſie ihr lebenlang ſich nicht einbilden koͤnnen. Es iſt
zwahr der glaube ein liecht und feſte zuverſicht/ auch thut ſich daſſelbe zuweilen
in der ſeelen hervor/ und fuͤhlen wir dieſe nicht ohne vergnuͤgung: aber ach wie
offt verbirget ſich jenes liecht und ſonnen-glantz unter dergleichen ſchwartzen und
dicken wolcken des natuͤrlichen unglaubens/ daß wir uns ſelbs mehr vor unglau-
big als glaͤubig halten/ auch kaum uns einbilden koͤnnen/ daß wir jemal recht
glaͤubig geweſen waͤren. Da wir etwa auch zu andernmalen uns gegen alle

auff-
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[789/0797] ARTIC. II. SECTIO XXII. ſeinem willen in die anfechtungs-ſchule und an ſolchen kampff gefuͤhret habe: Jch habe mich aber daſſelbe nicht befrembden laſſen/ als ich durch N. N. deſſen benachrichtiget worden/ ja ob mir ſchon das leiden guter freunde an ſich ſelbs keine freude iſt/ ſondern ſo fern mit deroſelben und andern in gleichem leiden ſte- henden billich ein hertzliches mitleiden trage/ bekenne dannoch/ daß ich urſach be- ſunden/ auch wegen dieſes guͤtigen raths des himmliſchen Vaters/ deſſen lieb- reiche weißheit an ihr danckbarlich zu preiſen. Jch habe zwahr auch ſeither noch- mal verſtanden/ daß der HErr HErr ſie einen theil ſolches kampffs ſiegreich uͤberwinden laſſen/ und die laſt etwas erleichtert habe/ darinnen abermal ſeine himmliſche ſchonende gnade erkenne/ welche nach ihrer verheiſſung uns nicht uͤber vermoͤgen laͤſſet verſuchet werden. Nun habe von der zeit/ als ich von die- ſem ihrem zuſtand gehoͤret/ mir ſo bald vorgeſetzt/ nach der pflicht der liebe zu- verſuchen/ ob mit einigem Chriſtlichen zuſpruch ihr beyzuſtehen und zu ſtaͤrcken GOTT mir die gnade geben wolte/ wozu aber bey gegenwaͤrtiger bewandnuͤß keine andere gelegenheit iſt/ als ſolches durch brieffe zu thun: jedoch hat mir indeſſen faſt keine zeit darzu werden wollen/ und hab ich es alſo von einem tage zum andern auffſchieben muͤſſen. Gleichwol kan ſie verſichern/ wie ich auch vorhin ihres lieben hauſes/ und alſo darinnen auch ihr/ vor dem angeſicht des HErrn nicht vergeſſen/ daß biß daher auch abſonderlich getrachtet habe/ mit mei- nem gebet ihr/ obwol dem leibe nach abweſend/ dennoch nach dem geiſt gegen- waͤrtig kaͤmpffen zu helffen. Weil mir denn nun einige ſtunde frey wird/ habe nicht laͤnger verſchieben ſollen/ an dieſelbe zu ſchreiben/ und alſo mein hertz vor ihr uͤber die bewandnuͤß ihrer ſeelen/ ſo viel die zeit zugibet/ auszuſchuͤtten. Das erſte/ das dieſelbe zuerinnern und von ihr zu bitten habe/ iſt dieſes/ daß ſie ſich ja den kampff/ darein ſie der HErr gefuͤhret werden laſſen/ nicht befrembden laſſe. Jch moͤchte hier die wort des lieben Petri auch gegen ſie gebrauchen: Laſſet euch die hitze/ ſo euch begegnet/ nicht befrembden (die euch wieder- faͤhret/ daß ihr verſuchet werdet/) als wiederfuͤhre euch etwas ſeltza- mes: und nochmal: wiſſet/ daß eben dieſelbige leiden uͤber eure bruͤ- der in der welt gehen. Meine geliebte/ freylich iſts ſo/ wo ſie in die her- tzen aller ihrer bruͤder und ſchweſtern ſehen ſolte/ wuͤrde ſie gewißlich mehr lei- dens-genoſſen finden/ als ſie ihr lebenlang ſich nicht einbilden koͤnnen. Es iſt zwahr der glaube ein liecht und feſte zuverſicht/ auch thut ſich daſſelbe zuweilen in der ſeelen hervor/ und fuͤhlen wir dieſe nicht ohne vergnuͤgung: aber ach wie offt verbirget ſich jenes liecht und ſonnen-glantz unter dergleichen ſchwartzen und dicken wolcken des natuͤrlichen unglaubens/ daß wir uns ſelbs mehr vor unglau- big als glaͤubig halten/ auch kaum uns einbilden koͤnnen/ daß wir jemal recht glaͤubig geweſen waͤren. Da wir etwa auch zu andernmalen uns gegen alle auff- G g g g g 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 789. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/797>, abgerufen am 22.11.2024.