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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
himmel-feste/ und tritt er nicht gewisser von seiner seite wiederum ein/ als da er
nun von grund der seelen/ alle eigene gerechtigkeit hinwiederum verleugnet und
wegwirffet/ hingegen seine sündliche befleckte kleider/ in dem blut des lammes
wäschet. Also wisse er nun/ und sein gantzes leben/ von nichts mehr weiter vor
GOttes thron/ als von der gerechtigkeit der versöhnung seines lieben Heylandes/
die eine ewige vergebung der sünden bringet/ und in dero allein er vor dem stren-
gen gericht GOttes bestehen mag/ daran gedencke er/ davon rede er/ dero freue er
sich/ davon begehre er/ daß andere stets mit ihm handeln/ und hüte sich zeit lebens
vor nichts sorgfältiger als vor dem stein des anstosses/ an welchen er sich so ge-
sährlich gestossen hat/ nemlich vor vertrauen auf eigene heiligkeit/ einbildung der fal-
schen vollkommenheit und verachtung anderer. Damit sage ich nicht/ daß er nicht
solte der heiligung künfftig mit allem ernste nachjagen/ sondern solcher fleiß muß und
wird sich destomehr gewiß verdoppeln/ als er von dem unflat der eigenen einbil-
dung/ so ihn biß daher beflecket/ wird gereiniget seyn: also bestrebe er sich immer
mehr und mehr in dem gehorsam göttlicher gebote und in der reinigung von aller
befleckung des fleisches und des geistes/ und solches nicht mit wenigerem ernst/ als
ob er es hie in dem fleisch es so weit hätte bringen können/ gantz ohne sünde zu
seyn; Wie weit ihn aber die krafft GOttes auf solchem wege sühren werde/ er-
kenne er doch noch immer/ daß ihm noch so viel mehr mangele. Und also lerne
er das gute thun/ nicht als ein taglöhner um lohn/ noch als ein stoltzer/ sich selbst
darinn wolzugefallen und zu erheben/ sondern als ein kind aus liebe und gehor-
sam gegen seinen vater in rechter einfalt: Hingegen halte er allezeit das gute an
einem andern/ ob es den augen gering vorkommt/ so hoch/ daß es vor GOttes
gericht wol das seinige übertreffen möge: hierauff richte er auch alles sein gebet/
daß doch GOtt diese beyde früchte seiner schwehren züchtigung/ innigliche demuth
und reinen glauben/ so tieff in seine seele trucken wolle/ daß sie die beyde qvellen
seyn/ aus denen künfftig hin alles sein leben fliesse. Wäre es sache/ daß er
sich noch bewußt wäre/ einiger eingesogener irriger und unserer Evangelischen
wahrheit widrigen meinung/ so wolle er ja über dieselbe mit Christlichen freunden
communiciren/ und trachten auff einem festen grund/ der kein anderer als das
Prophetische und Apostolische wort seyn kan/ in allem zu bestehen.

Da er auch gefunden hätte/ daß einige bücher ihm schädlich/ und seine kräffte
zu dero prüffung nicht zulänglich gewesen/ so wolle er sich auch vor solchen künfftig
hüten/ und sich in seiner schwachheit bescheiden/ wie ich dergleichen in vielem thun
muß. Was anlanget den an mich gesandten aufffatz/ in dem er sein gewissen
gegen mich und andere ausgelähret/ auch darinn wolgethan daß er nach Ps. 32/
dem trieb GOttes gefolget hat/ so werde ich denen darinnen benahmten perso-
nen theils alles/ theils nachdem ich es nützlich befinde/ gewisses/ und ihnen ange-

hen-

Das fuͤnffte Capitel.
himmel-feſte/ und tritt er nicht gewiſſer von ſeiner ſeite wiederum ein/ als da er
nun von grund der ſeelen/ alle eigene gerechtigkeit hinwiederum verleugnet und
wegwirffet/ hingegen ſeine ſuͤndliche befleckte kleider/ in dem blut des lammes
waͤſchet. Alſo wiſſe er nun/ und ſein gantzes leben/ von nichts mehr weiter vor
GOttes thron/ als von der gerechtigkeit der verſoͤhnung ſeines lieben Heylandes/
die eine ewige vergebung der ſuͤnden bringet/ und in dero allein er vor dem ſtren-
gen gericht GOttes beſtehen mag/ daran gedencke er/ davon rede er/ dero freue er
ſich/ davon begehre er/ daß andere ſtets mit ihm handeln/ und huͤte ſich zeit lebens
vor nichts ſorgfaͤltiger als vor dem ſtein des anſtoſſes/ an welchen er ſich ſo ge-
ſaͤhrlich geſtoſſen hat/ nemlich vor vertrauen auf eigene heiligkeit/ einbildung der fal-
ſchen vollkommenheit und verachtung anderer. Damit ſage ich nicht/ daß er nicht
ſolte der heiligung kuͤnfftig mit allem ernſte nachjagen/ ſondern ſolcher fleiß muß und
wird ſich deſtomehr gewiß verdoppeln/ als er von dem unflat der eigenen einbil-
dung/ ſo ihn biß daher beflecket/ wird gereiniget ſeyn: alſo beſtrebe er ſich immer
mehr und mehr in dem gehorſam goͤttlicher gebote und in der reinigung von aller
befleckung des fleiſches und des geiſtes/ und ſolches nicht mit wenigerem ernſt/ als
ob er es hie in dem fleiſch es ſo weit haͤtte bringen koͤnnen/ gantz ohne ſuͤnde zu
ſeyn; Wie weit ihn aber die krafft GOttes auf ſolchem wege ſuͤhren werde/ er-
kenne er doch noch immer/ daß ihm noch ſo viel mehr mangele. Und alſo lerne
er das gute thun/ nicht als ein tagloͤhner um lohn/ noch als ein ſtoltzer/ ſich ſelbſt
darinn wolzugefallen und zu erheben/ ſondern als ein kind aus liebe und gehor-
ſam gegen ſeinen vater in rechter einfalt: Hingegen halte er allezeit das gute an
einem andern/ ob es den augen gering vorkommt/ ſo hoch/ daß es vor GOttes
gericht wol das ſeinige uͤbertreffen moͤge: hierauff richte er auch alles ſein gebet/
daß doch GOtt dieſe beyde fruͤchte ſeiner ſchwehren zuͤchtigung/ innigliche demuth
und reinen glauben/ ſo tieff in ſeine ſeele trucken wolle/ daß ſie die beyde qvellen
ſeyn/ aus denen kuͤnfftig hin alles ſein leben flieſſe. Waͤre es ſache/ daß er
ſich noch bewußt waͤre/ einiger eingeſogener irriger und unſerer Evangeliſchen
wahrheit widrigen meinung/ ſo wolle er ja uͤber dieſelbe mit Chriſtlichen freunden
communiciren/ und trachten auff einem feſten grund/ der kein anderer als das
Prophetiſche und Apoſtoliſche wort ſeyn kan/ in allem zu beſtehen.

Da er auch gefunden haͤtte/ daß einige buͤcher ihm ſchaͤdlich/ und ſeine kraͤffte
zu dero pruͤffung nicht zulaͤnglich geweſen/ ſo wolle er ſich auch vor ſolchen kuͤnfftig
huͤten/ und ſich in ſeiner ſchwachheit beſcheiden/ wie ich dergleichen in vielem thun
muß. Was anlanget den an mich geſandten aufffatz/ in dem er ſein gewiſſen
gegen mich und andere ausgelaͤhret/ auch darinn wolgethan daß er nach Pſ. 32/
dem trieb GOttes gefolget hat/ ſo werde ich denen darinnen benahmten perſo-
nen theils alles/ theils nachdem ich es nuͤtzlich befinde/ gewiſſes/ und ihnen ange-

hen-
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[798/0806] Das fuͤnffte Capitel. himmel-feſte/ und tritt er nicht gewiſſer von ſeiner ſeite wiederum ein/ als da er nun von grund der ſeelen/ alle eigene gerechtigkeit hinwiederum verleugnet und wegwirffet/ hingegen ſeine ſuͤndliche befleckte kleider/ in dem blut des lammes waͤſchet. Alſo wiſſe er nun/ und ſein gantzes leben/ von nichts mehr weiter vor GOttes thron/ als von der gerechtigkeit der verſoͤhnung ſeines lieben Heylandes/ die eine ewige vergebung der ſuͤnden bringet/ und in dero allein er vor dem ſtren- gen gericht GOttes beſtehen mag/ daran gedencke er/ davon rede er/ dero freue er ſich/ davon begehre er/ daß andere ſtets mit ihm handeln/ und huͤte ſich zeit lebens vor nichts ſorgfaͤltiger als vor dem ſtein des anſtoſſes/ an welchen er ſich ſo ge- ſaͤhrlich geſtoſſen hat/ nemlich vor vertrauen auf eigene heiligkeit/ einbildung der fal- ſchen vollkommenheit und verachtung anderer. Damit ſage ich nicht/ daß er nicht ſolte der heiligung kuͤnfftig mit allem ernſte nachjagen/ ſondern ſolcher fleiß muß und wird ſich deſtomehr gewiß verdoppeln/ als er von dem unflat der eigenen einbil- dung/ ſo ihn biß daher beflecket/ wird gereiniget ſeyn: alſo beſtrebe er ſich immer mehr und mehr in dem gehorſam goͤttlicher gebote und in der reinigung von aller befleckung des fleiſches und des geiſtes/ und ſolches nicht mit wenigerem ernſt/ als ob er es hie in dem fleiſch es ſo weit haͤtte bringen koͤnnen/ gantz ohne ſuͤnde zu ſeyn; Wie weit ihn aber die krafft GOttes auf ſolchem wege ſuͤhren werde/ er- kenne er doch noch immer/ daß ihm noch ſo viel mehr mangele. Und alſo lerne er das gute thun/ nicht als ein tagloͤhner um lohn/ noch als ein ſtoltzer/ ſich ſelbſt darinn wolzugefallen und zu erheben/ ſondern als ein kind aus liebe und gehor- ſam gegen ſeinen vater in rechter einfalt: Hingegen halte er allezeit das gute an einem andern/ ob es den augen gering vorkommt/ ſo hoch/ daß es vor GOttes gericht wol das ſeinige uͤbertreffen moͤge: hierauff richte er auch alles ſein gebet/ daß doch GOtt dieſe beyde fruͤchte ſeiner ſchwehren zuͤchtigung/ innigliche demuth und reinen glauben/ ſo tieff in ſeine ſeele trucken wolle/ daß ſie die beyde qvellen ſeyn/ aus denen kuͤnfftig hin alles ſein leben flieſſe. Waͤre es ſache/ daß er ſich noch bewußt waͤre/ einiger eingeſogener irriger und unſerer Evangeliſchen wahrheit widrigen meinung/ ſo wolle er ja uͤber dieſelbe mit Chriſtlichen freunden communiciren/ und trachten auff einem feſten grund/ der kein anderer als das Prophetiſche und Apoſtoliſche wort ſeyn kan/ in allem zu beſtehen. Da er auch gefunden haͤtte/ daß einige buͤcher ihm ſchaͤdlich/ und ſeine kraͤffte zu dero pruͤffung nicht zulaͤnglich geweſen/ ſo wolle er ſich auch vor ſolchen kuͤnfftig huͤten/ und ſich in ſeiner ſchwachheit beſcheiden/ wie ich dergleichen in vielem thun muß. Was anlanget den an mich geſandten aufffatz/ in dem er ſein gewiſſen gegen mich und andere ausgelaͤhret/ auch darinn wolgethan daß er nach Pſ. 32/ dem trieb GOttes gefolget hat/ ſo werde ich denen darinnen benahmten perſo- nen theils alles/ theils nachdem ich es nuͤtzlich befinde/ gewiſſes/ und ihnen ange- hen-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 798. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/806>, abgerufen am 22.11.2024.