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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XVI.
besserer verrichtung des jenigen/ worzu er sonst von GOTT beruffen/ dienlich
seye. Wie aus dem gantzen 7. cap. der 1. an Corinth. erhellet: Daß Paulus kei-
nem einen strick des gewissens anwerffen wolle. Nechst dem gleich wie ins gemein
wahr bleibet/ was daselbst v. 32. seq. gesagt wird/ daß in dem ehelichen man nicht
so unverhindert bleibe als in dem ledigen stande: So ists doch auch wahr/ daß zu
weilen der eheliche stand manche gelegenheit gebe zu anderen übungen der Gottse-
ligkeit/ zu erkäntnüß göttlicher güte und dero betrachtung/ so bey den ledigen sich
nicht so findet: Und daß der dienst GOttes nicht allemahl daraus zu schliessen/ daß
er GOTT am angenehmsten seye/ daß man eben mehr zeit dazu und wenigere ab-
haltungen davon hat/ und das gemüth auch natürlicher weise eine mehrere ruhe
habe: Sondern unter der last vieler sorgen/ die da Christlich sind/ und der beruffs
geschässten lässet sich etwa in einem vierthelstündlein so man darzu frey machen kan
so viel vergnügung finden/ als in mehrer freyheit bey länger zeit; da indessen auch
unter denen geschäfften/ wenn das gemüth an seinen GOtt hänget/ und was es
thut aus gehorsam zu seinen beruff verrichtet. Anders müssten wir sagen/ daß
alle die predigt- oder regierungs-stände stehen/ bey denen die amts-geschäfften mehr
sind/ als sonsten insgemein bey den ehestand/ könten wegen solcher stäten anläuffe
Gott niemahl nicht ruhig dienen: Nun ists zwar an dem/ daß solchen leuten frey-
lich manchmahl betrüblich ist/ so selig nicht zu seyn als andere sind/ daß sie/ so viel sie
verlangten/ zu eigener seelen erbauung und vergnügung anzuwenden vermöchten:
Aber es ersetzet theils solchen ihren darinn habenden nachstand der nutzen so der nech-
ste davon hat/ theils segnet Gott etwa die wenige vierthel-stündlein/ die sie vor sich
gewinnen/ so viel kräfftiger. Und bin ich also versichert/ daß ein David und Pau-
lus/ die mit sorgen vor ihre unterthanen und viele gemeinden also beladen/ daß man
wundern solte/ ob ihnen auch ein augenblick vor sich selbs anzuwenden bliebe/ nicht
zuklagen haben/ daß sie ihres GOttes güte nicht anderen gleich/ sondern in viel hö-
hern maaß/ geschencket hätten. Sonsten würde man auch noch vielmehr solche stän-
de zu fliehen haben. So verhält sichs dann auch mit dem ehestand. Sonderlich
bey denen jenigen/ die bereits in der übung des Christenthums wohl geübet sind/ da-
her so viel eher ihre seelen in denen gewöhnlichen übungen zu Gott erschwingen mö-
gen: Hingegen von denen zustossenden hinderungen nicht so bald abgewendet wer-
den; Wie die jenige/ die noch erst in dem anfang stehen/ und deswegen mehrerer
und freyer ruhe/ ja zu weilen auch gar eine absonderung von anderen bedürffen. Jch
weiß aber/ daß meine vielgeliebte schwester unter nicht dieser sondern jener zahl ste-
het. Also finde ich auch unter denen ursachen/ die Paulus führet/ daß er gern sei-
ner Corinther schohnen wolte/ diese/ weil bey dem ehelichen stande mehr trübsal seye/
vornehmlich wie die damahlige zeiten waren v. 28. Daraus ich wiederum schlies-
se/ daß des heiligen Pauli rath und ausspruch vornehmlich sehe auff die noch schwä-
chere/ welche er vor anderen zuschohnen ursach hatte/ und von dero schwachheit zu

sorgen
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ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XVI.
beſſerer verrichtung des jenigen/ worzu er ſonſt von GOTT beruffen/ dienlich
ſeye. Wie aus dem gantzen 7. cap. der 1. an Corinth. erhellet: Daß Paulus kei-
nem einen ſtrick des gewiſſens anwerffen wolle. Nechſt dem gleich wie ins gemein
wahr bleibet/ was daſelbſt v. 32. ſeq. geſagt wird/ daß in dem ehelichen man nicht
ſo unverhindert bleibe als in dem ledigen ſtande: So iſts doch auch wahr/ daß zu
weilen der eheliche ſtand manche gelegenheit gebe zu anderen uͤbungen der Gottſe-
ligkeit/ zu erkaͤntnuͤß goͤttlicher guͤte und dero betrachtung/ ſo bey den ledigen ſich
nicht ſo findet: Und daß der dienſt GOttes nicht allemahl daraus zu ſchlieſſen/ daß
er GOTT am angenehmſten ſeye/ daß man eben mehr zeit dazu und wenigere ab-
haltungen davon hat/ und das gemuͤth auch natuͤrlicher weiſe eine mehrere ruhe
habe: Sondern unter der laſt vieler ſorgen/ die da Chriſtlich ſind/ und der beruffs
geſchaͤſſten laͤſſet ſich etwa in einem vierthelſtuͤndlein ſo man darzu frey machen kan
ſo viel vergnuͤgung finden/ als in mehrer freyheit bey laͤnger zeit; da indeſſen auch
unter denen geſchaͤfften/ wenn das gemuͤth an ſeinen GOtt haͤnget/ und was es
thut aus gehorſam zu ſeinen beruff verrichtet. Anders muͤſſten wir ſagen/ daß
alle die predigt- oder regierungs-ſtaͤnde ſtehen/ bey denen die amts-geſchaͤfften mehr
ſind/ als ſonſten insgemein bey den eheſtand/ koͤnten wegen ſolcher ſtaͤten anlaͤuffe
Gott niemahl nicht ruhig dienen: Nun iſts zwar an dem/ daß ſolchen leuten frey-
lich manchmahl betruͤblich iſt/ ſo ſelig nicht zu ſeyn als andere ſind/ daß ſie/ ſo viel ſie
verlangten/ zu eigener ſeelen erbauung und vergnuͤgung anzuwenden vermoͤchten:
Aber es erſetzet theils ſolchen ihꝛen darinn habenden nachſtand der nutzen ſo der nech-
ſte davon hat/ theils ſegnet Gott etwa die wenige vierthel-ſtuͤndlein/ die ſie vor ſich
gewinnen/ ſo viel kraͤfftiger. Und bin ich alſo verſichert/ daß ein David und Pau-
lus/ die mit ſorgen vor ihre unterthanen und viele gemeinden alſo beladen/ daß man
wundern ſolte/ ob ihnen auch ein augenblick vor ſich ſelbs anzuwenden bliebe/ nicht
zuklagen haben/ daß ſie ihres GOttes guͤte nicht anderen gleich/ ſondern in viel hoͤ-
hern maaß/ geſchencket haͤtten. Sonſten wuͤrde man auch noch vielmehr ſolche ſtaͤn-
de zu fliehen haben. So verhaͤlt ſichs dann auch mit dem eheſtand. Sonderlich
bey denen jenigen/ die bereits in der uͤbung des Chriſtenthums wohl geuͤbet ſind/ da-
her ſo viel eher ihre ſeelen in denen gewoͤhnlichen uͤbungen zu Gott erſchwingen moͤ-
gen: Hingegen von denen zuſtoſſenden hinderungen nicht ſo bald abgewendet wer-
den; Wie die jenige/ die noch erſt in dem anfang ſtehen/ und deswegen mehrerer
und freyer ruhe/ ja zu weilen auch gar eine abſonderung von anderen beduͤrffen. Jch
weiß aber/ daß meine vielgeliebte ſchweſter unter nicht dieſer ſondern jener zahl ſte-
het. Alſo finde ich auch unter denen urſachen/ die Paulus fuͤhret/ daß er gern ſei-
ner Corinther ſchohnen wolte/ dieſe/ weil bey dem ehelichen ſtande mehr truͤbſal ſeye/
vornehmlich wie die damahlige zeiten waren v. 28. Daraus ich wiederum ſchlieſ-
ſe/ daß des heiligen Pauli rath und ausſpruch vornehmlich ſehe auff die noch ſchwaͤ-
chere/ welche er vor anderen zuſchohnen urſach hatte/ und von dero ſchwachheit zu

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[89/0107] ARTIC. I. DISTINCT. I. SECTIO XVI. beſſerer verrichtung des jenigen/ worzu er ſonſt von GOTT beruffen/ dienlich ſeye. Wie aus dem gantzen 7. cap. der 1. an Corinth. erhellet: Daß Paulus kei- nem einen ſtrick des gewiſſens anwerffen wolle. Nechſt dem gleich wie ins gemein wahr bleibet/ was daſelbſt v. 32. ſeq. geſagt wird/ daß in dem ehelichen man nicht ſo unverhindert bleibe als in dem ledigen ſtande: So iſts doch auch wahr/ daß zu weilen der eheliche ſtand manche gelegenheit gebe zu anderen uͤbungen der Gottſe- ligkeit/ zu erkaͤntnuͤß goͤttlicher guͤte und dero betrachtung/ ſo bey den ledigen ſich nicht ſo findet: Und daß der dienſt GOttes nicht allemahl daraus zu ſchlieſſen/ daß er GOTT am angenehmſten ſeye/ daß man eben mehr zeit dazu und wenigere ab- haltungen davon hat/ und das gemuͤth auch natuͤrlicher weiſe eine mehrere ruhe habe: Sondern unter der laſt vieler ſorgen/ die da Chriſtlich ſind/ und der beruffs geſchaͤſſten laͤſſet ſich etwa in einem vierthelſtuͤndlein ſo man darzu frey machen kan ſo viel vergnuͤgung finden/ als in mehrer freyheit bey laͤnger zeit; da indeſſen auch unter denen geſchaͤfften/ wenn das gemuͤth an ſeinen GOtt haͤnget/ und was es thut aus gehorſam zu ſeinen beruff verrichtet. Anders muͤſſten wir ſagen/ daß alle die predigt- oder regierungs-ſtaͤnde ſtehen/ bey denen die amts-geſchaͤfften mehr ſind/ als ſonſten insgemein bey den eheſtand/ koͤnten wegen ſolcher ſtaͤten anlaͤuffe Gott niemahl nicht ruhig dienen: Nun iſts zwar an dem/ daß ſolchen leuten frey- lich manchmahl betruͤblich iſt/ ſo ſelig nicht zu ſeyn als andere ſind/ daß ſie/ ſo viel ſie verlangten/ zu eigener ſeelen erbauung und vergnuͤgung anzuwenden vermoͤchten: Aber es erſetzet theils ſolchen ihꝛen darinn habenden nachſtand der nutzen ſo der nech- ſte davon hat/ theils ſegnet Gott etwa die wenige vierthel-ſtuͤndlein/ die ſie vor ſich gewinnen/ ſo viel kraͤfftiger. Und bin ich alſo verſichert/ daß ein David und Pau- lus/ die mit ſorgen vor ihre unterthanen und viele gemeinden alſo beladen/ daß man wundern ſolte/ ob ihnen auch ein augenblick vor ſich ſelbs anzuwenden bliebe/ nicht zuklagen haben/ daß ſie ihres GOttes guͤte nicht anderen gleich/ ſondern in viel hoͤ- hern maaß/ geſchencket haͤtten. Sonſten wuͤrde man auch noch vielmehr ſolche ſtaͤn- de zu fliehen haben. So verhaͤlt ſichs dann auch mit dem eheſtand. Sonderlich bey denen jenigen/ die bereits in der uͤbung des Chriſtenthums wohl geuͤbet ſind/ da- her ſo viel eher ihre ſeelen in denen gewoͤhnlichen uͤbungen zu Gott erſchwingen moͤ- gen: Hingegen von denen zuſtoſſenden hinderungen nicht ſo bald abgewendet wer- den; Wie die jenige/ die noch erſt in dem anfang ſtehen/ und deswegen mehrerer und freyer ruhe/ ja zu weilen auch gar eine abſonderung von anderen beduͤrffen. Jch weiß aber/ daß meine vielgeliebte ſchweſter unter nicht dieſer ſondern jener zahl ſte- het. Alſo finde ich auch unter denen urſachen/ die Paulus fuͤhret/ daß er gern ſei- ner Corinther ſchohnen wolte/ dieſe/ weil bey dem ehelichen ſtande mehr truͤbſal ſeye/ vornehmlich wie die damahlige zeiten waren v. 28. Daraus ich wiederum ſchlieſ- ſe/ daß des heiligen Pauli rath und ausſpruch vornehmlich ſehe auff die noch ſchwaͤ- chere/ welche er vor anderen zuſchohnen urſach hatte/ und von dero ſchwachheit zu ſorgen M

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/107>, abgerufen am 21.11.2024.