Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.Das sechste Capitel. Mentzer etwas wider dieselbe sich unternehmen würde/ da er der erste unter allenTheologis gewesen/ welcher in einen freundlichen schreiben dieselbe völlig approbi- ret/ u. bezeuget/ daß dergleichen von andern Gottseligen Theologisauch rühmlich vorgeschlagen worden; auch mir gewünschet/ daß solche meine vorschläge/ daran er nichts zu desideriren hätte/ möchten in das werck gerichtetwerden/ wie ich solches schreiben noch bey handen habe/ u. zeigen kan. Daher aber nicht gedencken soll/ daß solcher vornehme mann dasjenige/ was er allerdings gebillichet/ hie mit würde be- streiten wollen. Wie auch verschiedene der Herren Gießischen Theologen eben solche pia desideria gebillichet. Sondern es mag dieses ausschreiben vornehmlich an- gehen Herrn Kriesgmanns tractätlein Symphonesis genannt/ oder von eintzeln zusammenkunfften der Christen/ so zwar ein sehr liebes und schönes tractätlein/ wie ich auch nicht leugne/ daß ich es selbs zum truck habe befördert. Aber es hat Herr D. Mentzer grosses mißfallen daran. Jn übrigen gebe ich meines Hochge- ehrten Herrn dienstfreundlich zu erwegen/ ob nicht solches ausschreiben denjenigen/ welche den Christen dieses recht gönnen/ daß sie macht haben sollen zusammen zu kommen/ und sich untereinander zu erbauen/ gegen die es eigentlich gemeinet/ selbs etlicher massen zu statten kommen könne: Weil sie bekennen/ wie viel nützliches er- bauliches und gottseliges damit ausgerichtet werden könne: welches bekäntnüß uns gar ein grosses ist. Dann daß nachmahl allerhand gefahr vorgewendet wird/ so wissen wir ja die allgemeine regel/ Abusus non tollit usum: und ist also viel- mehr dahin zu sehen/ wie die sache also eingerichtet werde/ das aller mißbrauch ver- hütet/ und der rechte gebrauch erhalten/ als um des befahrenden bösen willen das gute unterlassen werde. Man gedencke/ wo zu unsers theuren Lutheri zeiten/ als derselbe zeigte/ daß allen auch den einfältige die heilige Schrifft zu lesen erlaubt seyn solte/ ihm wären diese argumenta vor gehalten worden/ wie sie noch würcklich heut zu tage uns entgegen von den Papisten gehalten werden/ was vor gefahr mißver- stands/ irrthums/ ketzerey/ spaltung/ verachtung des predigamts/ aus solcher pro- miscua licentia legendi scripturam entstehen könte: Meinen wir wohl/ der theure Mann solte deswegen die sache unterlassen haben? nein/ sondern er wolte den rechten gebrauch behalten/ den mißbrauch aber abgeschafft haben. Nun kan wider die ordentlich in weniger zahl anstellende gottseliger Christen versamlung nicht ein argument gebracht werden/ welches nicht mit eben derselben krafft auch gegen die erlaubnüß der Schrifft stritte. So wenig wir denn den Papisten solches argu- ment gelten lassen/ so wenig muß es auch gegen diese Gottselige erbauung gelten. So möchte auch/ weil sie nicht nur allein nichts vor solche einzele zusammenkunfften/ sondern auch nichts wider sie zu ediren verbieten/ ein zeuanüß seyn/ man seye in seiner seele versichert/ die sache seye nicht böß. Dann warum hätte man viel bedencken ge- gen etwas zu schreiben/ was gewiß böse ist. Einmahl zeigt die erfahrung/ daß durch Christliche und in liebe anstellende conversationes Gottselige hertzen kräfftigst in ihrem
Das ſechſte Capitel. Mentzer etwas wider dieſelbe ſich unternehmen wuͤrde/ da er der erſte unter allenTheologis geweſen/ welcher in einen freundlichẽ ſchreiben dieſelbe voͤllig approbi- ret/ u. bezeuget/ daß dergleichen von andern Gottſeligen Theologisauch ruͤhmlich vorgeſchlagen worden; auch mir gewuͤnſchet/ daß ſolche meine vorſchlaͤge/ daran er nichts zu deſideriren haͤtte/ moͤchten in das werck gerichtetwerden/ wie ich ſolches ſchreiben noch bey handen habe/ u. zeigen kan. Daher aber nicht gedencken ſoll/ daß ſolcheꝛ vornehme mann dasjenige/ was er allerdings gebillichet/ hie mit wuͤrde be- ſtreiten wollen. Wie auch verſchiedene der Heꝛꝛen Gießiſchen Theologen eben ſolche pia deſideria gebillichet. Sondern es mag dieſes ausſchreiben vornehmlich an- gehen Herrn Kriesgmanns tractaͤtlein Symphoneſis genannt/ oder von eintzeln zuſammenkunfften der Chriſten/ ſo zwar ein ſehr liebes und ſchoͤnes tractaͤtlein/ wie ich auch nicht leugne/ daß ich es ſelbs zum truck habe befoͤrdert. Aber es hat Herr D. Mentzer groſſes mißfallen daran. Jn uͤbrigen gebe ich meines Hochge- ehrten Herrn dienſtfreundlich zu erwegen/ ob nicht ſolches ausſchreiben denjenigen/ welche den Chriſten dieſes recht goͤnnen/ daß ſie macht haben ſollen zuſammen zu kommen/ und ſich untereinander zu erbauen/ gegen die es eigentlich gemeinet/ ſelbs etlicher maſſen zu ſtatten kommen koͤnne: Weil ſie bekennen/ wie viel nuͤtzliches er- bauliches und gottſeliges damit ausgerichtet werden koͤnne: welches bekaͤntnuͤß uns gar ein groſſes iſt. Dann daß nachmahl allerhand gefahr vorgewendet wird/ ſo wiſſen wir ja die allgemeine regel/ Abuſus non tollit uſum: und iſt alſo viel- mehr dahin zu ſehen/ wie die ſache alſo eingerichtet werde/ das aller mißbrauch ver- huͤtet/ und der rechte gebrauch erhalten/ als um des befahrenden boͤſen willen das gute unterlaſſen werde. Man gedencke/ wo zu unſers theuren Lutheri zeiten/ als derſelbe zeigte/ daß allen auch den einfaͤltige die heilige Schrifft zu leſen erlaubt ſeyn ſolte/ ihm waͤren dieſe argumenta vor gehalten worden/ wie ſie noch wuͤrcklich heut zu tage uns entgegen von den Papiſten gehalten werden/ was vor gefahr mißver- ſtands/ irrthums/ ketzerey/ ſpaltung/ verachtung des predigamts/ aus ſolcher pro- miſcua licentia legendi ſcripturam entſtehen koͤnte: Meinen wir wohl/ der theure Mann ſolte deswegen die ſache unterlaſſen haben? nein/ ſondern er wolte den rechten gebrauch behalten/ den mißbrauch aber abgeſchafft haben. Nun kan wider die ordentlich in weniger zahl anſtellende gottſeliger Chriſten verſamlung nicht ein argument gebracht werden/ welches nicht mit eben derſelben krafft auch gegen die erlaubnuͤß der Schrifft ſtritte. So wenig wir denn den Papiſten ſolches argu- ment gelten laſſen/ ſo wenig muß es auch gegen dieſe Gottſelige erbauung gelten. So moͤchte auch/ weil ſie nicht nur allein nichts vor ſolche einzele zuſam̃enkunfften/ ſondern auch nichts wider ſie zu ediren verbieten/ ein zeuanuͤß ſeyn/ man ſeye in ſeiner ſeele verſichert/ die ſache ſeye nicht boͤß. Dann warum haͤtte man viel bedencken ge- gen etwas zu ſchreiben/ was gewiß boͤſe iſt. Einmahl zeigt die erfahrung/ daß durch Chriſtliche und in liebe anſtellende converſationes Gottſelige hertzen kraͤfftigſt in ihrem
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Das ſechſte Capitel.
Mentzer etwas wider dieſelbe ſich unternehmen wuͤrde/ da er der erſte unter allen
Theologis geweſen/ welcher in einen freundlichẽ ſchreiben dieſelbe voͤllig approbi-
ret/ u. bezeuget/ daß dergleichen von andern Gottſeligen Theologisauch ruͤhmlich
vorgeſchlagen worden; auch mir gewuͤnſchet/ daß ſolche meine vorſchlaͤge/ daran er
nichts zu deſideriren haͤtte/ moͤchten in das werck gerichtetwerden/ wie ich ſolches
ſchreiben noch bey handen habe/ u. zeigen kan. Daher aber nicht gedencken ſoll/ daß
ſolcheꝛ vornehme mann dasjenige/ was er allerdings gebillichet/ hie mit wuͤrde be-
ſtreiten wollen. Wie auch verſchiedene der Heꝛꝛen Gießiſchen Theologen eben ſolche
pia deſideria gebillichet. Sondern es mag dieſes ausſchreiben vornehmlich an-
gehen Herrn Kriesgmanns tractaͤtlein Symphoneſis genannt/ oder von eintzeln
zuſammenkunfften der Chriſten/ ſo zwar ein ſehr liebes und ſchoͤnes tractaͤtlein/
wie ich auch nicht leugne/ daß ich es ſelbs zum truck habe befoͤrdert. Aber es hat
Herr D. Mentzer groſſes mißfallen daran. Jn uͤbrigen gebe ich meines Hochge-
ehrten Herrn dienſtfreundlich zu erwegen/ ob nicht ſolches ausſchreiben denjenigen/
welche den Chriſten dieſes recht goͤnnen/ daß ſie macht haben ſollen zuſammen zu
kommen/ und ſich untereinander zu erbauen/ gegen die es eigentlich gemeinet/ ſelbs
etlicher maſſen zu ſtatten kommen koͤnne: Weil ſie bekennen/ wie viel nuͤtzliches er-
bauliches und gottſeliges damit ausgerichtet werden koͤnne: welches bekaͤntnuͤß
uns gar ein groſſes iſt. Dann daß nachmahl allerhand gefahr vorgewendet wird/
ſo wiſſen wir ja die allgemeine regel/ Abuſus non tollit uſum: und iſt alſo viel-
mehr dahin zu ſehen/ wie die ſache alſo eingerichtet werde/ das aller mißbrauch ver-
huͤtet/ und der rechte gebrauch erhalten/ als um des befahrenden boͤſen willen das
gute unterlaſſen werde. Man gedencke/ wo zu unſers theuren Lutheri zeiten/ als
derſelbe zeigte/ daß allen auch den einfaͤltige die heilige Schrifft zu leſen erlaubt ſeyn
ſolte/ ihm waͤren dieſe argumenta vor gehalten worden/ wie ſie noch wuͤrcklich heut
zu tage uns entgegen von den Papiſten gehalten werden/ was vor gefahr mißver-
ſtands/ irrthums/ ketzerey/ ſpaltung/ verachtung des predigamts/ aus ſolcher pro-
miſcua licentia legendi ſcripturam entſtehen koͤnte: Meinen wir wohl/ der theure
Mann ſolte deswegen die ſache unterlaſſen haben? nein/ ſondern er wolte den rechten
gebrauch behalten/ den mißbrauch aber abgeſchafft haben. Nun kan wider die
ordentlich in weniger zahl anſtellende gottſeliger Chriſten verſamlung nicht ein
argument gebracht werden/ welches nicht mit eben derſelben krafft auch gegen die
erlaubnuͤß der Schrifft ſtritte. So wenig wir denn den Papiſten ſolches argu-
ment gelten laſſen/ ſo wenig muß es auch gegen dieſe Gottſelige erbauung gelten.
So moͤchte auch/ weil ſie nicht nur allein nichts vor ſolche einzele zuſam̃enkunfften/
ſondern auch nichts wider ſie zu ediren verbieten/ ein zeuanuͤß ſeyn/ man ſeye in ſeiner
ſeele verſichert/ die ſache ſeye nicht boͤß. Dann warum haͤtte man viel bedencken ge-
gen etwas zu ſchreiben/ was gewiß boͤſe iſt. Einmahl zeigt die erfahrung/ daß durch
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/234>, abgerufen am 16.02.2025. |