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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
mahl ihren rath schlechter dings zu folgen seye. Wäre die erste absicht/ so beken-
ne ich gern/ daß mirs eine freude seyn würde der gleichen arbeit zu sehen/ wo ein
verständiger Christlicher mann sie übernehmen und absolviren würde/ aus aller
der jenigen/ welche er vor unmittelbahr erleuchtete achtet/ oder nur einiger vorgeben
und vermuthen daran wäre/ Schrifften/ so viel man hat/ alles das jenige aus zu-
ziehen/ was hierher gehörte. Zweiffle auch nicht/ es würde solche arbeit nicht oh-
ne nutzen seyn können; Daß aber ein solch grosses davon zu hoffen/ und dieses das
zulänglichste mittel solte seyn der allgemeinen besserung/ kan ich noch zu der zeit nicht
erkennen. Denn 1. wird der gröste streit seyn/ welche man vor solche leuthe erken-
nen solte; Es werden die Papisten nimmermehr einigen darvor erkennen/ welcher
ausser ihrer kirchen gelebet. Den andern wirds auch nicht gefallen/ alle die jenige
darzu anzunehmen/ welche jene darvor achten mögen. So wird man Päpstischer seiten
auch selbst derjenigen/ welche sie canonisiret haben scripta nicht anders annehmen/
als cum submissione sub judicium Ecclesiae. Nun wo dieses bleibet/ u. also die ge-
genwärtige Römische kirch die macht behält/ nach belieben davon zu entscheiden ist leicht
zu ermessen/ was außzurichten. Jch sehe auch nicht/ aus was vor canonicirenden
gründen wir heut zu tag uns versichern können/ von den jenigen/ die vor uns gele-
bet/ daß sie unmittelbahr erleuchtet gewesen. Die historien sind betrüglich/ die sa-
che allzuwichtig. 2. Wo wir auch von einigen personen gewiß wären/ daß sie zu
einigen mahlen prophetische inspirationes gehabt/ und dergleichen geredet oder
geschrieben/ wo einige characteres tou~ Theiou sich darinnen finden/ würde damit noch
nicht ausgemacht seyn/ daß alle der Schrifften Theopneusta zu halten/ hingegen un-
ter den vielen scriptis die jenige ohnfehlbar auszuwehlen/ die sie aus göttlichen
Geist geschrieben/ oder wo nur allein der mensch gewircket/ so wird schwer werden/ das
man es vielmehr vor unmüglich zu halten hätte. Zu geschweigen anderer mehr
difficultäten die sich bey solchen vorschlag/ wo er practiciret/ und ein solches werck
der gesamten Christenheit vorgeschlagen werden solte/ ereignen wür den. Jndes-
sen verlangte ich selbst dergleichen zu sehen/ und möchte etwa/ wo es unter anderer
absicht oder vorwand heraus kähme/ daß es nicht schiene proimperio und necessi-
tate
der Christenheit obtrudiret zu werden/ einen stattlichen effect auffs wenig-
ste bey ihrer vielen haben/ wo sie solche dinge mit den geschriebenen göttlichen wort
conferirende eine schöne harmonie antreffen möchten; wäre aber sache/ daß das
andere gemeint würde/ nemlich einige lebendige ohnmittelbahr erleuchtete anzuneh-
men/ oder zu erwarten/ so würde allein darüber der streit seyn/ woran/ oder wie
wir solche leuthe ohne gefahr des betrugs erkennen könten. Wie dann einmahl in
solcher so wichtigsten und die gantze kirche betreffenden sachen/ es nicht bey einem
probablen argument bleiben/ sondern man solche gründe haben müste/ daß ein
mensch/ deme es an seiner seligkeit gelegen/ und also willig ist/ was GOTTes wille

seye/

Das ſechſte Capitel.
mahl ihren rath ſchlechter dings zu folgen ſeye. Waͤre die erſte abſicht/ ſo beken-
ne ich gern/ daß mirs eine freude ſeyn wuͤrde der gleichen arbeit zu ſehen/ wo ein
verſtaͤndiger Chriſtlicher mann ſie uͤbernehmen und abſolviren wuͤrde/ aus aller
der jenigen/ welche er vor unmittelbahr erleuchtete achtet/ oder nur einiger vorgeben
und vermuthen daran waͤre/ Schrifften/ ſo viel man hat/ alles das jenige aus zu-
ziehen/ was hierher gehoͤrte. Zweiffle auch nicht/ es wuͤrde ſolche arbeit nicht oh-
ne nutzen ſeyn koͤnnen; Daß aber ein ſolch groſſes davon zu hoffen/ und dieſes das
zulaͤnglichſte mittel ſolte ſeyn der allgemeinen beſſerung/ kan ich noch zu der zeit nicht
erkennen. Denn 1. wird der groͤſte ſtreit ſeyn/ welche man vor ſolche leuthe erken-
nen ſolte; Es werden die Papiſten nimmermehr einigen darvor erkennen/ welcher
auſſer ihrer kirchen gelebet. Den andern wirds auch nicht gefallen/ alle die jenige
darzu anzunehmen/ welche jene darvor achten moͤgẽ. So wird man Paͤpſtiſcher ſeitẽ
auch ſelbſt derjenigẽ/ welche ſie canoniſiret haben ſcripta nicht anders annehmen/
als cum ſubmiſſione ſub judicium Eccleſiæ. Nun wo dieſes bleibet/ u. alſo die ge-
genwaͤrtige Roͤmiſche kirch die macht behaͤlt/ nach beliebẽ davon zu entſcheidẽ iſt leicht
zu ermeſſen/ was außzurichten. Jch ſehe auch nicht/ aus was vor canonicirenden
gruͤnden wir heut zu tag uns verſichern koͤnnen/ von den jenigen/ die vor uns gele-
bet/ daß ſie unmittelbahr erleuchtet geweſen. Die hiſtorien ſind betruͤglich/ die ſa-
che allzuwichtig. 2. Wo wir auch von einigen perſonen gewiß waͤren/ daß ſie zu
einigen mahlen prophetiſche inſpirationes gehabt/ und dergleichen geredet oder
geſchrieben/ wo einige characteres του῀ Θέιου ſich darinnen finden/ wuͤrde damit noch
nicht ausgemacht ſeyn/ daß alle der Schrifften Θεοπνέυστα zu halten/ hingegen un-
ter den vielen ſcriptis die jenige ohnfehlbar auszuwehlen/ die ſie aus goͤttlichen
Geiſt geſchrieben/ oder wo nur allein der menſch gewircket/ ſo wird ſchwer werdẽ/ das
man es vielmehr vor unmuͤglich zu halten haͤtte. Zu geſchweigen anderer mehr
difficultaͤten die ſich bey ſolchen vorſchlag/ wo er practiciret/ und ein ſolches werck
der geſamten Chriſtenheit vorgeſchlagen werden ſolte/ ereignen wuͤr den. Jndeſ-
ſen verlangte ich ſelbſt dergleichen zu ſehen/ und moͤchte etwa/ wo es unter anderer
abſicht oder vorwand heraus kaͤhme/ daß es nicht ſchiene proimperio und neceſſi-
tate
der Chriſtenheit obtrudiret zu werden/ einen ſtattlichen effect auffs wenig-
ſte bey ihrer vielen haben/ wo ſie ſolche dinge mit den geſchriebenen goͤttlichen wort
conferirende eine ſchoͤne harmonie antreffen moͤchten; waͤre aber ſache/ daß das
andere gemeint wuͤrde/ nemlich einige lebendige ohnmittelbahr erleuchtete anzuneh-
men/ oder zu erwarten/ ſo wuͤrde allein daruͤber der ſtreit ſeyn/ woran/ oder wie
wir ſolche leuthe ohne gefahr des betrugs erkennen koͤnten. Wie dann einmahl in
ſolcher ſo wichtigſten und die gantze kirche betreffenden ſachen/ es nicht bey einem
probablen argument bleiben/ ſondern man ſolche gruͤnde haben muͤſte/ daß ein
menſch/ deme es an ſeiner ſeligkeit gelegen/ und alſo willig iſt/ was GOTTes wille

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[232[234]/0252] Das ſechſte Capitel. mahl ihren rath ſchlechter dings zu folgen ſeye. Waͤre die erſte abſicht/ ſo beken- ne ich gern/ daß mirs eine freude ſeyn wuͤrde der gleichen arbeit zu ſehen/ wo ein verſtaͤndiger Chriſtlicher mann ſie uͤbernehmen und abſolviren wuͤrde/ aus aller der jenigen/ welche er vor unmittelbahr erleuchtete achtet/ oder nur einiger vorgeben und vermuthen daran waͤre/ Schrifften/ ſo viel man hat/ alles das jenige aus zu- ziehen/ was hierher gehoͤrte. Zweiffle auch nicht/ es wuͤrde ſolche arbeit nicht oh- ne nutzen ſeyn koͤnnen; Daß aber ein ſolch groſſes davon zu hoffen/ und dieſes das zulaͤnglichſte mittel ſolte ſeyn der allgemeinen beſſerung/ kan ich noch zu der zeit nicht erkennen. Denn 1. wird der groͤſte ſtreit ſeyn/ welche man vor ſolche leuthe erken- nen ſolte; Es werden die Papiſten nimmermehr einigen darvor erkennen/ welcher auſſer ihrer kirchen gelebet. Den andern wirds auch nicht gefallen/ alle die jenige darzu anzunehmen/ welche jene darvor achten moͤgẽ. So wird man Paͤpſtiſcher ſeitẽ auch ſelbſt derjenigẽ/ welche ſie canoniſiret haben ſcripta nicht anders annehmen/ als cum ſubmiſſione ſub judicium Eccleſiæ. Nun wo dieſes bleibet/ u. alſo die ge- genwaͤrtige Roͤmiſche kirch die macht behaͤlt/ nach beliebẽ davon zu entſcheidẽ iſt leicht zu ermeſſen/ was außzurichten. Jch ſehe auch nicht/ aus was vor canonicirenden gruͤnden wir heut zu tag uns verſichern koͤnnen/ von den jenigen/ die vor uns gele- bet/ daß ſie unmittelbahr erleuchtet geweſen. Die hiſtorien ſind betruͤglich/ die ſa- che allzuwichtig. 2. Wo wir auch von einigen perſonen gewiß waͤren/ daß ſie zu einigen mahlen prophetiſche inſpirationes gehabt/ und dergleichen geredet oder geſchrieben/ wo einige characteres του῀ Θέιου ſich darinnen finden/ wuͤrde damit noch nicht ausgemacht ſeyn/ daß alle der Schrifften Θεοπνέυστα zu halten/ hingegen un- ter den vielen ſcriptis die jenige ohnfehlbar auszuwehlen/ die ſie aus goͤttlichen Geiſt geſchrieben/ oder wo nur allein der menſch gewircket/ ſo wird ſchwer werdẽ/ das man es vielmehr vor unmuͤglich zu halten haͤtte. Zu geſchweigen anderer mehr difficultaͤten die ſich bey ſolchen vorſchlag/ wo er practiciret/ und ein ſolches werck der geſamten Chriſtenheit vorgeſchlagen werden ſolte/ ereignen wuͤr den. Jndeſ- ſen verlangte ich ſelbſt dergleichen zu ſehen/ und moͤchte etwa/ wo es unter anderer abſicht oder vorwand heraus kaͤhme/ daß es nicht ſchiene proimperio und neceſſi- tate der Chriſtenheit obtrudiret zu werden/ einen ſtattlichen effect auffs wenig- ſte bey ihrer vielen haben/ wo ſie ſolche dinge mit den geſchriebenen goͤttlichen wort conferirende eine ſchoͤne harmonie antreffen moͤchten; waͤre aber ſache/ daß das andere gemeint wuͤrde/ nemlich einige lebendige ohnmittelbahr erleuchtete anzuneh- men/ oder zu erwarten/ ſo wuͤrde allein daruͤber der ſtreit ſeyn/ woran/ oder wie wir ſolche leuthe ohne gefahr des betrugs erkennen koͤnten. Wie dann einmahl in ſolcher ſo wichtigſten und die gantze kirche betreffenden ſachen/ es nicht bey einem probablen argument bleiben/ ſondern man ſolche gruͤnde haben muͤſte/ daß ein menſch/ deme es an ſeiner ſeligkeit gelegen/ und alſo willig iſt/ was GOTTes wille ſeye/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 232[234]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/252>, abgerufen am 22.11.2024.