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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIV.
HErren klar zu überzeugung der seelen gezeigt werde/ das solches der sinnund mei-
nung des heiligen Geistes/ und also GOttes wille an mich seye: und kan mich da-
rinnen so wenig resolviren, einigen menschen deßwegen zu glauben/ weil er mirs
sagt/ und mich erinnert als ich mir selbs auch nicht ohne erkäntnüß göttlichen worts
glaube und traue. Daß ein selbs-gelehrter Academischer Doctor sich selbs ver-
nichtigen/ wie ein kind erniedrigen/ seine eigene gerechtigkeit weißheit und wissen-
schafft verachten und sich biß in den gehorsam des todes ans creutz mit Christo unter
geben solle/ ist in diesen terminis und thesi abermahl eine ausgemachte wahrheit.
Aber was solches gesagt seye/ und wie es practiciret werden müsse/ ist nicht weni-
ger wol zu unterscheiden und zu erkennen/ damit wir nicht böses und gutes über ei-
nen hauffen werffen.

Hat ein mensch seine studia academica in der furcht des HErren und sei-
ner anruffung Christlich geführet/ und ist dadurch zu einer feinen erudition gekom-
men/ so hat er je dieselbe gnade GOttes nicht zu verleugnen/ daß er alles solches mit
fleiß in göttlichen segen erlernete wolte verachten lassen/ vergessen und nicht gebrau-
chen/ welches ich vor die grösseste undanckbarkeit und verderbung der göttlichen
gnaden gaben achtete/ sondern er hat sich derselbigen zu seines GOttes ehr und des
nechsten erbauung/ als viel ihm der HErr dazu gelegenheit gibet treulich zu brau-
chen und anzuwenden. Ja wo er recht ein schwülstiger und hochmüthiger mann
gewesen wäre/ und in seinen studiis nichts als eigene ehre gesuchet/ und sich samt sei-
ner erudition ihm sejbs zum Götzen gemacht hätte/ daß deßwegen seine erudi-
tion
nichts als ein menschlicher habitus gewesen/ wo er gleichwol dar-
nach von GOtt zu einer erkäntnüß seiner selbs und der wahren buß gebracht/ damit
aber er mit göttlichen liecht erleuchtet/ folglich seine buchstäbliche todte erkäntnüß in
GOTT lebendig gemacht wird/ so hätte auch solcher seine erudition und wissen-
schafft nicht weg zuwerffen/ sondern nachdem dieselbige nunmehr geheiliget ist/ sich
ihrer in hertzlicher demuth und danckbarkeit vor GOtt zu gebrauchen. Wie wir
auch von dem lieben Paulo sehen/ daß er seine in dem Phariseismo gefaßte wissen-
schafft nützlich gebrauchet hat. Aber dieses achte ich vor die wahre schuldigkeit/
daß wir Doctores alle/ ja alle gelehrte/ sie tragen titul oder nicht/ als an dem nichts
gelegen ist/ uns u. unsere weißheit vernichtigen/ erkennen/ daß was wir wissen und
verstehen seye nicht unser werck/ sondern wir haben davor Gott zu dancken/ der ver-
stand und ingenium, die gelegenheit des studirens/ treue der praeceptorum und
alles übrige/ dadurch wir zu einer erudition gekommen wären/ seyen lauter gaben
GOttes/ dero wir nicht werth gewesen/ deßwegen wir auch an der erlangten eru-
dition,
so viel an solcher gut ist/ uns nichts zueignen/ sondern alle dieselbe in soli-
dum
dem jenigen zu messen und zurück geben müssen/ von dem alles gute herkom-
met/ uns nichts davon anmassende/ als was daran mangelhafft/ befleckt und miß-
braucht worden wäre/ daß wir also wegen aller solcher dinge nicht groß in unsern
augen seyen/ sondern gedencken/ GOtt hätte solches alles eben so leicht einem andern

geben
Rrr 3

ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIV.
HErren klar zu uͤberzeugung der ſeelen gezeigt werde/ das ſolches der ſinnund mei-
nung des heiligen Geiſtes/ und alſo GOttes wille an mich ſeye: und kan mich da-
rinnen ſo wenig reſolviren, einigen menſchen deßwegen zu glauben/ weil er mirs
ſagt/ und mich erinnert als ich mir ſelbs auch nicht ohne erkaͤntnuͤß goͤttlichen worts
glaube und traue. Daß ein ſelbs-gelehrter Academiſcher Doctor ſich ſelbs ver-
nichtigen/ wie ein kind erniedrigen/ ſeine eigene gerechtigkeit weißheit und wiſſen-
ſchafft verachten und ſich biß in den gehorſam des todes ans creutz mit Chriſto unter
geben ſolle/ iſt in dieſen terminis und theſi abermahl eine ausgemachte wahrheit.
Aber was ſolches geſagt ſeye/ und wie es practiciret werden muͤſſe/ iſt nicht weni-
ger wol zu unterſcheiden und zu erkennen/ damit wir nicht boͤſes und gutes uͤber ei-
nen hauffen werffen.

Hat ein menſch ſeine ſtudia academica in der furcht des HErren und ſei-
ner anruffung Chriſtlich gefuͤhret/ und iſt dadurch zu einer feinen erudition gekom-
men/ ſo hat er je dieſelbe gnade GOttes nicht zu verleugnen/ daß er alles ſolches mit
fleiß in goͤttlichen ſegen erlernete wolte verachten laſſen/ vergeſſen und nicht gebrau-
chen/ welches ich vor die groͤſſeſte undanckbarkeit und verderbung der goͤttlichen
gnaden gaben achtete/ ſondern er hat ſich derſelbigen zu ſeines GOttes ehr und des
nechſten erbauung/ als viel ihm der HErr dazu gelegenheit gibet treulich zu brau-
chen und anzuwenden. Ja wo er recht ein ſchwuͤlſtiger und hochmuͤthiger mann
geweſen waͤre/ und in ſeinen ſtudiis nichts als eigene ehre geſuchet/ und ſich ſamt ſei-
ner erudition ihm ſejbs zum Goͤtzen gemacht haͤtte/ daß deßwegen ſeine erudi-
tion
nichts als ein menſchlicher habitus geweſen/ wo er gleichwol dar-
nach von GOtt zu einer erkaͤntnuͤß ſeiner ſelbs und der wahren buß gebracht/ damit
aber er mit goͤttlichen liecht erleuchtet/ folglich ſeine buchſtaͤbliche todte erkaͤntnuͤß in
GOTT lebendig gemacht wird/ ſo haͤtte auch ſolcher ſeine erudition und wiſſen-
ſchafft nicht weg zuwerffen/ ſondern nachdem dieſelbige nunmehr geheiliget iſt/ ſich
ihrer in hertzlicher demuth und danckbarkeit vor GOtt zu gebrauchen. Wie wir
auch von dem lieben Paulo ſehen/ daß er ſeine in dem Phariſeismo gefaßte wiſſen-
ſchafft nuͤtzlich gebꝛauchet hat. Aber dieſes achte ich vor die wahre ſchuldigkeit/
daß wir Doctores alle/ ja alle gelehrte/ ſie tragen titul oder nicht/ als an dem nichts
gelegen iſt/ uns u. unſere weißheit vernichtigen/ erkeñen/ daß was wir wiſſen und
verſtehen ſeye nicht unſer werck/ ſondern wir haben davor Gott zu dancken/ der ver-
ſtand und ingenium, die gelegenheit des ſtudirens/ treue der præceptorum und
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GOttes/ dero wir nicht werth geweſen/ deßwegen wir auch an der erlangten eru-
dition,
ſo viel an ſolcher gut iſt/ uns nichts zueignen/ ſondern alle dieſelbe in ſoli-
dum
dem jenigen zu meſſen und zuruͤck geben muͤſſen/ von dem alles gute herkom-
met/ uns nichts davon anmaſſende/ als was daran mangelhafft/ befleckt und miß-
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[501/0519] ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO XLIV. HErren klar zu uͤberzeugung der ſeelen gezeigt werde/ das ſolches der ſinnund mei- nung des heiligen Geiſtes/ und alſo GOttes wille an mich ſeye: und kan mich da- rinnen ſo wenig reſolviren, einigen menſchen deßwegen zu glauben/ weil er mirs ſagt/ und mich erinnert als ich mir ſelbs auch nicht ohne erkaͤntnuͤß goͤttlichen worts glaube und traue. Daß ein ſelbs-gelehrter Academiſcher Doctor ſich ſelbs ver- nichtigen/ wie ein kind erniedrigen/ ſeine eigene gerechtigkeit weißheit und wiſſen- ſchafft verachten und ſich biß in den gehorſam des todes ans creutz mit Chriſto unter geben ſolle/ iſt in dieſen terminis und theſi abermahl eine ausgemachte wahrheit. Aber was ſolches geſagt ſeye/ und wie es practiciret werden muͤſſe/ iſt nicht weni- ger wol zu unterſcheiden und zu erkennen/ damit wir nicht boͤſes und gutes uͤber ei- nen hauffen werffen. Hat ein menſch ſeine ſtudia academica in der furcht des HErren und ſei- ner anruffung Chriſtlich gefuͤhret/ und iſt dadurch zu einer feinen erudition gekom- men/ ſo hat er je dieſelbe gnade GOttes nicht zu verleugnen/ daß er alles ſolches mit fleiß in goͤttlichen ſegen erlernete wolte verachten laſſen/ vergeſſen und nicht gebrau- chen/ welches ich vor die groͤſſeſte undanckbarkeit und verderbung der goͤttlichen gnaden gaben achtete/ ſondern er hat ſich derſelbigen zu ſeines GOttes ehr und des nechſten erbauung/ als viel ihm der HErr dazu gelegenheit gibet treulich zu brau- chen und anzuwenden. Ja wo er recht ein ſchwuͤlſtiger und hochmuͤthiger mann geweſen waͤre/ und in ſeinen ſtudiis nichts als eigene ehre geſuchet/ und ſich ſamt ſei- ner erudition ihm ſejbs zum Goͤtzen gemacht haͤtte/ daß deßwegen ſeine erudi- tion nichts als ein menſchlicher habitus geweſen/ wo er gleichwol dar- nach von GOtt zu einer erkaͤntnuͤß ſeiner ſelbs und der wahren buß gebracht/ damit aber er mit goͤttlichen liecht erleuchtet/ folglich ſeine buchſtaͤbliche todte erkaͤntnuͤß in GOTT lebendig gemacht wird/ ſo haͤtte auch ſolcher ſeine erudition und wiſſen- ſchafft nicht weg zuwerffen/ ſondern nachdem dieſelbige nunmehr geheiliget iſt/ ſich ihrer in hertzlicher demuth und danckbarkeit vor GOtt zu gebrauchen. Wie wir auch von dem lieben Paulo ſehen/ daß er ſeine in dem Phariſeismo gefaßte wiſſen- ſchafft nuͤtzlich gebꝛauchet hat. Aber dieſes achte ich vor die wahre ſchuldigkeit/ daß wir Doctores alle/ ja alle gelehrte/ ſie tragen titul oder nicht/ als an dem nichts gelegen iſt/ uns u. unſere weißheit vernichtigen/ erkeñen/ daß was wir wiſſen und verſtehen ſeye nicht unſer werck/ ſondern wir haben davor Gott zu dancken/ der ver- ſtand und ingenium, die gelegenheit des ſtudirens/ treue der præceptorum und alles uͤbrige/ dadurch wir zu einer erudition gekommen waͤren/ ſeyen lauter gaben GOttes/ dero wir nicht werth geweſen/ deßwegen wir auch an der erlangten eru- dition, ſo viel an ſolcher gut iſt/ uns nichts zueignen/ ſondern alle dieſelbe in ſoli- dum dem jenigen zu meſſen und zuruͤck geben muͤſſen/ von dem alles gute herkom- met/ uns nichts davon anmaſſende/ als was daran mangelhafft/ befleckt und miß- braucht worden waͤre/ daß wir alſo wegen aller ſolcher dinge nicht groß in unſern augen ſeyen/ ſondern gedencken/ GOtt haͤtte ſolches alles eben ſo leicht einem andern geben Rrr 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/519>, abgerufen am 22.11.2024.