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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
genauer inqvisition nichts gebracht haben. Zwar sind von dem ministerio zu
Leipzig Act. Vol. . p. 85. 86. einige irrige puncten/ so in den collegiis solten do-
cir
et worden seyn/ eingesandt worden/ von welchen ich bekenne/ wo erweißlich wä-
re/ daß dieselbe von den ienigen/ so die collegia gehalten/ also vorgetragen/ o-
der unter die leut gebracht worden wären/ daß solches ein starcker und gefähr-
licher anfang neuer lehr und also secte wäre. Es ist aber solches nicht erwiesen/
und mir so viel weniger glaublich/ in dem mir die vornehmste personen/ so die col-
legia
gehalten/ M. Francke und M. Schade selbs vor ihre person/ und was sie
von solchen glaubens puncten/ nemlich mit uns einerley/ halten/ gnugsam be-
kant/ daß ich gegen sie ohne gnugsamen erweiß dergleichen noch nicht annehmen
kan: hingegen mir/ wie es mit solchen beschuldigungen pflege herzugehen/ aus lang-
wihriger erfahrung wohlwissend ist/ wie entweder von übelgesinnten und boß-
hafften leuten vorsetzlich manchmal christlichen leuten dergleichen dinge auf-
gedichtet zu werden pflegen/ daran sie nie gedacht haben/ oder von unverständi-
gen wort/ die sie nicht begreiffen/ aufgefasset/ in andern verstand gezogen/ und
also nachmal verkehrt ausgebreitet werden können: wie ich auch noch in den ge-
dancken stehe/ was dem ministerio in Leipzig in solchen puncten angebracht
worden/ seye keiner andern art/ hoffe auch in genauer inqvisition werde sich der-
gleichen bereits ergeben haben oder noch ergeben.

Weil aber sonderlich so wohl sonsten vielfältig durch das gerücht ausgebrei-
tet worden ist/ als man auch aus den acten ersiehet/ daß diese leute in verdacht
gezogen worden sind/ ob lehreten sie von der haltung des göttlichen gesetzes oder
der gebote GOttes nicht nach unsrer Evangelischen wahrheit/ so ist gleichwohl
von M. Francken/ nach dessen lehr man doch der andern lehr vermuthlich auch ae-
stimir
en wird/ aus den acten erweißlich/ daß nichts heterodoxes in diesem punct
gegen ihn erfunden worden. Wie dann die zeugen Vol. Act. Sun f. 41. u. f. ihn
theils völlig absolviren/ theils nichts gnugsam gegen ihn deponiren/ also unter
denen mit ihm in verdacht gezogenen antworten seinet wegen M. Schade/ fol. 57.
daß man das gesetz perfecte nicht erfüllen könte/ M. Lange fol. 58. ein regenitus
seye nicht ohne sünde/ M. Thieme/ f. 59. daß ein regenitus das wort GOttes
nach dem rigore legis vollkomlich nicht halten könne/ aliqvo modo kan ers hal-
ten. Endlich fol. 69. antwortet er auf die frage: ob ein regenitus GOttes
gesetz vollkommlich halten/ und ohne sünde leben könne/
mit einem run-
den Nein. Ob ich dann wohl/ daß er nachmal fol. 106. in solchem punct seinen prae-
ceptoribus
einiges vorhält/ nicht billiche/ so finde doch auch nicht Vol. . f. 57. daß
etwas auf ihn gebracht würde/ was gegen unsre gesunde lehr in diesem punct streit-
te: indem es nicht weniger ein stück unsrer Religion ist/ daß ein wiedergebohr-
ner in der krafft GOttes/ ob zwar nicht nach der strenge des gesetzes und also voll-
kommen/ dannoch etlicher massen/ und wie der himmlische Vater mit seiner kin-
der unvollkommenen aber gleichwohl redlichem gehorsam gedult tragen will/ die

gebote

Das ſechſte Capitel.
genauer inqviſition nichts gebracht haben. Zwar ſind von dem miniſterio zu
Leipzig Act. Vol. ☽. p. 85. 86. einige irrige puncten/ ſo in den collegiis ſolten do-
cir
et worden ſeyn/ eingeſandt worden/ von welchen ich bekenne/ wo erweißlich waͤ-
re/ daß dieſelbe von den ienigen/ ſo die collegia gehalten/ alſo vorgetragen/ o-
der unter die leut gebracht worden waͤren/ daß ſolches ein ſtarcker und gefaͤhr-
licher anfang neuer lehr und alſo ſecte waͤre. Es iſt aber ſolches nicht erwieſen/
und mir ſo viel weniger glaublich/ in dem mir die vornehmſte perſonen/ ſo die col-
legia
gehalten/ M. Francke und M. Schade ſelbs vor ihre perſon/ und was ſie
von ſolchen glaubens puncten/ nemlich mit uns einerley/ halten/ gnugſam be-
kant/ daß ich gegen ſie ohne gnugſamen erweiß dergleichen noch nicht annehmen
kan: hingegen mir/ wie es mit ſolchen beſchuldigungen pflege herzugehen/ aus lang-
wihriger erfahrung wohlwiſſend iſt/ wie entweder von uͤbelgeſinnten und boß-
hafften leuten vorſetzlich manchmal chriſtlichen leuten dergleichen dinge auf-
gedichtet zu werden pflegen/ daran ſie nie gedacht haben/ oder von unverſtaͤndi-
gen wort/ die ſie nicht begreiffen/ aufgefaſſet/ in andern verſtand gezogen/ und
alſo nachmal verkehrt ausgebreitet werden koͤnnen: wie ich auch noch in den ge-
dancken ſtehe/ was dem miniſterio in Leipzig in ſolchen puncten angebracht
worden/ ſeye keiner andern art/ hoffe auch in genauer inqviſition werde ſich der-
gleichen bereits ergeben haben oder noch ergeben.

Weil aber ſonderlich ſo wohl ſonſten vielfaͤltig durch das geruͤcht ausgebrei-
tet worden iſt/ als man auch aus den acten erſiehet/ daß dieſe leute in verdacht
gezogen worden ſind/ ob lehreten ſie von der haltung des goͤttlichen geſetzes oder
der gebote GOttes nicht nach unſrer Evangeliſchen wahrheit/ ſo iſt gleichwohl
von M. Francken/ nach deſſen lehr man doch der andern lehr vermuthlich auch æ-
ſtimir
en wird/ aus den acten erweißlich/ daß nichts heterodoxes in dieſem punct
gegen ihn erfunden worden. Wie dann die zeugen Vol. Act. ☉ f. 41. u. f. ihn
theils voͤllig abſolviren/ theils nichts gnugſam gegen ihn deponiren/ alſo unter
denen mit ihm in verdacht gezogenen antworten ſeinet wegen M. Schade/ fol. 57.
daß man das geſetz perfecte nicht erfuͤllen koͤnte/ M. Lange fol. 58. ein regenitus
ſeye nicht ohne ſuͤnde/ M. Thieme/ f. 59. daß ein regenitus das wort GOttes
nach dem rigore legis vollkomlich nicht halten koͤnne/ aliqvo modo kan ers hal-
ten. Endlich fol. 69. antwortet er auf die frage: ob ein regenitus GOttes
geſetz vollkommlich halten/ und ohne ſuͤnde leben koͤnne/
mit einem run-
den Nein. Ob ich dann wohl/ daß er nachmal fol. 106. in ſolchem punct ſeinen præ-
ceptoribus
einiges vorhaͤlt/ nicht billiche/ ſo finde doch auch nicht Vol. ☽. f. 57. daß
etwas auf ihn gebracht wuͤrde/ was gegen unſre geſunde lehr in dieſem punct ſtreit-
te: indem es nicht weniger ein ſtuͤck unſrer Religion iſt/ daß ein wiedergebohr-
ner in der krafft GOttes/ ob zwar nicht nach der ſtrenge des geſetzes und alſo voll-
kommen/ dannoch etlicher maſſen/ und wie der himmliſche Vater mit ſeiner kin-
der unvollkommenen aber gleichwohl redlichem gehorſam gedult tragen will/ die

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[780/0798] Das ſechſte Capitel. genauer inqviſition nichts gebracht haben. Zwar ſind von dem miniſterio zu Leipzig Act. Vol. ☽. p. 85. 86. einige irrige puncten/ ſo in den collegiis ſolten do- ciret worden ſeyn/ eingeſandt worden/ von welchen ich bekenne/ wo erweißlich waͤ- re/ daß dieſelbe von den ienigen/ ſo die collegia gehalten/ alſo vorgetragen/ o- der unter die leut gebracht worden waͤren/ daß ſolches ein ſtarcker und gefaͤhr- licher anfang neuer lehr und alſo ſecte waͤre. Es iſt aber ſolches nicht erwieſen/ und mir ſo viel weniger glaublich/ in dem mir die vornehmſte perſonen/ ſo die col- legia gehalten/ M. Francke und M. Schade ſelbs vor ihre perſon/ und was ſie von ſolchen glaubens puncten/ nemlich mit uns einerley/ halten/ gnugſam be- kant/ daß ich gegen ſie ohne gnugſamen erweiß dergleichen noch nicht annehmen kan: hingegen mir/ wie es mit ſolchen beſchuldigungen pflege herzugehen/ aus lang- wihriger erfahrung wohlwiſſend iſt/ wie entweder von uͤbelgeſinnten und boß- hafften leuten vorſetzlich manchmal chriſtlichen leuten dergleichen dinge auf- gedichtet zu werden pflegen/ daran ſie nie gedacht haben/ oder von unverſtaͤndi- gen wort/ die ſie nicht begreiffen/ aufgefaſſet/ in andern verſtand gezogen/ und alſo nachmal verkehrt ausgebreitet werden koͤnnen: wie ich auch noch in den ge- dancken ſtehe/ was dem miniſterio in Leipzig in ſolchen puncten angebracht worden/ ſeye keiner andern art/ hoffe auch in genauer inqviſition werde ſich der- gleichen bereits ergeben haben oder noch ergeben. Weil aber ſonderlich ſo wohl ſonſten vielfaͤltig durch das geruͤcht ausgebrei- tet worden iſt/ als man auch aus den acten erſiehet/ daß dieſe leute in verdacht gezogen worden ſind/ ob lehreten ſie von der haltung des goͤttlichen geſetzes oder der gebote GOttes nicht nach unſrer Evangeliſchen wahrheit/ ſo iſt gleichwohl von M. Francken/ nach deſſen lehr man doch der andern lehr vermuthlich auch æ- ſtimiren wird/ aus den acten erweißlich/ daß nichts heterodoxes in dieſem punct gegen ihn erfunden worden. Wie dann die zeugen Vol. Act. ☉ f. 41. u. f. ihn theils voͤllig abſolviren/ theils nichts gnugſam gegen ihn deponiren/ alſo unter denen mit ihm in verdacht gezogenen antworten ſeinet wegen M. Schade/ fol. 57. daß man das geſetz perfecte nicht erfuͤllen koͤnte/ M. Lange fol. 58. ein regenitus ſeye nicht ohne ſuͤnde/ M. Thieme/ f. 59. daß ein regenitus das wort GOttes nach dem rigore legis vollkomlich nicht halten koͤnne/ aliqvo modo kan ers hal- ten. Endlich fol. 69. antwortet er auf die frage: ob ein regenitus GOttes geſetz vollkommlich halten/ und ohne ſuͤnde leben koͤnne/ mit einem run- den Nein. Ob ich dann wohl/ daß er nachmal fol. 106. in ſolchem punct ſeinen præ- ceptoribus einiges vorhaͤlt/ nicht billiche/ ſo finde doch auch nicht Vol. ☽. f. 57. daß etwas auf ihn gebracht wuͤrde/ was gegen unſre geſunde lehr in dieſem punct ſtreit- te: indem es nicht weniger ein ſtuͤck unſrer Religion iſt/ daß ein wiedergebohr- ner in der krafft GOttes/ ob zwar nicht nach der ſtrenge des geſetzes und alſo voll- kommen/ dannoch etlicher maſſen/ und wie der himmliſche Vater mit ſeiner kin- der unvollkommenen aber gleichwohl redlichem gehorſam gedult tragen will/ die gebote

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 780. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/798>, abgerufen am 22.11.2024.