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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
mit guten fug mügen verboten werden: wo man aber die sache weiter ausdäh-
net/ berufft man sich vergebens auff solches patent.

Die gethane fragen anlangend/ so diene darauff 1.) 2. Corinth. 12/ 9. wird
nicht eine sündliche schwachheit verstanden/ dann es an sich ungereimt ist/ daß sich
Paulus derselben solte rühmen/ und gutes muths darüber seyen/ oder wie es gar
lautet wohlgefallen dran haben: Da wir hingegen seine sehnliche klage
darüber Rom. 7. lesen und ja niemand an der sünde freude haben oder rurm suchen
darff: so könte auch die Göttliche krafft in derselben nicht vollendet werden. Da-
her die auff die säudliche schwachheit eine absicht haben wollen/ eine fernere wort-
blum darinnen suchen/ daß die schwachheit heisse die erkäntuüß seiner menschlichen
schwachheit/ wie Herr D. Calovius schreibet: alii agnitionem infirmitatis
facere ad perfectionem gratiae exhibitionem intelligunt.
Es ist aber zu
weit gesucht/ und will es Herr D. Calovius selbs lieber von dem leiden des Apostels
vernehmen. Und solchen verstand werden wir an andern orten finden/ nehmlich
daß die schwachheit des Apostels heisse so wol seine verächtliche und unansehnliche
gestalt nach dem eusserlichen/ als allerley leiden einstheils eusserlich der verfol-
gungen seiner feinden/ anderntheils innerlich in anfechtungen/ deren er sich nicht
gnug erwehren oder frey machen konte. Dieser verstand wird gnug erhellen/ wo
wir die stellen einsehen 1. Cor. 2/ 3. 2. Cor. 10/ 10. 11. 21. 29. 30. Gal. 4/ 13. Die sich
gewiß zu den sündlichen schwachheiten allerdings nicht schicken. Daher auch un-
ser liebe Lutherus es auff das leiden des Apostels ziehet. Zwar bey 2. Cor. 11/ 29.
hat er diese randgloß: Mit dem schwachen im glauben thät und ließer viel/
daß er wol andere macht hatte/ wie er 1. Corinth. 9/ 12. sagt und brante/ das
ist es verdroß ihn hart/ wenn man die schwachen ärgerto.
Da er zwar in
dem ersten wort die schwachheit des glaubens verstehet/ die daher sündlich ist/ aber
bey dem Apostel nimmt ers an/ als von seinem hertzlichen mitleiden mit der andern
schwachheit geredet/ welches gewiß nicht eine sündliche schwachheit ist. Anders
wo redet er deutlich von dem leiden/ als bey 2. Cor. 12/ 9. mit diesen worten trö-
stet CHRJSTUS alle die in schwachheit oder leiden sind/ denn er kan sei-
ne stärcke in uns nicht beweisen/ wir seyen denn schwach und leiden.
Son-
derlich aber erklähret er sich über Gal. 4/ 13. Tom. 6. Altenb. f. 786. a. Wenn
Sanct Paulus hie von der schwachheit nach dem fleisch redet/ will er nicht
gemeinet noch verstanden haben eine kranckheit oder anfechtung zur un-
keuschheit/ sondern er redet von der leiblichen verfolgung/ so er dazumahl
hat leiden müßen. Er nennets aber eine schwachheit nach dem fleisch/ daß
er sie der krafft und stärcke des Geistes entgegen setzet:
Wiederum: Siehe
solche leibliche trübsalen und verfolgung nennet er schwachheit nach dem
fleisch/ darum redet er von leiblicher noth und leiden: als wolt er sagen zur
zeit/ als ich das Evangelium bey euch Galatern predigte/ war ich

mit

Das ſechſte Capitel.
mit guten fug muͤgen verboten werden: wo man aber die ſache weiter ausdaͤh-
net/ berufft man ſich vergebens auff ſolches patent.

Die gethane fragen anlangend/ ſo diene darauff 1.) 2. Corinth. 12/ 9. wird
nicht eine ſuͤndliche ſchwachheit verſtanden/ dann es an ſich ungereimt iſt/ daß ſich
Paulus derſelben ſolte ruͤhmen/ und gutes muths daruͤber ſeyen/ oder wie es gar
lautet wohlgefallen dran haben: Da wir hingegen ſeine ſehnliche klage
daruͤber Rom. 7. leſen und ja niemand an der ſuͤnde freude haben oder rurm ſuchen
darff: ſo koͤnte auch die Goͤttliche krafft in derſelben nicht vollendet werden. Da-
her die auff die ſaͤudliche ſchwachheit eine abſicht haben wollen/ eine fernere wort-
blum darinnen ſuchen/ daß die ſchwachheit heiſſe die erkaͤntuuͤß ſeiner menſchlichen
ſchwachheit/ wie Herr D. Calovius ſchreibet: alii agnitionem infirmitatis
facere ad perfectionem gratiæ exhibitionem intelligunt.
Es iſt aber zu
weit geſucht/ und will es Herr D. Calovius ſelbs lieber von dem leiden des Apoſtels
vernehmen. Und ſolchen verſtand werden wir an andern orten finden/ nehmlich
daß die ſchwachheit des Apoſtels heiſſe ſo wol ſeine veraͤchtliche und unanſehnliche
geſtalt nach dem euſſerlichen/ als allerley leiden einstheils euſſerlich der verfol-
gungen ſeiner feinden/ anderntheils innerlich in anfechtungen/ deren er ſich nicht
gnug erwehren oder frey machen konte. Dieſer verſtand wird gnug erhellen/ wo
wir die ſtellen einſehen 1. Cor. 2/ 3. 2. Cor. 10/ 10. 11. 21. 29. 30. Gal. 4/ 13. Die ſich
gewiß zu den ſuͤndlichen ſchwachheiten allerdings nicht ſchicken. Daher auch un-
ſer liebe Lutherus es auff das leiden des Apoſtels ziehet. Zwar bey 2. Cor. 11/ 29.
hat er dieſe randgloß: Mit dem ſchwachen im glauben thaͤt und ließer viel/
daß er wol andere macht hatte/ wie er 1. Corinth. 9/ 12. ſagt und brante/ das
iſt es verdroß ihn hart/ wenn man die ſchwachen aͤrgerto.
Da er zwar in
dem erſten wort die ſchwachheit des glaubens verſtehet/ die daher ſuͤndlich iſt/ aber
bey dem Apoſtel nimmt ers an/ als von ſeinem hertzlichen mitleiden mit der andern
ſchwachheit geredet/ welches gewiß nicht eine ſuͤndliche ſchwachheit iſt. Anders
wo redet er deutlich von dem leiden/ als bey 2. Cor. 12/ 9. mit dieſen worten troͤ-
ſtet CHRJSTUS alle die in ſchwachheit oder leiden ſind/ denn er kan ſei-
ne ſtaͤrcke in uns nicht beweiſen/ wir ſeyen denn ſchwach und leiden.
Son-
derlich aber erklaͤhret er ſich uͤber Gal. 4/ 13. Tom. 6. Altenb. f. 786. a. Wenn
Sanct Paulus hie von der ſchwachheit nach dem fleiſch redet/ will er nicht
gemeinet noch verſtanden haben eine kranckheit oder anfechtung zur un-
keuſchheit/ ſondern er redet von der leiblichen verfolgung/ ſo er dazumahl
hat leiden muͤßen. Er nennets aber eine ſchwachheit nach dem fleiſch/ daß
er ſie der krafft und ſtaͤrcke des Geiſtes entgegen ſetzet:
Wiederum: Siehe
ſolche leibliche truͤbſalen und verfolgung nennet er ſchwachheit nach dem
fleiſch/ darum redet er von leiblicher noth und leiden: als wolt er ſagen zur
zeit/ als ich das Evangelium bey euch Galatern predigte/ war ich

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[836/0854] Das ſechſte Capitel. mit guten fug muͤgen verboten werden: wo man aber die ſache weiter ausdaͤh- net/ berufft man ſich vergebens auff ſolches patent. Die gethane fragen anlangend/ ſo diene darauff 1.) 2. Corinth. 12/ 9. wird nicht eine ſuͤndliche ſchwachheit verſtanden/ dann es an ſich ungereimt iſt/ daß ſich Paulus derſelben ſolte ruͤhmen/ und gutes muths daruͤber ſeyen/ oder wie es gar lautet wohlgefallen dran haben: Da wir hingegen ſeine ſehnliche klage daruͤber Rom. 7. leſen und ja niemand an der ſuͤnde freude haben oder rurm ſuchen darff: ſo koͤnte auch die Goͤttliche krafft in derſelben nicht vollendet werden. Da- her die auff die ſaͤudliche ſchwachheit eine abſicht haben wollen/ eine fernere wort- blum darinnen ſuchen/ daß die ſchwachheit heiſſe die erkaͤntuuͤß ſeiner menſchlichen ſchwachheit/ wie Herr D. Calovius ſchreibet: alii agnitionem infirmitatis facere ad perfectionem gratiæ exhibitionem intelligunt. Es iſt aber zu weit geſucht/ und will es Herr D. Calovius ſelbs lieber von dem leiden des Apoſtels vernehmen. Und ſolchen verſtand werden wir an andern orten finden/ nehmlich daß die ſchwachheit des Apoſtels heiſſe ſo wol ſeine veraͤchtliche und unanſehnliche geſtalt nach dem euſſerlichen/ als allerley leiden einstheils euſſerlich der verfol- gungen ſeiner feinden/ anderntheils innerlich in anfechtungen/ deren er ſich nicht gnug erwehren oder frey machen konte. Dieſer verſtand wird gnug erhellen/ wo wir die ſtellen einſehen 1. Cor. 2/ 3. 2. Cor. 10/ 10. 11. 21. 29. 30. Gal. 4/ 13. Die ſich gewiß zu den ſuͤndlichen ſchwachheiten allerdings nicht ſchicken. Daher auch un- ſer liebe Lutherus es auff das leiden des Apoſtels ziehet. Zwar bey 2. Cor. 11/ 29. hat er dieſe randgloß: Mit dem ſchwachen im glauben thaͤt und ließer viel/ daß er wol andere macht hatte/ wie er 1. Corinth. 9/ 12. ſagt und brante/ das iſt es verdroß ihn hart/ wenn man die ſchwachen aͤrgerto. Da er zwar in dem erſten wort die ſchwachheit des glaubens verſtehet/ die daher ſuͤndlich iſt/ aber bey dem Apoſtel nimmt ers an/ als von ſeinem hertzlichen mitleiden mit der andern ſchwachheit geredet/ welches gewiß nicht eine ſuͤndliche ſchwachheit iſt. Anders wo redet er deutlich von dem leiden/ als bey 2. Cor. 12/ 9. mit dieſen worten troͤ- ſtet CHRJSTUS alle die in ſchwachheit oder leiden ſind/ denn er kan ſei- ne ſtaͤrcke in uns nicht beweiſen/ wir ſeyen denn ſchwach und leiden. Son- derlich aber erklaͤhret er ſich uͤber Gal. 4/ 13. Tom. 6. Altenb. f. 786. a. Wenn Sanct Paulus hie von der ſchwachheit nach dem fleiſch redet/ will er nicht gemeinet noch verſtanden haben eine kranckheit oder anfechtung zur un- keuſchheit/ ſondern er redet von der leiblichen verfolgung/ ſo er dazumahl hat leiden muͤßen. Er nennets aber eine ſchwachheit nach dem fleiſch/ daß er ſie der krafft und ſtaͤrcke des Geiſtes entgegen ſetzet: Wiederum: Siehe ſolche leibliche truͤbſalen und verfolgung nennet er ſchwachheit nach dem fleiſch/ darum redet er von leiblicher noth und leiden: als wolt er ſagen zur zeit/ als ich das Evangelium bey euch Galatern predigte/ war ich mit

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/854>, abgerufen am 22.11.2024.