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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
Christlich überlegen/ und mich dabey tragen wolle. So habe nun in der freiheit
der gläubigen
c. 6. §[.] 20. bereits meine meinung deutlich bekant/ von dero noch
unmüglich weichen kan: Jch habe noch seither nichts mehr in Böhmen gelesen/
als vor deine das gantz wenige (so auch damahl nicht verstanden) so wol weil mei-
ne geschäfften mir die zeit nicht lassen/ solche dinge/ die ein freyes gemüth und be-
harren auff einer materie erfordern/ zu lesen/ als auch weil sie nicht zuverstehen noch
zu beurtheilen getraue. Daher ihn noch die stunde nicht als einen Göttlichen leh-
rer annehmen kan. Wie dann versichere/ wo ich davon eine gewißheit in meiner
seelen hätte/ ich die zeitliche gefahr/ die mir daher entstehen möchte/ nicht achten
würde/ mich auch offentlich zu ihn zu bekennen/ ja ich hielte davor/ mein gewissen wür-
de mich darzu allerdings nöthigen. Aber wo ichs jetzo thäte/ mich zu ihn zu beken-
sen/ so würde ich mein gewissen verletzen/ als in welchem ich noch nichts dessen sinde
so mich darvon überzeugete. Ja die harte reden/ welche ich sehe/ aus ihn angefüh-
ret zu werden/ kommen mir theils schrecklich vor/ und solte mir schwehr werden/
sie alle aus dem grunde mit GOttes wort zu conclliiren. Also daß ich gegen ihn
nicht wenig eingenommen bin. Jndessen was ich gegen ihn habe/ und deswegen
auch nicht nur mich des lesens enthalte (so ich nicht thun könte/ wo ich ihn vor einen
von GOTT gesanten lehrer unserer kirchen hielte) sondern sie auch andern nicht
rathe/ ist doch so mächtig nicht/ daß ich mit einer plerophoria meines gewissens/ so
in dergleichen dingen allerdings nöthig ist/ ihn als einen irrgeist verwerffen kön-
te.

1. Habe ich noch nichts bißher gegen ihn angeführet gefunden/ so mich dahin
sine omni formidine oppositi brächte: sondern auff unterschiedliche argu-
menta,
als was stylum anlangt/ und dergleichen traute selbst zu antworten/ andere
haben auffs wenigste keine gnugsame krafft der überzeugung gegen ihm.

2. Hingegen habe von unterschiedlichen Christlichen leuten (wie mich auch
etliche mahl auff einer standsperson beruffen/ so sonst auch wie anderer studiorum
also auch der Theologiae wohl erfahren war) gehöret/ daß er was die glaubens
articul angehet/ und zwar was indenselben zum glauben gehöret/ allerdings mit un-
serer analogia fidei Evangelicae übereinkomme/ ob er wol in den quaestionibus
annatis Theologicis
von unsern schulen differire/ daher unterschiedliche des Böh-
mens liebhabere/ wenn sie mich hörten predigen sich kaum haben bereden lassen wolle
daß ich den autorem nicht solte gelesen haben/ und gleichsam aus ihm predigen.
Wann ich nun meiner lehr/ die ich offentlich und privatim führe/ als welche einer-
ley ist/ versichert bin/ daß ich sie nicht aus Jacob Böhmen/ als den ich weder gelesen
noch verstanden/ sondern aus der heiligen schrifft/ und so fern nechst derselben aus
unsern Evangelischen lehrern herhabe/ und daß man mich nicht der wenigsten he-
terodoxiae
beschuldigen könne; und aber die des Böhmen liebhaber sie vor richtig

er-

Das ſechſte Capitel.
Chriſtlich uͤberlegen/ und mich dabey tragen wolle. So habe nun in der freiheit
der glaͤubigen
c. 6. §[.] 20. bereits meine meinung deutlich bekant/ von dero noch
unmuͤglich weichen kan: Jch habe noch ſeither nichts mehr in Boͤhmen geleſen/
als vor deine das gantz wenige (ſo auch damahl nicht verſtanden) ſo wol weil mei-
ne geſchaͤfften mir die zeit nicht laſſen/ ſolche dinge/ die ein freyes gemuͤth und be-
harren auff einer materie erfordern/ zu leſen/ als auch weil ſie nicht zuverſtehen noch
zu beurtheilen getraue. Daher ihn noch die ſtunde nicht als einen Goͤttlichen leh-
rer annehmen kan. Wie dann verſichere/ wo ich davon eine gewißheit in meiner
ſeelen haͤtte/ ich die zeitliche gefahr/ die mir daher entſtehen moͤchte/ nicht achten
wuͤrde/ mich auch offentlich zu ihn zu bekeñen/ ja ich hielte davor/ mein gewiſſen wuͤr-
de mich darzu allerdings noͤthigen. Aber wo ichs jetzo thaͤte/ mich zu ihn zu beken-
ſen/ ſo wuͤrde ich mein gewiſſen verletzen/ als in welchem ich noch nichts deſſen ſinde
ſo mich darvon uͤberzeugete. Ja die harte reden/ welche ich ſehe/ aus ihn angefuͤh-
ret zu werden/ kommen mir theils ſchrecklich vor/ und ſolte mir ſchwehr werden/
ſie alle aus dem grunde mit GOttes wort zu conclliiren. Alſo daß ich gegen ihn
nicht wenig eingenommen bin. Jndeſſen was ich gegen ihn habe/ und deswegen
auch nicht nur mich des leſens enthalte (ſo ich nicht thun koͤnte/ wo ich ihn vor einen
von GOTT geſanten lehrer unſerer kirchen hielte) ſondern ſie auch andern nicht
rathe/ iſt doch ſo maͤchtig nicht/ daß ich mit einer plerophoria meines gewiſſens/ ſo
in dergleichen dingen allerdings noͤthig iſt/ ihn als einen irrgeiſt verwerffen koͤn-
te.

1. Habe ich noch nichts bißher gegen ihn angefuͤhret gefunden/ ſo mich dahin
ſine omni formidine oppoſiti braͤchte: ſondern auff unterſchiedliche argu-
menta,
als was ſtylum anlangt/ und dergleichen traute ſelbſt zu antworten/ andeꝛe
haben auffs wenigſte keine gnugſame krafft der uͤberzeugung gegen ihm.

2. Hingegen habe von unterſchiedlichen Chriſtlichen leuten (wie mich auch
etliche mahl auff einer ſtandsperſon beruffen/ ſo ſonſt auch wie anderer ſtudiorum
alſo auch der Theologiæ wohl erfahren war) gehoͤret/ daß er was die glaubens
articul angehet/ und zwar was indenſelben zum glauben gehoͤret/ allerdings mit un-
ſerer analogia fidei Evangelicæ uͤbereinkomme/ ob er wol in den quæſtionibus
annatis Theologicis
von unſern ſchulen differire/ daher unterſchiedliche des Boͤh-
mens liebhabere/ weñ ſie mich hoͤrten predigen ſich kaum haben bereden laſſen wolle
daß ich den autorem nicht ſolte geleſen haben/ und gleichſam aus ihm predigen.
Wann ich nun meiner lehr/ die ich offentlich und privatim fuͤhre/ als welche einer-
ley iſt/ verſichert bin/ daß ich ſie nicht aus Jacob Boͤhmen/ als den ich weder geleſen
noch verſtanden/ ſondern aus der heiligen ſchrifft/ und ſo fern nechſt derſelben aus
unſern Evangeliſchen lehrern herhabe/ und daß man mich nicht der wenigſten he-
terodoxiæ
beſchuldigen koͤnne; und aber die des Boͤhmen liebhaber ſie vor richtig

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[942/0960] Das ſechſte Capitel. Chriſtlich uͤberlegen/ und mich dabey tragen wolle. So habe nun in der freiheit der glaͤubigen c. 6. §. 20. bereits meine meinung deutlich bekant/ von dero noch unmuͤglich weichen kan: Jch habe noch ſeither nichts mehr in Boͤhmen geleſen/ als vor deine das gantz wenige (ſo auch damahl nicht verſtanden) ſo wol weil mei- ne geſchaͤfften mir die zeit nicht laſſen/ ſolche dinge/ die ein freyes gemuͤth und be- harren auff einer materie erfordern/ zu leſen/ als auch weil ſie nicht zuverſtehen noch zu beurtheilen getraue. Daher ihn noch die ſtunde nicht als einen Goͤttlichen leh- rer annehmen kan. Wie dann verſichere/ wo ich davon eine gewißheit in meiner ſeelen haͤtte/ ich die zeitliche gefahr/ die mir daher entſtehen moͤchte/ nicht achten wuͤrde/ mich auch offentlich zu ihn zu bekeñen/ ja ich hielte davor/ mein gewiſſen wuͤr- de mich darzu allerdings noͤthigen. Aber wo ichs jetzo thaͤte/ mich zu ihn zu beken- ſen/ ſo wuͤrde ich mein gewiſſen verletzen/ als in welchem ich noch nichts deſſen ſinde ſo mich darvon uͤberzeugete. Ja die harte reden/ welche ich ſehe/ aus ihn angefuͤh- ret zu werden/ kommen mir theils ſchrecklich vor/ und ſolte mir ſchwehr werden/ ſie alle aus dem grunde mit GOttes wort zu conclliiren. Alſo daß ich gegen ihn nicht wenig eingenommen bin. Jndeſſen was ich gegen ihn habe/ und deswegen auch nicht nur mich des leſens enthalte (ſo ich nicht thun koͤnte/ wo ich ihn vor einen von GOTT geſanten lehrer unſerer kirchen hielte) ſondern ſie auch andern nicht rathe/ iſt doch ſo maͤchtig nicht/ daß ich mit einer plerophoria meines gewiſſens/ ſo in dergleichen dingen allerdings noͤthig iſt/ ihn als einen irrgeiſt verwerffen koͤn- te. 1. Habe ich noch nichts bißher gegen ihn angefuͤhret gefunden/ ſo mich dahin ſine omni formidine oppoſiti braͤchte: ſondern auff unterſchiedliche argu- menta, als was ſtylum anlangt/ und dergleichen traute ſelbſt zu antworten/ andeꝛe haben auffs wenigſte keine gnugſame krafft der uͤberzeugung gegen ihm. 2. Hingegen habe von unterſchiedlichen Chriſtlichen leuten (wie mich auch etliche mahl auff einer ſtandsperſon beruffen/ ſo ſonſt auch wie anderer ſtudiorum alſo auch der Theologiæ wohl erfahren war) gehoͤret/ daß er was die glaubens articul angehet/ und zwar was indenſelben zum glauben gehoͤret/ allerdings mit un- ſerer analogia fidei Evangelicæ uͤbereinkomme/ ob er wol in den quæſtionibus annatis Theologicis von unſern ſchulen differire/ daher unterſchiedliche des Boͤh- mens liebhabere/ weñ ſie mich hoͤrten predigen ſich kaum haben bereden laſſen wolle daß ich den autorem nicht ſolte geleſen haben/ und gleichſam aus ihm predigen. Wann ich nun meiner lehr/ die ich offentlich und privatim fuͤhre/ als welche einer- ley iſt/ verſichert bin/ daß ich ſie nicht aus Jacob Boͤhmen/ als den ich weder geleſen noch verſtanden/ ſondern aus der heiligen ſchrifft/ und ſo fern nechſt derſelben aus unſern Evangeliſchen lehrern herhabe/ und daß man mich nicht der wenigſten he- terodoxiæ beſchuldigen koͤnne; und aber die des Boͤhmen liebhaber ſie vor richtig er-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 942. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/960>, abgerufen am 22.11.2024.