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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XIX.
sere gerechtigkeit werde, und wir in ihm die gerechtigkeit werden. Weil aber
solche arten zu reden selbs der schrifft sind, so können sie ja keinem verwehret o-
der verarget werden, er wolle dann dem heiligen Geist seine wort reformi-
ren, in dem, so lang dieselbe recht bleiben, man sie ohne scheu nachsprechen
darf. Ob nun wohl da schon der autor sich nicht weiter und deutlicher erkläh-
ret hätte, der gebrauch solcher der schrifft gewöhnlichen redens arten ihn nicht
mit recht verdächtig machen könte, so wird seine unschuld noch so viel offenba-
rer, wo wir sehen, wie er an dem vorigen blat sich in solcher sach so deutlich er-
kläret, daß wo er auch einiger orten sonsten hätte zweiffelhafftig geredet, nach
lesung derselben wort, niemand an seinem wahren sinn zu zweiffeln hat. Es
lauten aber seine wort pag. 42. also. Wie gehets nun zu mit diesem
tausch und wechsel-recht? Also, was mein war, ist CHristi meines
HERRN worden: und was sein, nemlich CHristi meines HErrn
war, muß wiederum mein werden. Er sprichr zum sünder, deine
sünde meine sünde, dein fluch mein fluch, dein verdamnüß mein
verdamnüß. Jch nehme es an, ich trage es, ich thue gnug dafür.
Der glaube höret dis, und spricht wiederum, ja liebster JESU: es
seye so, meine sünde deine sünde, aber so sey auch dein heil mein heil,
dein friede mein friede, dein sieg mein sieg, dein leben mein leben,
dein himmel mein himmel. Das ist der allerseligste wechsel, davon
man Paulum hören muß: GOTT hat den, der von keiner sünde
wußte, für uns zur sünde gemacht, auf daß wir in ihm würden die
gerechtigkeit, die vor GOTT gilt.
Wir sehen hie 1. was es vor eine
gerechtigkeit seye, die wir erlangen, nemlich diejenige, welche der HERR
JESUS dadurch uns erlanget, weiln er sich zum fluch für uns machen las-
sen, und für unsere sünde genug gethan hat: Dieses ist also nicht die wesentli-
che sondern in seinem gehorsam bestehende gerechtigkeit. 2. Wir sehen auch
die art, wie sie uns zukommt, nemlich nicht durch eine wesentliche einwoh-
nung, sondern eine zurechnung. Jn dem das angeführte wechsel-recht
erfordert, daß uns auf gleiche weise die gerechtigkeit zukommen muß, als Chri-
sto unsere sünde zugekommen ist, welches ja unverneinlich durch eine zurech-
nung geschehen ist. 3. Stehet auch hie das mittel von unserer seite, daß es
seye der glaube, und zwar wie er sich solcher wohlthat seines CHristi annim-
met, und sich derselben getröstet: Welche stücke gleichwol die gesamte stücke
sind, auf welche die reinigkeit unserer lehr in diesem articul beruhet. Daraus
folget, daß wir diese predigt nicht nur aus derjenigen christlichen liebe von
diesem irrthum loßsprechen können, wie dieselbe allezeit das beste hoffet und

glau-
o 2

ARTIC. I. SECTIO XIX.
ſere gerechtigkeit werde, und wir in ihm die gerechtigkeit werden. Weil aber
ſolche arten zu reden ſelbs der ſchrifft ſind, ſo koͤnnen ſie ja keinem verwehret o-
der verarget werden, er wolle dann dem heiligen Geiſt ſeine wort reformi-
ren, in dem, ſo lang dieſelbe recht bleiben, man ſie ohne ſcheu nachſprechen
darf. Ob nun wohl da ſchon der autor ſich nicht weiter und deutlicher erklaͤh-
ret haͤtte, der gebrauch ſolcher der ſchrifft gewoͤhnlichen redens arten ihn nicht
mit recht verdaͤchtig machen koͤnte, ſo wird ſeine unſchuld noch ſo viel offenba-
rer, wo wir ſehen, wie er an dem vorigen blat ſich in ſolcher ſach ſo deutlich er-
klaͤret, daß wo er auch einiger orten ſonſten haͤtte zweiffelhafftig geredet, nach
leſung derſelben wort, niemand an ſeinem wahren ſinn zu zweiffeln hat. Es
lauten aber ſeine wort pag. 42. alſo. Wie gehets nun zu mit dieſem
tauſch und wechſel-recht? Alſo, was mein war, iſt CHriſti meines
HERRN worden: und was ſein, nemlich CHriſti meines HErrn
war, muß wiederum mein werden. Er ſprichr zum ſuͤnder, deine
ſuͤnde meine ſuͤnde, dein fluch mein fluch, dein verdamnuͤß mein
verdamnuͤß. Jch nehme es an, ich trage es, ich thue gnug dafuͤr.
Der glaube hoͤret dis, und ſpricht wiederum, ja liebſter JESU: es
ſeye ſo, meine ſuͤnde deine ſuͤnde, aber ſo ſey auch dein heil mein heil,
dein friede mein friede, dein ſieg mein ſieg, dein leben mein leben,
dein himmel mein himmel. Das iſt der allerſeligſte wechſel, davon
man Paulum hoͤren muß: GOTT hat den, der von keiner ſuͤnde
wußte, fuͤr uns zur ſuͤnde gemacht, auf daß wir in ihm wuͤrden die
gerechtigkeit, die vor GOTT gilt.
Wir ſehen hie 1. was es vor eine
gerechtigkeit ſeye, die wir erlangen, nemlich diejenige, welche der HERR
JESUS dadurch uns erlanget, weiln er ſich zum fluch fuͤr uns machen laſ-
ſen, und fuͤr unſere ſuͤnde genug gethan hat: Dieſes iſt alſo nicht die weſentli-
che ſondern in ſeinem gehorſam beſtehende gerechtigkeit. 2. Wir ſehen auch
die art, wie ſie uns zukommt, nemlich nicht durch eine weſentliche einwoh-
nung, ſondern eine zurechnung. Jn dem das angefuͤhrte wechſel-recht
erfordert, daß uns auf gleiche weiſe die gerechtigkeit zukom̄en muß, als Chri-
ſto unſere ſuͤnde zugekommen iſt, welches ja unverneinlich durch eine zurech-
nung geſchehen iſt. 3. Stehet auch hie das mittel von unſerer ſeite, daß es
ſeye der glaube, und zwar wie er ſich ſolcher wohlthat ſeines CHriſti annim-
met, und ſich derſelben getroͤſtet: Welche ſtuͤcke gleichwol die geſamte ſtuͤcke
ſind, auf welche die reinigkeit unſerer lehr in dieſem articul beruhet. Daraus
folget, daß wir dieſe predigt nicht nur aus derjenigen chriſtlichen liebe von
dieſem irrthum loßſprechen koͤnnen, wie dieſelbe allezeit das beſte hoffet und

glau-
o 2
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[107/0119] ARTIC. I. SECTIO XIX. ſere gerechtigkeit werde, und wir in ihm die gerechtigkeit werden. Weil aber ſolche arten zu reden ſelbs der ſchrifft ſind, ſo koͤnnen ſie ja keinem verwehret o- der verarget werden, er wolle dann dem heiligen Geiſt ſeine wort reformi- ren, in dem, ſo lang dieſelbe recht bleiben, man ſie ohne ſcheu nachſprechen darf. Ob nun wohl da ſchon der autor ſich nicht weiter und deutlicher erklaͤh- ret haͤtte, der gebrauch ſolcher der ſchrifft gewoͤhnlichen redens arten ihn nicht mit recht verdaͤchtig machen koͤnte, ſo wird ſeine unſchuld noch ſo viel offenba- rer, wo wir ſehen, wie er an dem vorigen blat ſich in ſolcher ſach ſo deutlich er- klaͤret, daß wo er auch einiger orten ſonſten haͤtte zweiffelhafftig geredet, nach leſung derſelben wort, niemand an ſeinem wahren ſinn zu zweiffeln hat. Es lauten aber ſeine wort pag. 42. alſo. Wie gehets nun zu mit dieſem tauſch und wechſel-recht? Alſo, was mein war, iſt CHriſti meines HERRN worden: und was ſein, nemlich CHriſti meines HErrn war, muß wiederum mein werden. Er ſprichr zum ſuͤnder, deine ſuͤnde meine ſuͤnde, dein fluch mein fluch, dein verdamnuͤß mein verdamnuͤß. Jch nehme es an, ich trage es, ich thue gnug dafuͤr. Der glaube hoͤret dis, und ſpricht wiederum, ja liebſter JESU: es ſeye ſo, meine ſuͤnde deine ſuͤnde, aber ſo ſey auch dein heil mein heil, dein friede mein friede, dein ſieg mein ſieg, dein leben mein leben, dein himmel mein himmel. Das iſt der allerſeligſte wechſel, davon man Paulum hoͤren muß: GOTT hat den, der von keiner ſuͤnde wußte, fuͤr uns zur ſuͤnde gemacht, auf daß wir in ihm wuͤrden die gerechtigkeit, die vor GOTT gilt. Wir ſehen hie 1. was es vor eine gerechtigkeit ſeye, die wir erlangen, nemlich diejenige, welche der HERR JESUS dadurch uns erlanget, weiln er ſich zum fluch fuͤr uns machen laſ- ſen, und fuͤr unſere ſuͤnde genug gethan hat: Dieſes iſt alſo nicht die weſentli- che ſondern in ſeinem gehorſam beſtehende gerechtigkeit. 2. Wir ſehen auch die art, wie ſie uns zukommt, nemlich nicht durch eine weſentliche einwoh- nung, ſondern eine zurechnung. Jn dem das angefuͤhrte wechſel-recht erfordert, daß uns auf gleiche weiſe die gerechtigkeit zukom̄en muß, als Chri- ſto unſere ſuͤnde zugekommen iſt, welches ja unverneinlich durch eine zurech- nung geſchehen iſt. 3. Stehet auch hie das mittel von unſerer ſeite, daß es ſeye der glaube, und zwar wie er ſich ſolcher wohlthat ſeines CHriſti annim- met, und ſich derſelben getroͤſtet: Welche ſtuͤcke gleichwol die geſamte ſtuͤcke ſind, auf welche die reinigkeit unſerer lehr in dieſem articul beruhet. Daraus folget, daß wir dieſe predigt nicht nur aus derjenigen chriſtlichen liebe von dieſem irrthum loßſprechen koͤnnen, wie dieſelbe allezeit das beſte hoffet und glau- o 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/119>, abgerufen am 24.11.2024.