Aus allem erhellet also, daß sein verhalten in der gantzen sache, als viel ich be- greiffen kan, untadelich seye gewesen: Folglich, daß die sache sich, ohne daß ein oder anderer seiten sträfliche fehler vorgangen wären, von selbsten zerschla- gen, und der HERR durch solche begebnüß erst recht seinen willen gezeiget habe: Jst also nicht nöthig, weder ihm selbs scrupulos zu machen, noch die schuld bey andern zu suchen, sondern GOttes rath mit gehorsam zu erkennen: Dessen führung und segen seine liebe person, gaben, amt und stelle, wo er ihm itzt und künfftig dienen solle, noch ferner hertzlich empfehle.
1684.
SECTIO XXI. Seligkeit in diesem leben. Statii cynosura. Neodorpii privilegia der Christen. Havemanni wege- leuchte. Ob in der absolution vergebung der sünden ge- schehe. Ob Gesenius in dem Catech. der lehr der rechtferti- gung eintrag thue? Ob in der Wiedergeburt eine ände- rung vorgehe. Nöthige vorstellung der art des glau- bens. Ob gesetz oder evangelium mehr zu predigen.
ZUr beantwortung selbs zu schreiten, kan wol bezeugen, daß in vielen stücken dessen werthes liebe schreiben so wol mich als etliche christliche freunde hertzlich erfreuet habe. Daß ihrer so viel die sache so gar schwer fassen können, daß wir hie in dieser welt schon selig seyn sollen, und also fast alles wollen in die ewigkeit verschoben haben, achte ich, sey eine der haupt-ursachen, daß nicht eben von allen verstanden wird, was seligkeit seye, als die sie fast allein suchen wollen in der empfindlichen freude und völliger be- freyung von allem dem, worinnen dem menschen wehe ist, welches freylich in jene welt gehöret, gedencken aber nicht daran, wie die göttliche kindschafft, die geschenckte gerechtigkeit JEsu CHristi, warhafftig eine seligkeit seye, so dann die daraus fliessende gnade und liebe GOttes gegen uns, dessen kräfftige ein- wohnung und vereinigung mit uns, der jeweilen empfindende süsse trost, und sonderlich die erneuerung des göttlichen ebenbildes in uns, darinnen unsere gröste herrlichkeit bestehet, und aber dasselbe bereits hie anfängt in den gläu- bigen zu leuchten, ob schon freylich die vollkommenheit desselben erst dorten er- folgen solle. Jndessen achte ich, thun wir der göttlichen gnade grosses unrecht, da wir solche vortreffliche güter, so je in dieses leben gehören, nicht würdig ach- ten wollen, eine seligkeit und zwar die wahre, obschon noch nicht zu ihrer voll- kommenheit gekommene seligkeit zu erkennen. Und was das ewige leben an-
langt,
IV. Theil. p
ARTIC. I. SECT. XXI.
Aus allem erhellet alſo, daß ſein verhalten in der gantzen ſache, als viel ich be- greiffen kan, untadelich ſeye geweſen: Folglich, daß die ſache ſich, ohne daß ein oder anderer ſeiten ſtraͤfliche fehler vorgangen waͤren, von ſelbſten zerſchla- gen, und der HERR durch ſolche begebnuͤß erſt recht ſeinen willen gezeiget habe: Jſt alſo nicht noͤthig, weder ihm ſelbs ſcrupulos zu machen, noch die ſchuld bey andern zu ſuchen, ſondern GOttes rath mit gehorſam zu erkennen: Deſſen fuͤhrung und ſegen ſeine liebe perſon, gaben, amt und ſtelle, wo er ihm itzt und kuͤnfftig dienen ſolle, noch ferner hertzlich empfehle.
1684.
SECTIO XXI. Seligkeit in dieſem leben. Statii cynoſura. Neodorpii privilegia der Chriſten. Havemanni wege- leuchte. Ob in der abſolution vergebung der ſuͤnden ge- ſchehe. Ob Geſenius in dem Catech. der lehr der rechtferti- gung eintrag thue? Ob in der Wiedergeburt eine aͤnde- rung vorgehe. Noͤthige vorſtellung der art des glau- bens. Ob geſetz oder evangelium mehr zu predigen.
ZUr beantwortung ſelbs zu ſchreiten, kan wol bezeugen, daß in vielen ſtuͤcken deſſen werthes liebe ſchreiben ſo wol mich als etliche chriſtliche freunde hertzlich erfreuet habe. Daß ihrer ſo viel die ſache ſo gar ſchwer faſſen koͤnnen, daß wir hie in dieſer welt ſchon ſelig ſeyn ſollen, und alſo faſt alles wollen in die ewigkeit verſchoben haben, achte ich, ſey eine der haupt-urſachen, daß nicht eben von allen verſtanden wird, was ſeligkeit ſeye, als die ſie faſt allein ſuchen wollen in der empfindlichen freude und voͤlliger be- freyung von allem dem, worinnen dem menſchen wehe iſt, welches freylich in jene welt gehoͤret, gedencken aber nicht daran, wie die goͤttliche kindſchafft, die geſchenckte gerechtigkeit JEſu CHriſti, warhafftig eine ſeligkeit ſeye, ſo dann die daraus flieſſende gnade und liebe GOttes gegen uns, deſſen kraͤfftige ein- wohnung und vereinigung mit uns, der jeweilen empfindende ſuͤſſe troſt, und ſonderlich die erneuerung des goͤttlichen ebenbildes in uns, darinnen unſere groͤſte herrlichkeit beſtehet, und aber daſſelbe bereits hie anfaͤngt in den glaͤu- bigen zu leuchten, ob ſchon freylich die vollkommenheit deſſelben erſt dorten er- folgen ſolle. Jndeſſen achte ich, thun wir der goͤttlichen gnade groſſes unrecht, da wir ſolche vortreffliche guͤter, ſo je in dieſes leben gehoͤren, nicht wuͤrdig ach- ten wollen, eine ſeligkeit und zwar die wahre, obſchon noch nicht zu ihrer voll- kommenheit gekommene ſeligkeit zu erkennen. Und was das ewige leben an-
langt,
IV. Theil. p
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ARTIC. I. SECT. XXI.
Aus allem erhellet alſo, daß ſein verhalten in der gantzen ſache, als viel ich be-
greiffen kan, untadelich ſeye geweſen: Folglich, daß die ſache ſich, ohne daß
ein oder anderer ſeiten ſtraͤfliche fehler vorgangen waͤren, von ſelbſten zerſchla-
gen, und der HERR durch ſolche begebnuͤß erſt recht ſeinen willen gezeiget
habe: Jſt alſo nicht noͤthig, weder ihm ſelbs ſcrupulos zu machen, noch die
ſchuld bey andern zu ſuchen, ſondern GOttes rath mit gehorſam zu erkennen:
Deſſen fuͤhrung und ſegen ſeine liebe perſon, gaben, amt und ſtelle, wo er ihm
itzt und kuͤnfftig dienen ſolle, noch ferner hertzlich empfehle.
1684.
SECTIO XXI.
Seligkeit in dieſem leben. Statii cynoſura.
Neodorpii privilegia der Chriſten. Havemanni wege-
leuchte. Ob in der abſolution vergebung der ſuͤnden ge-
ſchehe. Ob Geſenius in dem Catech. der lehr der rechtferti-
gung eintrag thue? Ob in der Wiedergeburt eine aͤnde-
rung vorgehe. Noͤthige vorſtellung der art des glau-
bens. Ob geſetz oder evangelium mehr
zu predigen.
ZUr beantwortung ſelbs zu ſchreiten, kan wol bezeugen, daß in vielen
ſtuͤcken deſſen werthes liebe ſchreiben ſo wol mich als etliche chriſtliche
freunde hertzlich erfreuet habe. Daß ihrer ſo viel die ſache ſo gar
ſchwer faſſen koͤnnen, daß wir hie in dieſer welt ſchon ſelig ſeyn ſollen, und
alſo faſt alles wollen in die ewigkeit verſchoben haben, achte ich, ſey eine der
haupt-urſachen, daß nicht eben von allen verſtanden wird, was ſeligkeit ſeye,
als die ſie faſt allein ſuchen wollen in der empfindlichen freude und voͤlliger be-
freyung von allem dem, worinnen dem menſchen wehe iſt, welches freylich in
jene welt gehoͤret, gedencken aber nicht daran, wie die goͤttliche kindſchafft, die
geſchenckte gerechtigkeit JEſu CHriſti, warhafftig eine ſeligkeit ſeye, ſo dann
die daraus flieſſende gnade und liebe GOttes gegen uns, deſſen kraͤfftige ein-
wohnung und vereinigung mit uns, der jeweilen empfindende ſuͤſſe troſt, und
ſonderlich die erneuerung des goͤttlichen ebenbildes in uns, darinnen unſere
groͤſte herrlichkeit beſtehet, und aber daſſelbe bereits hie anfaͤngt in den glaͤu-
bigen zu leuchten, ob ſchon freylich die vollkommenheit deſſelben erſt dorten er-
folgen ſolle. Jndeſſen achte ich, thun wir der goͤttlichen gnade groſſes unrecht,
da wir ſolche vortreffliche guͤter, ſo je in dieſes leben gehoͤren, nicht wuͤrdig ach-
ten wollen, eine ſeligkeit und zwar die wahre, obſchon noch nicht zu ihrer voll-
kommenheit gekommene ſeligkeit zu erkennen. Und was das ewige leben an-
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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