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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
eusserl. dinge halber fordere/ hingegen davor halten/ daß die allgemeine gewohnheit
derjenigen/ die sich eine freyheit von den strengen regeln CHristi und seiner demuth
nehmen/ so dann ihr eigen wohlgefallen an jeglichen dingen/ seye schon bereits die
gnugsame richtschnur ihres lebens. Der HERR aller Herren aber erhalte diese
liebe hohe person in solcher sorgfalt ihre seele zu verwahren/ und ihr in-und eusserli-
ches allemal also zu untersuchen/ wie es mit göttlichem willen übereinkomme/ und
ja wissentlich nichts wider denselben zu thun. Die sache selbs anlangend/ so wäre
etwa folgendes wol in acht zu nehmen. 1. Unser gantzes Christenthum bestehet
hauptsächlich in nichts eusserliches oder gewissen satzungen von eusserlichen dingen/
wie in dem alten Testament die Mosaische satzungen waren/ die aber uns Christen
nicht angehen Col. 2. noch auch viel weniger etwas dergleichen art neues von uns
Christen eingeführet/ und gewisse eusserliche dinge entweder als nöthig geboten/
oder einige als sünden verworffen werden dörffen: Wie dann wo ja eusserliche sa-
tzungen gelten solten/ wir noch billich bey den göttlichen blieben/ als nach unserer
menschlichen phantasie andere neue machten. Weswegen man sich in dergleichen
dingen fleißig zu hüten/ daß wir nicht neue gesetz oder neue sünde machen/ noch den
gewissen unnöthige stricke anwerffen mögen. Vielmehr bestehet unser Christen-
thum in der innerlichen heiligung/ daß die seele innerlich erfüllet werde mit glauben
und lebendigen erkäntnüß GOttes und seiner uns geschenckter theuren gnadengü-
ter/ so dann mit andern des glaubens früchten/ fürnehmlich gleichförmigkeit mit
göttlichem willen/ und willigen gehorsam gegen seine gebote: Ja in der erneu-
erung des göttlichen ebenbildes/ daß die heiligkeit/ gerechtigkeit und weißheit GOt-
tes wiederum in uns leuchte. Sonderlich aber zu solchen glaubens-früchten ge-
höret diese erkäntnüß und auch ein solcher sinn/ daß wir glauben/ wir seyen durch-
aus nicht in der welt zu anderem zweck/ als daß GOTT an uns gepriesen und der
nechste erbauet/ oder sonsten liebe ihm erzeigt werde/ und was uns anlangt/ daß
wir unserer seelen heil zur ausbeute davon tragen; damit also alle eigene ehr/ nu-
tzen/ lust/ willen und dergleichen ausgeschlossen wird. Wo dann nun eine seele
wahrhafftig also gesinnet ist/ daß sie in nichts mehr sich selbs suchen will/ sondern
redlich in allem nur allein begehret zu thun/ was des HErren ehr und des nechsten
nutzen von ihr fordere/ so ist ihr Christenthum rechtschaffen/ und so fern will GOtt
jetzo mit uns zufrieden seyn. Solches bringet aber mit sich/ daß eine solche seele
alle ihre kräffte/ verstand/ willen/ gedächtnüß/ affe[ct]en/ und was sie in sich fin-
det/ trachtet allein zu solchem zweck anzuwenden/ ja auch ihren leib und dessen glie-
der zu gleichem opffer zu machen. Was sie also in dem eusserlichen thut/ gebraucht
oder schaffet/ solches richtet sie allemal zu sothaner absicht/ und hält alles vor un-
recht/ was ausser solchem zweck ausschweiffet: Sonderlich weil GOTT der
HERR ihm selbs die ehre/ als sein eigen gut/ sich reserviret hat/ und von uns
nichts weniger leiden kan/ als daß wir eigene ehre suchen/ in was es wolle/ so til-
get
Das ſiebende Capitel.
euſſerl. dinge halber fordere/ hingegen davor halten/ daß die allgemeine gewohnheit
derjenigen/ die ſich eine freyheit von den ſtrengen regeln CHriſti und ſeiner demuth
nehmen/ ſo dann ihr eigen wohlgefallen an jeglichen dingen/ ſeye ſchon bereits die
gnugſame richtſchnur ihres lebens. Der HERR aller Herren aber erhalte dieſe
liebe hohe perſon in ſolcher ſorgfalt ihre ſeele zu verwahren/ und ihr in-und euſſerli-
ches allemal alſo zu unterſuchen/ wie es mit goͤttlichem willen uͤbereinkomme/ und
ja wiſſentlich nichts wider denſelben zu thun. Die ſache ſelbs anlangend/ ſo waͤre
etwa folgendes wol in acht zu nehmen. 1. Unſer gantzes Chriſtenthum beſtehet
hauptſaͤchlich in nichts euſſerliches oder gewiſſen ſatzungen von euſſerlichen dingen/
wie in dem alten Teſtament die Moſaiſche ſatzungen waren/ die aber uns Chriſten
nicht angehen Col. 2. noch auch viel weniger etwas dergleichen art neues von uns
Chriſten eingefuͤhret/ und gewiſſe euſſerliche dinge entweder als noͤthig geboten/
oder einige als ſuͤnden verworffen werden doͤrffen: Wie dann wo ja euſſerliche ſa-
tzungen gelten ſolten/ wir noch billich bey den goͤttlichen blieben/ als nach unſerer
menſchlichen phantaſie andere neue machten. Weswegen man ſich in dergleichen
dingen fleißig zu huͤten/ daß wir nicht neue geſetz oder neue ſuͤnde machen/ noch den
gewiſſen unnoͤthige ſtricke anwerffen moͤgen. Vielmehr beſtehet unſer Chriſten-
thum in der innerlichen heiligung/ daß die ſeele innerlich erfuͤllet werde mit glauben
und lebendigen erkaͤntnuͤß GOttes und ſeiner uns geſchenckter theuren gnadenguͤ-
ter/ ſo dann mit andern des glaubens fruͤchten/ fuͤrnehmlich gleichfoͤrmigkeit mit
goͤttlichem willen/ und willigen gehorſam gegen ſeine gebote: Ja in der erneu-
erung des goͤttlichen ebenbildes/ daß die heiligkeit/ gerechtigkeit und weißheit GOt-
tes wiederum in uns leuchte. Sonderlich aber zu ſolchen glaubens-fruͤchten ge-
hoͤret dieſe erkaͤntnuͤß und auch ein ſolcher ſinn/ daß wir glauben/ wir ſeyen durch-
aus nicht in der welt zu anderem zweck/ als daß GOTT an uns geprieſen und der
nechſte erbauet/ oder ſonſten liebe ihm erzeigt werde/ und was uns anlangt/ daß
wir unſerer ſeelen heil zur ausbeute davon tragen; damit alſo alle eigene ehr/ nu-
tzen/ luſt/ willen und dergleichen ausgeſchloſſen wird. Wo dann nun eine ſeele
wahrhafftig alſo geſinnet iſt/ daß ſie in nichts mehr ſich ſelbs ſuchen will/ ſondern
redlich in allem nur allein begehret zu thun/ was des HErren ehr und des nechſten
nutzen von ihr fordere/ ſo iſt ihr Chriſtenthum rechtſchaffen/ und ſo fern will GOtt
jetzo mit uns zufrieden ſeyn. Solches bringet aber mit ſich/ daß eine ſolche ſeele
alle ihre kraͤffte/ verſtand/ willen/ gedaͤchtnuͤß/ affe[ct]en/ und was ſie in ſich fin-
det/ trachtet allein zu ſolchem zweck anzuwenden/ ja auch ihren leib und deſſen glie-
der zu gleichem opffer zu machen. Was ſie alſo in dem euſſerlichen thut/ gebraucht
oder ſchaffet/ ſolches richtet ſie allemal zu ſothaner abſicht/ und haͤlt alles vor un-
recht/ was auſſer ſolchem zweck ausſchweiffet: Sonderlich weil GOTT der
HERR ihm ſelbs die ehre/ als ſein eigen gut/ ſich reſerviret hat/ und von uns
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[398/0410] Das ſiebende Capitel. euſſerl. dinge halber fordere/ hingegen davor halten/ daß die allgemeine gewohnheit derjenigen/ die ſich eine freyheit von den ſtrengen regeln CHriſti und ſeiner demuth nehmen/ ſo dann ihr eigen wohlgefallen an jeglichen dingen/ ſeye ſchon bereits die gnugſame richtſchnur ihres lebens. Der HERR aller Herren aber erhalte dieſe liebe hohe perſon in ſolcher ſorgfalt ihre ſeele zu verwahren/ und ihr in-und euſſerli- ches allemal alſo zu unterſuchen/ wie es mit goͤttlichem willen uͤbereinkomme/ und ja wiſſentlich nichts wider denſelben zu thun. Die ſache ſelbs anlangend/ ſo waͤre etwa folgendes wol in acht zu nehmen. 1. Unſer gantzes Chriſtenthum beſtehet hauptſaͤchlich in nichts euſſerliches oder gewiſſen ſatzungen von euſſerlichen dingen/ wie in dem alten Teſtament die Moſaiſche ſatzungen waren/ die aber uns Chriſten nicht angehen Col. 2. noch auch viel weniger etwas dergleichen art neues von uns Chriſten eingefuͤhret/ und gewiſſe euſſerliche dinge entweder als noͤthig geboten/ oder einige als ſuͤnden verworffen werden doͤrffen: Wie dann wo ja euſſerliche ſa- tzungen gelten ſolten/ wir noch billich bey den goͤttlichen blieben/ als nach unſerer menſchlichen phantaſie andere neue machten. Weswegen man ſich in dergleichen dingen fleißig zu huͤten/ daß wir nicht neue geſetz oder neue ſuͤnde machen/ noch den gewiſſen unnoͤthige ſtricke anwerffen moͤgen. Vielmehr beſtehet unſer Chriſten- thum in der innerlichen heiligung/ daß die ſeele innerlich erfuͤllet werde mit glauben und lebendigen erkaͤntnuͤß GOttes und ſeiner uns geſchenckter theuren gnadenguͤ- ter/ ſo dann mit andern des glaubens fruͤchten/ fuͤrnehmlich gleichfoͤrmigkeit mit goͤttlichem willen/ und willigen gehorſam gegen ſeine gebote: Ja in der erneu- erung des goͤttlichen ebenbildes/ daß die heiligkeit/ gerechtigkeit und weißheit GOt- tes wiederum in uns leuchte. Sonderlich aber zu ſolchen glaubens-fruͤchten ge- hoͤret dieſe erkaͤntnuͤß und auch ein ſolcher ſinn/ daß wir glauben/ wir ſeyen durch- aus nicht in der welt zu anderem zweck/ als daß GOTT an uns geprieſen und der nechſte erbauet/ oder ſonſten liebe ihm erzeigt werde/ und was uns anlangt/ daß wir unſerer ſeelen heil zur ausbeute davon tragen; damit alſo alle eigene ehr/ nu- tzen/ luſt/ willen und dergleichen ausgeſchloſſen wird. Wo dann nun eine ſeele wahrhafftig alſo geſinnet iſt/ daß ſie in nichts mehr ſich ſelbs ſuchen will/ ſondern redlich in allem nur allein begehret zu thun/ was des HErren ehr und des nechſten nutzen von ihr fordere/ ſo iſt ihr Chriſtenthum rechtſchaffen/ und ſo fern will GOtt jetzo mit uns zufrieden ſeyn. Solches bringet aber mit ſich/ daß eine ſolche ſeele alle ihre kraͤffte/ verſtand/ willen/ gedaͤchtnuͤß/ affecten/ und was ſie in ſich fin- det/ trachtet allein zu ſolchem zweck anzuwenden/ ja auch ihren leib und deſſen glie- der zu gleichem opffer zu machen. Was ſie alſo in dem euſſerlichen thut/ gebraucht oder ſchaffet/ ſolches richtet ſie allemal zu ſothaner abſicht/ und haͤlt alles vor un- recht/ was auſſer ſolchem zweck ausſchweiffet: Sonderlich weil GOTT der HERR ihm ſelbs die ehre/ als ſein eigen gut/ ſich reſerviret hat/ und von uns nichts weniger leiden kan/ als daß wir eigene ehre ſuchen/ in was es wolle/ ſo til- get

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/410>, abgerufen am 22.11.2024.