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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. III. SECTIO XXIII.
gegen schaden entstehen werde/ die sonsten in der völligen einfältigen gelassenheit em-
pfindliche ruhe gewaltig stöhren/ oder doch es sehr schwer machen. Daher in dieser
sache/ wer sie recht vernimmet/ und auf die empfindung seiner seele in solcher bege-
benheit acht gibet/ eine sehr stattliche probe sich zeiget/ wie starck oder schwach
wir seyn. Und stehet eben unter andern hierinne ein merckliches stück der verleug-
nung unser selbs/
die seinen jüngern unser liebste Erlöser so hoch anbefohlen hat.
Diese ist nun in dem von E. Hochfl. Durchl. angedeuteten buch/ so uns aus dem engli-
schen Richard Baxters durch einen unser religion itzigen G. Superint. übersetzet
worden/ sehr fein und erbaulich vorgetragen/ daß es von denen/ welche geübte sinne
haben alles zu unterscheiden/ mit guten nutzen gelesen werden mag. Wie ich denn
den HErrn als den Vater des lichts demüthig anruffe/ daß er in alle dero/ die solche
schrifft lesen/ hertzen diejenige wahrheit/ welche sich darinnen vorstellet/ von dieser
nothwendigen Christen pflicht/ kräfftiglich bezeugen/ oder auch zugleich wircken wolle/
wie E. Hochfl. Durchl. in dero Christlichem schreiben nöthig erkennen/ und verlan-
gen/ daß der gehorsam erfolge/ und man nachmals des lesens frucht selbs an dem le-
ben und wandel sehen möge. Welches von so hohen als niedrigen standes personen
auf gleiche weise erfodert wird/ und jene fast nachdrücklicker ihre pflicht in den bü-
chern lesen/ als von den ihrigen mündlich anhören: weilen die bücher ohne unter-
scheid u. partheiligkeit/ als welche nicht wissen wer sie lieset/ allen einerley wahrheit
vorlegen: die menschen aber aus allerhand respecten und ansehen meistens vieles
solcher wahrheit verhälen. Wie ich mich erinnere/ von eben demjenigen/ welcher die-
ses buch übersetzt hat/ gehöret zu haben/ daß selbs der autor desselben/ Baxter/ vor
dem jetzigen Könige in Engelland (Carolo II.) gepredigt/ und so bald in dem eingang
angefangen zu fragen/ wer wol die elendeste und miserabelste in der welt wären/
und nachdem er unterschiedliche arten/ der insgemein vor elend geachteten leute erst-
lich genennet/ und dero elend etwas betrachtet/ letzlich geschlossen: Der König
wäre solches/ denn weil die wahrheit wol das höchste und nützlichste gut in dem
menschlichen leben wäre/ so müste ein solches höchstes haupt fast allein desselbigen
gutes entrathen/ indem ihm niemand die wahrheit ohnverhält zu sagen getrauete/
daher er sich dessen erbarmen und dismal die wahrheit ihm vorstellen wolte/ darauf
er eine nachdrückliche predigt von seiner hohen pflicht gethan/ aber bald darnach sei-
ne cantzel bey hoff quittiren müssen. Hingegen haben/ wie oben gemeldet/ die bücher
diesen vortheil/ daß sie niemand schmeicheln/ sondern als die spiegel sind/ in denen ohne
unterscheid der personen jeglicher sein angesicht/ wie es ist/ antrifft/ und sehen kan.
Das buch aber selbs nochmal betreffend/ so ist so wol die materie welche es vor-
träget/ als die art der tractation eine unter allen denen/ welche zu der praxi des Chri-
stenthums gehören/ nöthigste und nützlichste. Jn dem sie nicht bleibet bey der re-
formation
unsers eusserlichen lebens/ noch allein erfordert die verleugnung der gro-
ben eitelkeit und üppigkeit der welt/ in dero pracht/ wollust und auch von klugen hei-

den
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ARTIC. III. SECTIO XXIII.
gegen ſchaden entſtehen weꝛde/ die ſonſten in der voͤlligen einfaͤltigen gelaſſenheit em-
pfindliche ruhe gewaltig ſtoͤhren/ oder doch es ſehr ſchwer machen. Daher in dieſer
ſache/ wer ſie recht vernimmet/ und auf die empfindung ſeiner ſeele in ſolcher bege-
benheit acht gibet/ eine ſehr ſtattliche probe ſich zeiget/ wie ſtarck oder ſchwach
wiꝛ ſeyn. Und ſtehet eben unter andern hierinne ein merckliches ſtuͤck der verleug-
nung unſer ſelbs/
die ſeinen juͤngern unſer liebſte Erloͤſer ſo hoch anbefohlen hat.
Dieſe iſt nun in dem von E. Hochfl. Duꝛchl. angedeuteten buch/ ſo uns aus dem engli-
ſchen Richard Baxters durch einen unſer religion itzigen G. Superint. uͤberſetzet
worden/ ſehr fein und erbaulich vorgetragen/ daß es von denen/ welche geuͤbte ſinne
haben alles zu unterſcheiden/ mit guten nutzen geleſen werden mag. Wie ich denn
den HErrn als den Vater des lichts demuͤthig anruffe/ daß er in alle dero/ die ſolche
ſchrifft leſen/ hertzen diejenige wahrheit/ welche ſich darinnen vorſtellet/ von dieſer
nothwendigen Chꝛiſten pflicht/ kꝛaͤfftiglich bezeugen/ odeꝛ auch zugleich wiꝛcken wolle/
wie E. Hochfl. Durchl. in dero Chriſtlichem ſchreiben noͤthig erkennen/ und verlan-
gen/ daß der gehorſam erfolge/ und man nachmals des leſens frucht ſelbs an dem le-
ben und wandel ſehen moͤge. Welches von ſo hohen als niedrigen ſtandes perſonen
auf gleiche weiſe erfodert wird/ und jene faſt nachdruͤcklicker ihre pflicht in den buͤ-
chern leſen/ als von den ihrigen muͤndlich anhoͤren: weilen die buͤcher ohne unter-
ſcheid u. partheiligkeit/ als welche nicht wiſſen wer ſie lieſet/ allen einerley wahrheit
vorlegen: die menſchen aber aus allerhand reſpecten und anſehen meiſtens vieles
ſolcher wahrheit verhaͤlen. Wie ich mich erinnere/ von eben demjenigen/ welcher die-
ſes buch uͤberſetzt hat/ gehoͤret zu haben/ daß ſelbs der autor deſſelben/ Baxter/ vor
dem jetzigen Koͤnige in Engelland (Carolo II.) gepredigt/ und ſo bald in dem eingang
angefangen zu fragen/ wer wol die elendeſte und miſerabelſte in der welt waͤren/
und nachdem er unterſchiedliche arten/ der insgemein vor elend geachteten leute erſt-
lich genennet/ und dero elend etwas betrachtet/ letzlich geſchloſſen: Der Koͤnig
waͤre ſolches/ denn weil die wahrheit wol das hoͤchſte und nuͤtzlichſte gut in dem
menſchlichen leben waͤre/ ſo muͤſte ein ſolches hoͤchſtes haupt faſt allein deſſelbigen
gutes entrathen/ indem ihm niemand die wahrheit ohnverhaͤlt zu ſagen getrauete/
daher er ſich deſſen erbarmen und dismal die wahrheit ihm vorſtellen wolte/ darauf
er eine nachdruͤckliche predigt von ſeiner hohen pflicht gethan/ aber bald darnach ſei-
ne cantzel bey hoff quittiren muͤſſen. Hingegen haben/ wie oben gemeldet/ die buͤcher
dieſen vortheil/ daß ſie niemand ſchmeicheln/ ſondern als die ſpiegel ſind/ in denen ohne
unterſcheid der perſonen jeglicher ſein angeſicht/ wie es iſt/ antrifft/ und ſehen kan.
Das buch aber ſelbs nochmal betreffend/ ſo iſt ſo wol die materie welche es vor-
traͤget/ als die art der tractation eine unter allen denen/ welche zu der praxi des Chri-
ſtenthums gehoͤren/ noͤthigſte und nuͤtzlichſte. Jn dem ſie nicht bleibet bey der re-
formation
unſers euſſerlichen lebens/ noch allein erfordert die verleugnung der gro-
ben eitelkeit und uͤppigkeit der welt/ in dero pracht/ wolluſt und auch von klugen hei-

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[411/0423] ARTIC. III. SECTIO XXIII. gegen ſchaden entſtehen weꝛde/ die ſonſten in der voͤlligen einfaͤltigen gelaſſenheit em- pfindliche ruhe gewaltig ſtoͤhren/ oder doch es ſehr ſchwer machen. Daher in dieſer ſache/ wer ſie recht vernimmet/ und auf die empfindung ſeiner ſeele in ſolcher bege- benheit acht gibet/ eine ſehr ſtattliche probe ſich zeiget/ wie ſtarck oder ſchwach wiꝛ ſeyn. Und ſtehet eben unter andern hierinne ein merckliches ſtuͤck der verleug- nung unſer ſelbs/ die ſeinen juͤngern unſer liebſte Erloͤſer ſo hoch anbefohlen hat. Dieſe iſt nun in dem von E. Hochfl. Duꝛchl. angedeuteten buch/ ſo uns aus dem engli- ſchen Richard Baxters durch einen unſer religion itzigen G. Superint. uͤberſetzet worden/ ſehr fein und erbaulich vorgetragen/ daß es von denen/ welche geuͤbte ſinne haben alles zu unterſcheiden/ mit guten nutzen geleſen werden mag. Wie ich denn den HErrn als den Vater des lichts demuͤthig anruffe/ daß er in alle dero/ die ſolche ſchrifft leſen/ hertzen diejenige wahrheit/ welche ſich darinnen vorſtellet/ von dieſer nothwendigen Chꝛiſten pflicht/ kꝛaͤfftiglich bezeugen/ odeꝛ auch zugleich wiꝛcken wolle/ wie E. Hochfl. Durchl. in dero Chriſtlichem ſchreiben noͤthig erkennen/ und verlan- gen/ daß der gehorſam erfolge/ und man nachmals des leſens frucht ſelbs an dem le- ben und wandel ſehen moͤge. Welches von ſo hohen als niedrigen ſtandes perſonen auf gleiche weiſe erfodert wird/ und jene faſt nachdruͤcklicker ihre pflicht in den buͤ- chern leſen/ als von den ihrigen muͤndlich anhoͤren: weilen die buͤcher ohne unter- ſcheid u. partheiligkeit/ als welche nicht wiſſen wer ſie lieſet/ allen einerley wahrheit vorlegen: die menſchen aber aus allerhand reſpecten und anſehen meiſtens vieles ſolcher wahrheit verhaͤlen. Wie ich mich erinnere/ von eben demjenigen/ welcher die- ſes buch uͤberſetzt hat/ gehoͤret zu haben/ daß ſelbs der autor deſſelben/ Baxter/ vor dem jetzigen Koͤnige in Engelland (Carolo II.) gepredigt/ und ſo bald in dem eingang angefangen zu fragen/ wer wol die elendeſte und miſerabelſte in der welt waͤren/ und nachdem er unterſchiedliche arten/ der insgemein vor elend geachteten leute erſt- lich genennet/ und dero elend etwas betrachtet/ letzlich geſchloſſen: Der Koͤnig waͤre ſolches/ denn weil die wahrheit wol das hoͤchſte und nuͤtzlichſte gut in dem menſchlichen leben waͤre/ ſo muͤſte ein ſolches hoͤchſtes haupt faſt allein deſſelbigen gutes entrathen/ indem ihm niemand die wahrheit ohnverhaͤlt zu ſagen getrauete/ daher er ſich deſſen erbarmen und dismal die wahrheit ihm vorſtellen wolte/ darauf er eine nachdruͤckliche predigt von ſeiner hohen pflicht gethan/ aber bald darnach ſei- ne cantzel bey hoff quittiren muͤſſen. Hingegen haben/ wie oben gemeldet/ die buͤcher dieſen vortheil/ daß ſie niemand ſchmeicheln/ ſondern als die ſpiegel ſind/ in denen ohne unterſcheid der perſonen jeglicher ſein angeſicht/ wie es iſt/ antrifft/ und ſehen kan. Das buch aber ſelbs nochmal betreffend/ ſo iſt ſo wol die materie welche es vor- traͤget/ als die art der tractation eine unter allen denen/ welche zu der praxi des Chri- ſtenthums gehoͤren/ noͤthigſte und nuͤtzlichſte. Jn dem ſie nicht bleibet bey der re- formation unſers euſſerlichen lebens/ noch allein erfordert die verleugnung der gro- ben eitelkeit und uͤppigkeit der welt/ in dero pracht/ wolluſt und auch von klugen hei- den f f f 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/423>, abgerufen am 22.11.2024.