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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. IV. SECT. III.
lich die krafft der schönheit und vortreflichkeit der göttlichen gnaden schätze/ ja Got-
tes selbs/ nicht geringer sondern unendlich stärcker/ daß nicht müglich ist/ als
viel wir darvon erkennen/ müssen wir auch lieben und darnach verlangen: also gar
daß wo es an der liebe mangelt/ solches ein gewisses zeugnüß ist/ daß wir auch nicht
mögen erkant haben/ was wir nicht inbrünstig lieben. Soll nun aber solches er-
käntnüß bey uns wachsen/ woraus folgendes alles übrige gute/ darinn wir selig sind/
folget/ so ist kein ander mittel/ als daß wir uns mehr und mehr reinigen in unsern see-
len/ und in göttlichem wort uns stätig üben. Dann wir wissen/ daß allein der H.
Geist/ der Geist unsers lieben Heylandes/ welcher das liecht selber heisset/ derjenige
seye/ aus dessen erleuchtung wir in unserm natürlichen liechte gantz blinde leute das
himmlische u. göttliche erkennen können: Er erleuchtet uns aber in göttlichem wort/
welches aus seinem eingeben von den theuren werckzeugen aufgeschrieben worden/
und in und bey welchem er allezeit selbs ist/ wo es in rechter ordnung gebrauchet/
gehöret/ gelesen und behandelt wird/ dasjenige in unsrer seelen selbs zu bezeugen aus
der Schrifft/ was er in dem hertzen derer bezeuget/ durch die er es hat aufzeichnen
lassen. Weilen aber die welt zwar den buchstaben göttlichen worts lesen/ und in
ihrem natürlichen verstand einige erkäntnüß dessen davon schöpffen/ nicht aber den
heiligen Geist empfangen kan/ daher alle ihre wissenschafft auch von göttlichen din-
gen nicht die himmlische weißheit ist: so haben wir nebs gebrauch der H. Schrifft
allezeit in dem stande zu seyn und zu bleiben/ worinnen wir des H. Geistes wohnung
und seiner wirckung fähig bleiben mögen. Welches geschiehet/ wo wir sei-
nen guten bewegungen zu stäts weiterer unserer reinigung sorgfältig folgen/ und sie
nicht vergebens bey uns seyn lassen. Als versichert/ daß es auch hier heissen werde:
Wer da hat/ und die gnade des göttlichen antriebs in diesen und jenen sich mehr zu
reinigen und von der bösen welt gleichheit abzutreten/ treulich zu wahrem gehorsam
gebrauchet/ deme solle mehr/ nicht nur in fernern kräfftigen antrieb/ sondern auch
liecht gegeben werden. Nun dieser ist der nutz/ welchen sie/ werthe Frau/ samt ih-
ren lieben freunden/ so ihre gottselige übung mit einander zu haben pflegen/ von de-
roselben zu hoffen hat/ nemlich immer mehr und mehr in das göttliche licht zu kom-
men/ in deme sie das liecht selbs sehen möge. Dann nach dem sie mit verlesung
und betrachtung der H. Schrifft beschäfftiget/ so ist solche eben das belobte mittel zu
wahrer erleuchtung/ scheinet aber mit so viel hellern glantz in unsern seelen/ als fleißi-
ger wir dasselbe in uns und mit einander überlegen. So zweiffele ich auch nicht/ daß
nach der geistlichen weißheit/ so der HErr solchem ihren lieben prediger und freunde
gegeben/ herr N. solche übung also anstellen werde/ daß wie es unter wenigen gesche-
hen kan/ alles zu der prüffung sein selbs und unter einander gereiche/ daß jegliches
warnehme/ und mit der übrigen hülffe untersuche/ wie es noch mehr in der heiligung
zunehmen müsse/ und worinn es sich ferner zu reinigen habe. Der HERR segne
also sein werck an ihnen/ und erfülle sie mehr und mehr mit demjenigen/ wornach sie

selb-

ARTIC. IV. SECT. III.
lich die krafft der ſchoͤnheit und vortreflichkeit der goͤttlichen gnaden ſchaͤtze/ ja Got-
tes ſelbs/ nicht geringer ſondern unendlich ſtaͤrcker/ daß nicht muͤglich iſt/ als
viel wir darvon erkennen/ muͤſſen wir auch lieben und darnach verlangen: alſo gar
daß wo es an der liebe mangelt/ ſolches ein gewiſſes zeugnuͤß iſt/ daß wir auch nicht
moͤgen erkant haben/ was wir nicht inbruͤnſtig lieben. Soll nun aber ſolches er-
kaͤntnuͤß bey uns wachſen/ woraus folgendes alles uͤbrige gute/ daꝛinn wiꝛ ſelig ſind/
folget/ ſo iſt kein ander mittel/ als daß wir uns mehr und mehr reinigen in unſern ſee-
len/ und in goͤttlichem wort uns ſtaͤtig uͤben. Dann wir wiſſen/ daß allein der H.
Geiſt/ der Geiſt unſers lieben Heylandes/ welcher das liecht ſelber heiſſet/ derjenige
ſeye/ aus deſſen erleuchtung wir in unſerm natuͤrlichen liechte gantz blinde leute das
himmliſche u. goͤttliche erkennen koͤnnen: Er erleuchtet uns aber in goͤttlichem wort/
welches aus ſeinem eingeben von den theuren werckzeugen aufgeſchrieben worden/
und in und bey welchem er allezeit ſelbs iſt/ wo es in rechter ordnung gebrauchet/
gehoͤret/ geleſen und behandelt wird/ dasjenige in unſrer ſeelen ſelbs zu bezeugen aus
der Schrifft/ was er in dem hertzen derer bezeuget/ durch die er es hat aufzeichnen
laſſen. Weilen aber die welt zwar den buchſtaben goͤttlichen worts leſen/ und in
ihrem natuͤrlichen verſtand einige erkaͤntnuͤß deſſen davon ſchoͤpffen/ nicht aber den
heiligen Geiſt empfangen kan/ daher alle ihre wiſſenſchafft auch von goͤttlichen din-
gen nicht die himmliſche weißheit iſt: ſo haben wir nebs gebrauch der H. Schrifft
allezeit in dem ſtande zu ſeyn und zu bleiben/ worinnen wir des H. Geiſtes wohnung
und ſeiner wirckung faͤhig bleiben moͤgen. Welches geſchiehet/ wo wir ſei-
nen guten bewegungen zu ſtaͤts weiterer unſerer reinigung ſorgfaͤltig folgen/ und ſie
nicht vergebens bey uns ſeyn laſſen. Als verſichert/ daß es auch hier heiſſen werde:
Wer da hat/ und die gnade des goͤttlichen antriebs in dieſen und jenen ſich mehr zu
reinigen und von der boͤſen welt gleichheit abzutreten/ treulich zu wahrem gehorſam
gebrauchet/ deme ſolle mehr/ nicht nur in fernern kraͤfftigen antrieb/ ſondern auch
liecht gegeben werden. Nun dieſer iſt der nutz/ welchen ſie/ werthe Frau/ ſamt ih-
ren lieben freunden/ ſo ihre gottſelige uͤbung mit einander zu haben pflegen/ von de-
roſelben zu hoffen hat/ nemlich immer mehr und mehr in das goͤttliche licht zu kom-
men/ in deme ſie das liecht ſelbs ſehen moͤge. Dann nach dem ſie mit verleſung
und betrachtung der H. Schrifft beſchaͤfftiget/ ſo iſt ſolche eben das belobte mittel zu
wahrer erleuchtung/ ſcheinet aber mit ſo viel hellern glantz in unſern ſeelen/ als fleißi-
ger wir daſſelbe in uns und mit einander uͤberlegen. So zweiffele ich auch nicht/ daß
nach der geiſtlichen weißheit/ ſo der HErr ſolchem ihren lieben prediger und freunde
gegeben/ herr N. ſolche uͤbung alſo anſtellen werde/ daß wie es unter wenigen geſche-
hen kan/ alles zu der pruͤffung ſein ſelbs und unter einander gereiche/ daß jegliches
warnehme/ und mit der uͤbrigen huͤlffe unterſuche/ wie es noch mehr in der heiligung
zunehmen muͤſſe/ und worinn es ſich ferner zu reinigen habe. Der HERR ſegne
alſo ſein werck an ihnen/ und erfuͤlle ſie mehr und mehr mit demjenigen/ wornach ſie

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[423/0435] ARTIC. IV. SECT. III. lich die krafft der ſchoͤnheit und vortreflichkeit der goͤttlichen gnaden ſchaͤtze/ ja Got- tes ſelbs/ nicht geringer ſondern unendlich ſtaͤrcker/ daß nicht muͤglich iſt/ als viel wir darvon erkennen/ muͤſſen wir auch lieben und darnach verlangen: alſo gar daß wo es an der liebe mangelt/ ſolches ein gewiſſes zeugnuͤß iſt/ daß wir auch nicht moͤgen erkant haben/ was wir nicht inbruͤnſtig lieben. Soll nun aber ſolches er- kaͤntnuͤß bey uns wachſen/ woraus folgendes alles uͤbrige gute/ daꝛinn wiꝛ ſelig ſind/ folget/ ſo iſt kein ander mittel/ als daß wir uns mehr und mehr reinigen in unſern ſee- len/ und in goͤttlichem wort uns ſtaͤtig uͤben. Dann wir wiſſen/ daß allein der H. Geiſt/ der Geiſt unſers lieben Heylandes/ welcher das liecht ſelber heiſſet/ derjenige ſeye/ aus deſſen erleuchtung wir in unſerm natuͤrlichen liechte gantz blinde leute das himmliſche u. goͤttliche erkennen koͤnnen: Er erleuchtet uns aber in goͤttlichem wort/ welches aus ſeinem eingeben von den theuren werckzeugen aufgeſchrieben worden/ und in und bey welchem er allezeit ſelbs iſt/ wo es in rechter ordnung gebrauchet/ gehoͤret/ geleſen und behandelt wird/ dasjenige in unſrer ſeelen ſelbs zu bezeugen aus der Schrifft/ was er in dem hertzen derer bezeuget/ durch die er es hat aufzeichnen laſſen. Weilen aber die welt zwar den buchſtaben goͤttlichen worts leſen/ und in ihrem natuͤrlichen verſtand einige erkaͤntnuͤß deſſen davon ſchoͤpffen/ nicht aber den heiligen Geiſt empfangen kan/ daher alle ihre wiſſenſchafft auch von goͤttlichen din- gen nicht die himmliſche weißheit iſt: ſo haben wir nebs gebrauch der H. Schrifft allezeit in dem ſtande zu ſeyn und zu bleiben/ worinnen wir des H. Geiſtes wohnung und ſeiner wirckung faͤhig bleiben moͤgen. Welches geſchiehet/ wo wir ſei- nen guten bewegungen zu ſtaͤts weiterer unſerer reinigung ſorgfaͤltig folgen/ und ſie nicht vergebens bey uns ſeyn laſſen. Als verſichert/ daß es auch hier heiſſen werde: Wer da hat/ und die gnade des goͤttlichen antriebs in dieſen und jenen ſich mehr zu reinigen und von der boͤſen welt gleichheit abzutreten/ treulich zu wahrem gehorſam gebrauchet/ deme ſolle mehr/ nicht nur in fernern kraͤfftigen antrieb/ ſondern auch liecht gegeben werden. Nun dieſer iſt der nutz/ welchen ſie/ werthe Frau/ ſamt ih- ren lieben freunden/ ſo ihre gottſelige uͤbung mit einander zu haben pflegen/ von de- roſelben zu hoffen hat/ nemlich immer mehr und mehr in das goͤttliche licht zu kom- men/ in deme ſie das liecht ſelbs ſehen moͤge. Dann nach dem ſie mit verleſung und betrachtung der H. Schrifft beſchaͤfftiget/ ſo iſt ſolche eben das belobte mittel zu wahrer erleuchtung/ ſcheinet aber mit ſo viel hellern glantz in unſern ſeelen/ als fleißi- ger wir daſſelbe in uns und mit einander uͤberlegen. So zweiffele ich auch nicht/ daß nach der geiſtlichen weißheit/ ſo der HErr ſolchem ihren lieben prediger und freunde gegeben/ herr N. ſolche uͤbung alſo anſtellen werde/ daß wie es unter wenigen geſche- hen kan/ alles zu der pruͤffung ſein ſelbs und unter einander gereiche/ daß jegliches warnehme/ und mit der uͤbrigen huͤlffe unterſuche/ wie es noch mehr in der heiligung zunehmen muͤſſe/ und worinn es ſich ferner zu reinigen habe. Der HERR ſegne alſo ſein werck an ihnen/ und erfuͤlle ſie mehr und mehr mit demjenigen/ wornach ſie ſelb-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/435>, abgerufen am 22.11.2024.