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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. IV. SECTIO XIII.
SECTIO XIII.
Als ein vornehmer fürstlicher rath/ nachdem er
durch den tod seines fürsten seiner verbindung loß worden/
und in zweifel gesetzt wurde/ ob er besser thäte/ seinen dienst
bey dem successore fortzusetzen/ oder die übrige lebens-
zeit in stille zu zubringen.

WAs ihn anlanget/ kan mir leicht einbilden/ daß das vorgetragene anlie-
gen hart trücke/ und eine gewisse resolution zu fassen eben so leicht nicht
ankomme. Die rationes beyderseits sind wichtig/ und also die wahl/ so
important sie ist/ so zweiffelhafftig. Meine einfältige meinung zu geben würde
vermessen seyn/ wo nicht beliebet hätte/ sie selbst zu erfordern. Wie aber die sache
in der furcht des HErren überleget/ so deucht mich/ wo wir wolten auf unsere ei-
gene person sehen/ würde gar bald die resolution, nemlich abzubauen/ ergrieffen
werden müssen/ und sind die angeführte rationes, man sehe sie politisch oder theo-
logi
sch an/ gantz leufftig. Jch bekenne aber dabey/ daß in allen überlegungen
dergleichen angelegenheiten solcher art ursachen bey mir das wenigste zu dem aus-
schlag thun/ der ich dieses vor das allergewisseste principium halte/ wir seyn nicht
in der welt um unser selbst willen weder allein noch vornemlich gesetzt/ sondern um
der ehre unsers GOttes und unsers nechsten willen/ dahero die von diesen oder in
absicht auf dieselbe hergenommene momenta bey mir allezeit die wichtigste sind.
Nechst dem erkenne gern/ daß ich einen grossen unterscheid mache/ unter denen
welche bereits aus göttlicher vocation in einer stelle stehen/ und in derselben
GOtt und dem nechsten dienen/ sodann unter andern die aus einem solchen be-
ruff nicht eben gleicher massen verbunden sind. Ob nun wol diese eben sowol
bekennen müssen/ daß sie ihnen nicht selbst gebohren/ sondern sich selbst, mit ihrem le-
ben und was an ihnen ist/ GOTT und dem nechsten schuldig seyen/ haben sie
doch eine mehrere freyheit/ die art sich zu solchen diensten zu appliciren zu wehlen/
wie sie etwa ihrer eigenen/ so geistlich/ als leiblichen wohlfarth am füglichsten zu stat-
ten kommet/ aufs wenigste sind sie nicht eben so verbunden/ alles ihnen auftragen-
de sobald vor göttlichen willen zu erkennen/ sondern in untersuchung dessen dieses mit
in consideration zu ziehen/ wie es ihnen zu statten kommen möchte. Was aber dieje-
nigen anlanget/ welche in diensten stehen/ wo sie göttlichen beruffs/ dadurch sie
darein getreten/ versichert sind/ finden auch die kräffte des gemüths und leibs
annoch also/ daß sie nemlich göttliche ehre und das bonum publicum befördern
können/ so vielmehr wo sie vernünfftig abnehmen können/ daß ohne sie einige ande-
re dergleichen nicht mit gleicher capacität und succeß zu thun vermöchten. So
kan nicht absehen/ daß mit gutem gewissen dasjenige/ was uns der HErr nicht vor

uns
k k k 3
ARTIC. IV. SECTIO XIII.
SECTIO XIII.
Als ein vornehmer fuͤrſtlicher rath/ nachdem er
durch den tod ſeines fuͤrſten ſeiner verbindung loß worden/
und in zweifel geſetzt wurde/ ob er beſſer thaͤte/ ſeinen dienſt
bey dem ſucceſſore fortzuſetzen/ oder die uͤbrige lebens-
zeit in ſtille zu zubringen.

WAs ihn anlanget/ kan mir leicht einbilden/ daß das vorgetragene anlie-
gen hart truͤcke/ und eine gewiſſe reſolution zu faſſen eben ſo leicht nicht
ankomme. Die rationes beyderſeits ſind wichtig/ und alſo die wahl/ ſo
important ſie iſt/ ſo zweiffelhafftig. Meine einfaͤltige meinung zu geben wuͤrde
vermeſſen ſeyn/ wo nicht beliebet haͤtte/ ſie ſelbſt zu erfordern. Wie aber die ſache
in der furcht des HErren uͤberleget/ ſo deucht mich/ wo wir wolten auf unſere ei-
gene perſon ſehen/ wuͤrde gar bald die reſolution, nemlich abzubauen/ ergrieffen
werden muͤſſen/ und ſind die angefuͤhrte rationes, man ſehe ſie politiſch oder theo-
logi
ſch an/ gantz leufftig. Jch bekenne aber dabey/ daß in allen uͤberlegungen
dergleichen angelegenheiten ſolcher art urſachen bey mir das wenigſte zu dem aus-
ſchlag thun/ der ich dieſes vor das allergewiſſeſte principium halte/ wir ſeyn nicht
in der welt um unſer ſelbſt willen weder allein noch vornemlich geſetzt/ ſondern um
der ehre unſers GOttes und unſers nechſten willen/ dahero die von dieſen oder in
abſicht auf dieſelbe hergenommene momenta bey mir allezeit die wichtigſte ſind.
Nechſt dem erkenne gern/ daß ich einen groſſen unterſcheid mache/ unter denen
welche bereits aus goͤttlicher vocation in einer ſtelle ſtehen/ und in derſelben
GOtt und dem nechſten dienen/ ſodann unter andern die aus einem ſolchen be-
ruff nicht eben gleicher maſſen verbunden ſind. Ob nun wol dieſe eben ſowol
bekennen muͤſſen/ daß ſie ihnen nicht ſelbſt gebohren/ ſondern ſich ſelbſt, mit ihrem le-
ben und was an ihnen iſt/ GOTT und dem nechſten ſchuldig ſeyen/ haben ſie
doch eine mehrere freyheit/ die art ſich zu ſolchen dienſten zu appliciren zu wehlen/
wie ſie etwa ihrer eigenen/ ſo geiſtlich/ als leiblichen wohlfarth am fuͤglichſten zu ſtat-
ten kommet/ aufs wenigſte ſind ſie nicht eben ſo verbunden/ alles ihnen auftragen-
de ſobald vor goͤttlichen willen zu erkennen/ ſondern in unterſuchung deſſen dieſes mit
in conſideration zu ziehen/ wie es ihnen zu ſtatten kommen moͤchte. Was aber dieje-
nigen anlanget/ welche in dienſten ſtehen/ wo ſie goͤttlichen beruffs/ dadurch ſie
darein getreten/ verſichert ſind/ finden auch die kraͤffte des gemuͤths und leibs
annoch alſo/ daß ſie nemlich goͤttliche ehre und das bonum publicum befoͤrdern
koͤnnen/ ſo vielmehr wo ſie vernuͤnfftig abnehmen koͤnnen/ daß ohne ſie einige ande-
re dergleichen nicht mit gleicher capacitaͤt und ſucceß zu thun vermoͤchten. So
kan nicht abſehen/ daß mit gutem gewiſſen dasjenige/ was uns der HErr nicht vor

uns
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[445/0457] ARTIC. IV. SECTIO XIII. SECTIO XIII. Als ein vornehmer fuͤrſtlicher rath/ nachdem er durch den tod ſeines fuͤrſten ſeiner verbindung loß worden/ und in zweifel geſetzt wurde/ ob er beſſer thaͤte/ ſeinen dienſt bey dem ſucceſſore fortzuſetzen/ oder die uͤbrige lebens- zeit in ſtille zu zubringen. WAs ihn anlanget/ kan mir leicht einbilden/ daß das vorgetragene anlie- gen hart truͤcke/ und eine gewiſſe reſolution zu faſſen eben ſo leicht nicht ankomme. Die rationes beyderſeits ſind wichtig/ und alſo die wahl/ ſo important ſie iſt/ ſo zweiffelhafftig. Meine einfaͤltige meinung zu geben wuͤrde vermeſſen ſeyn/ wo nicht beliebet haͤtte/ ſie ſelbſt zu erfordern. Wie aber die ſache in der furcht des HErren uͤberleget/ ſo deucht mich/ wo wir wolten auf unſere ei- gene perſon ſehen/ wuͤrde gar bald die reſolution, nemlich abzubauen/ ergrieffen werden muͤſſen/ und ſind die angefuͤhrte rationes, man ſehe ſie politiſch oder theo- logiſch an/ gantz leufftig. Jch bekenne aber dabey/ daß in allen uͤberlegungen dergleichen angelegenheiten ſolcher art urſachen bey mir das wenigſte zu dem aus- ſchlag thun/ der ich dieſes vor das allergewiſſeſte principium halte/ wir ſeyn nicht in der welt um unſer ſelbſt willen weder allein noch vornemlich geſetzt/ ſondern um der ehre unſers GOttes und unſers nechſten willen/ dahero die von dieſen oder in abſicht auf dieſelbe hergenommene momenta bey mir allezeit die wichtigſte ſind. Nechſt dem erkenne gern/ daß ich einen groſſen unterſcheid mache/ unter denen welche bereits aus goͤttlicher vocation in einer ſtelle ſtehen/ und in derſelben GOtt und dem nechſten dienen/ ſodann unter andern die aus einem ſolchen be- ruff nicht eben gleicher maſſen verbunden ſind. Ob nun wol dieſe eben ſowol bekennen muͤſſen/ daß ſie ihnen nicht ſelbſt gebohren/ ſondern ſich ſelbſt, mit ihrem le- ben und was an ihnen iſt/ GOTT und dem nechſten ſchuldig ſeyen/ haben ſie doch eine mehrere freyheit/ die art ſich zu ſolchen dienſten zu appliciren zu wehlen/ wie ſie etwa ihrer eigenen/ ſo geiſtlich/ als leiblichen wohlfarth am fuͤglichſten zu ſtat- ten kommet/ aufs wenigſte ſind ſie nicht eben ſo verbunden/ alles ihnen auftragen- de ſobald vor goͤttlichen willen zu erkennen/ ſondern in unterſuchung deſſen dieſes mit in conſideration zu ziehen/ wie es ihnen zu ſtatten kommen moͤchte. Was aber dieje- nigen anlanget/ welche in dienſten ſtehen/ wo ſie goͤttlichen beruffs/ dadurch ſie darein getreten/ verſichert ſind/ finden auch die kraͤffte des gemuͤths und leibs annoch alſo/ daß ſie nemlich goͤttliche ehre und das bonum publicum befoͤrdern koͤnnen/ ſo vielmehr wo ſie vernuͤnfftig abnehmen koͤnnen/ daß ohne ſie einige ande- re dergleichen nicht mit gleicher capacitaͤt und ſucceß zu thun vermoͤchten. So kan nicht abſehen/ daß mit gutem gewiſſen dasjenige/ was uns der HErr nicht vor uns k k k 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/457>, abgerufen am 22.11.2024.