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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XI.
bringet. Also meine, daß auch Lutheri allegirte wort (der in solchem ort ins-
gesamt sehr paradox redet, wie auch daselbs die wort stehen, darüber ich so
offt angegriffen werde, ich bin CHristus, solcherley redens-arten aber nie-
mal nach der scharffe des buchstabens genommen werden müssen) nicht wei-
ter zu ziehen oder zu verstehen seyen als dahin, §. 7. zugegeben worden. Der
HERR lasse die krafft seines worts in unsre hertzen lebendig eintringen, daß
auch aus unserm munde worte gehen die sein Geist in uns wircket, ob nicht
jenen an unfehlbarkeit und ansehen gleich, doch in der warheit und kraft ähn-
lich, zu seinem preiß, unserer versicherung und des nechsten erbauung um
CHristi willen. Amen.

SECTIO XI.
Ob der glaube im ewigen leben noch bleibe? Ob
man sich reformirter Obrigkeit zu widersetzen habe/ da
sie ihre namen-bücher in Lutherische schu-
len einführen wollen.

JCh bin bereits etliche monat auf zwey fragen antwort schuldig, daher
meine langsamkeit freundlich zu gut gehalten zu werden bitte. Die
erste war davon: Ob der glaube in dem ewigen leben noch blei-
ben werde?
in dieser frage ligt die gantze krafft daran, was wir eigenlich
den glauben nennen: denn nennen wir den glauben, wie er ist, elpi-
zomenon upostasis, pragmaton elegkhos ou' blepomenon. Hebr. 11, [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]. Wie
seine erkäntnüß itzo gehet als durch einen spiegel in einem dunckelen
wort, 1 Cor. 13, 12.
und also wo wir den glauben betrachten, wie er ist eine
annehmung einer warheit, die man sonsten nicht klar sihet, um der autorität
willen göttlichen worts und offenbarung (siehe auch Rom. 4, 18.) so dann
wie er ist eine zuversichtliche ergreiffung des verdienstes JESU CHristi zu
unserer sünden vergebung und gerechtigkeit vor GOttes gericht; so lehret
die sache selbs, daß solcher glaube alsdann aufhöret, und mit dem schauen
2. Cor. 5, 7.
verwechselt wird. Dann in dem wir GOtt anschauen von
angesicht zu angesicht,
so bedarffs keines glaubens an seine sonderbare
offenbarung durch sein wort, in welchem dannoch alhier der glaube, als an
seinem correlato hanget. Also auch da wir durch die krafft des verdienstes
Christi von allen sünden gereiniget, und vor GOttes gericht allerdings loß-
gesprochen sind, so bleibet zwar die krafft solches verdienstes und die durch
den glauben ergriffene gerechtigkeit ewiglich, wie der HErr JEsus eine e-
wige erlösung erfunden hat Hebr, 9, 12.
Aber der glaube selbs hö-

ret
IV. Theil. g

ARTIC. I. SECTIO XI.
bringet. Alſo meine, daß auch Lutheri allegirte wort (der in ſolchem ort ins-
geſamt ſehr paradox redet, wie auch daſelbs die wort ſtehen, daruͤber ich ſo
offt angegriffen werde, ich bin CHriſtus, ſolcherley redens-arten aber nie-
mal nach der ſchàrffe des buchſtabens genommen werden muͤſſen) nicht wei-
ter zu ziehen oder zu verſtehen ſeyen als dahin, §. 7. zugegeben worden. Der
HERR laſſe die krafft ſeines worts in unſre hertzen lebendig eintringen, daß
auch aus unſerm munde worte gehen die ſein Geiſt in uns wircket, ob nicht
jenen an unfehlbarkeit und anſehen gleich, doch in der warheit und kraft aͤhn-
lich, zu ſeinem preiß, unſerer verſicherung und des nechſten erbauung um
CHriſti willen. Amen.

SECTIO XI.
Ob der glaube im ewigen leben noch bleibe? Ob
man ſich reformirter Obrigkeit zu widerſetzen habe/ da
ſie ihre namen-buͤcher in Lutheriſche ſchu-
len einfuͤhren wollen.

JCh bin bereits etliche monat auf zwey fragen antwort ſchuldig, daher
meine langſamkeit freundlich zu gut gehalten zu werden bitte. Die
erſte war davon: Ob der glaube in dem ewigen leben noch blei-
ben werde?
in dieſer frage ligt die gantze krafft daran, was wir eigenlich
den glauben nennen: denn nennen wir den glauben, wie er iſt, ἐλπι-
ζομένων ὑπόστασις, πραγμάτων ἔλεγχος ου᾽ βλεπομένων. Hebr. 11, [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]. Wie
ſeine erkaͤntnuͤß itzo gehet als durch einen ſpiegel in einem dunckelen
wort, 1 Cor. 13, 12.
und alſo wo wir den glauben betrachten, wie er iſt eine
annehmung einer warheit, die man ſonſten nicht klar ſihet, um der autoritaͤt
willen goͤttlichen worts und offenbarung (ſiehe auch Rom. 4, 18.) ſo dann
wie er iſt eine zuverſichtliche ergreiffung des verdienſtes JESU CHriſti zu
unſerer ſuͤnden vergebung und gerechtigkeit vor GOttes gericht; ſo lehret
die ſache ſelbs, daß ſolcher glaube alsdann aufhoͤret, und mit dem ſchauen
2. Cor. 5, 7.
verwechſelt wird. Dann in dem wir GOtt anſchauen von
angeſicht zu angeſicht,
ſo bedarffs keines glaubens an ſeine ſonderbare
offenbarung durch ſein wort, in welchem dannoch alhier der glaube, als an
ſeinem correlato hanget. Alſo auch da wir durch die krafft des verdienſtes
Chriſti von allen ſuͤnden gereiniget, und vor GOttes gericht allerdings loß-
geſprochen ſind, ſo bleibet zwar die krafft ſolches verdienſtes und die durch
den glauben ergriffene gerechtigkeit ewiglich, wie der HErr JEſus eine e-
wige erloͤſung erfunden hat Hebr, 9, 12.
Aber der glaube ſelbs hoͤ-

ret
IV. Theil. g
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[49/0061] ARTIC. I. SECTIO XI. bringet. Alſo meine, daß auch Lutheri allegirte wort (der in ſolchem ort ins- geſamt ſehr paradox redet, wie auch daſelbs die wort ſtehen, daruͤber ich ſo offt angegriffen werde, ich bin CHriſtus, ſolcherley redens-arten aber nie- mal nach der ſchàrffe des buchſtabens genommen werden muͤſſen) nicht wei- ter zu ziehen oder zu verſtehen ſeyen als dahin, §. 7. zugegeben worden. Der HERR laſſe die krafft ſeines worts in unſre hertzen lebendig eintringen, daß auch aus unſerm munde worte gehen die ſein Geiſt in uns wircket, ob nicht jenen an unfehlbarkeit und anſehen gleich, doch in der warheit und kraft aͤhn- lich, zu ſeinem preiß, unſerer verſicherung und des nechſten erbauung um CHriſti willen. Amen. SECTIO XI. Ob der glaube im ewigen leben noch bleibe? Ob man ſich reformirter Obrigkeit zu widerſetzen habe/ da ſie ihre namen-buͤcher in Lutheriſche ſchu- len einfuͤhren wollen. JCh bin bereits etliche monat auf zwey fragen antwort ſchuldig, daher meine langſamkeit freundlich zu gut gehalten zu werden bitte. Die erſte war davon: Ob der glaube in dem ewigen leben noch blei- ben werde? in dieſer frage ligt die gantze krafft daran, was wir eigenlich den glauben nennen: denn nennen wir den glauben, wie er iſt, ἐλπι- ζομένων ὑπόστασις, πραγμάτων ἔλεγχος ου᾽ βλεπομένων. Hebr. 11, _. Wie ſeine erkaͤntnuͤß itzo gehet als durch einen ſpiegel in einem dunckelen wort, 1 Cor. 13, 12. und alſo wo wir den glauben betrachten, wie er iſt eine annehmung einer warheit, die man ſonſten nicht klar ſihet, um der autoritaͤt willen goͤttlichen worts und offenbarung (ſiehe auch Rom. 4, 18.) ſo dann wie er iſt eine zuverſichtliche ergreiffung des verdienſtes JESU CHriſti zu unſerer ſuͤnden vergebung und gerechtigkeit vor GOttes gericht; ſo lehret die ſache ſelbs, daß ſolcher glaube alsdann aufhoͤret, und mit dem ſchauen 2. Cor. 5, 7. verwechſelt wird. Dann in dem wir GOtt anſchauen von angeſicht zu angeſicht, ſo bedarffs keines glaubens an ſeine ſonderbare offenbarung durch ſein wort, in welchem dannoch alhier der glaube, als an ſeinem correlato hanget. Alſo auch da wir durch die krafft des verdienſtes Chriſti von allen ſuͤnden gereiniget, und vor GOttes gericht allerdings loß- geſprochen ſind, ſo bleibet zwar die krafft ſolches verdienſtes und die durch den glauben ergriffene gerechtigkeit ewiglich, wie der HErr JEſus eine e- wige erloͤſung erfunden hat Hebr, 9, 12. Aber der glaube ſelbs hoͤ- ret IV. Theil. g

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/61>, abgerufen am 27.11.2024.