Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.Das siebende Capitel. welt eitler güter und der bessern seligkeit, die wir hier und dort in CHristo finden,zu öffnen, und dadurch eine heilige begierde zu ihm und seiner gnade, samt einem gläubigen vertrauen, wircket, und also damit eine neue art und natur in uns zu schaffen anfänget, so entstehet zwar daraus ein wahrhafftiges verlangen, nunmehr dem gütigsten Vater in allen treulich zu gehorchen, und seinen willen unser wahr- hafftiges vergnügen seyn zu lassen, und wird der neue mensch thätlich von verrich- tung des guten auch eine freude empfinden. Er hat aber auch noch den alten men- schen und verderbtes fleisch an sich, das einer gantz widrigen art ist, und ihn noch stets zu dem guten träge macht, hingegen zu dem bösen locket. Da gehets nicht anders, als wo man vorne an einem wagen mit krafft ziehet, es hänget bingegen ein ander hinten an den wagen, und ziehet ihn zurück. Darüber dem voranzie- henden seine mühe nicht nur schwer wird, sondern er kan auch nicht weit fortkom- men, bis seine krafft stärcker, hingegen der zurückziehende mürbe und schwächer wird. Wo er aber zuweilen müde wird, und zu ziehen nachlässet, so gehets gar bald weit zurücke. Also da derselbe die hindernüsse seines fleisches gewahr wird, und fühlet, wie es mit allen geistlichen übungen nicht so hergehet, wie sein verlangen wäre, so lasse er sich dadurch nicht niederschlagen, daß er sorgen wolte, er müste nicht in der wahren gnade GOTTES stehen, weil es ihm noch so sauer werde, und er mehrern wachsthum und fertigkeit an andern wahrnimmet: sondern er dancke seinem GOTT vor die bereits zu anfang erzeigte gnade, wo er diesen sei- nen stand gegen den vorigen hält, als man noch in der welt mit machte; er demü- thige sich vor ihm wegen der noch an sich findenden trägheit und widrigkeit, und al- so daß das gute noch nicht so starck bey ihm seye, als es vielleicht schon hätte seyn können, da die göttliche gnade mit mehrerer sorgfalt wäre beobachtet worden, er nehme aber aus dem, was GOTT bereits an seiner seele erzeiget, diejenige ver- sicherung und vertrauen, daß der gütigste Vater, welcher sein werck in ihm ange- fangen, es noch ferner stärcken, und auf den tag JESU CHristi vollführen wolle. Er fahre fort mit fleißiger anhörung, lesung und betrachtung göttliches worts, a- ber also daß immer bey solcher heiligen übung die wahre begierde seye den willen des HErrn zu erkennen und zu thun, und also seinen wirckungen in sich platz zu ge- ben Er brauche sich der gelegenheit die ihm GOtt giebet, mit andern gleichgesinne- ten christen umzugehen um durch dero erinnerung und exempel bekräfftiget und er- bauet zu werden: Er gebe so viel genauer auf seine seele acht, was immer in dersel- ben ist und vorgehet; auf seine worte, nichts zu reden das ihn gereuen müsse, und was wider GOTT, wider die liebe, oder unnütze wäre; auf seine wercke, solche niemal unbedacht zu thun. Er raffe sich gleich auf, so bald er gewahr wird, es
Das ſiebende Capitel. welt eitler guͤter und der beſſern ſeligkeit, die wir hier und dort in CHriſto finden,zu oͤffnen, und dadurch eine heilige begierde zu ihm und ſeiner gnade, ſamt einem glaͤubigen vertrauen, wircket, und alſo damit eine neue art und natur in uns zu ſchaffen anfaͤnget, ſo entſtehet zwar daraus ein wahrhafftiges verlangen, nunmehr dem guͤtigſten Vater in allen treulich zu gehorchen, und ſeinen willen unſer wahr- hafftiges vergnuͤgen ſeyn zu laſſen, und wird der neue menſch thaͤtlich von verrich- tung des guten auch eine freude empfinden. Er hat aber auch noch den alten men- ſchen und verderbtes fleiſch an ſich, das einer gantz widrigen art iſt, und ihn noch ſtets zu dem guten traͤge macht, hingegen zu dem boͤſen locket. Da gehets nicht anders, als wo man vorne an einem wagen mit krafft ziehet, es haͤnget bingegen ein ander hinten an den wagen, und ziehet ihn zuruͤck. Daruͤber dem voranzie- henden ſeine muͤhe nicht nur ſchwer wird, ſondern er kan auch nicht weit fortkom- men, bis ſeine krafft ſtaͤrcker, hingegen der zuruͤckziehende muͤrbe und ſchwaͤcher wird. Wo er aber zuweilen muͤde wird, und zu ziehen nachlaͤſſet, ſo gehets gar bald weit zuruͤcke. Alſo da derſelbe die hindernuͤſſe ſeines fleiſches gewahr wird, und fuͤhlet, wie es mit allen geiſtlichen uͤbungen nicht ſo hergehet, wie ſein verlangen waͤre, ſo laſſe er ſich dadurch nicht niederſchlagen, daß er ſorgen wolte, er muͤſte nicht in der wahren gnade GOTTES ſtehen, weil es ihm noch ſo ſauer werde, und er mehrern wachsthum und fertigkeit an andern wahrnimmet: ſondern er dancke ſeinem GOTT vor die bereits zu anfang erzeigte gnade, wo er dieſen ſei- nen ſtand gegen den vorigen haͤlt, als man noch in der welt mit machte; er demuͤ- thige ſich vor ihm wegen der noch an ſich findenden traͤgheit und widrigkeit, und al- ſo daß das gute noch nicht ſo ſtarck bey ihm ſeye, als es vielleicht ſchon haͤtte ſeyn koͤnnen, da die goͤttliche gnade mit mehrerer ſorgfalt waͤre beobachtet worden, er nehme aber aus dem, was GOTT bereits an ſeiner ſeele erzeiget, diejenige ver- ſicherung und vertrauen, daß der guͤtigſte Vater, welcher ſein werck in ihm ange- fangen, es noch ferner ſtaͤrcken, und auf den tag JESU CHriſti vollfuͤhren wolle. Er fahre fort mit fleißiger anhoͤrung, leſung und betrachtung goͤttliches worts, a- ber alſo daß immer bey ſolcher heiligen uͤbung die wahre begierde ſeye den willen des HErrn zu erkennen und zu thun, und alſo ſeinen wirckungen in ſich platz zu ge- ben Er brauche ſich der gelegenheit die ihm GOtt giebet, mit andern gleichgeſinne- ten chriſten umzugehen um durch dero erinnerung und exempel bekraͤfftiget und er- bauet zu werden: Er gebe ſo viel genauer auf ſeine ſeele acht, was immer in derſel- ben iſt und vorgehet; auf ſeine worte, nichts zu reden das ihn gereuen muͤſſe, und was wider GOTT, wider die liebe, oder unnuͤtze waͤre; auf ſeine wercke, ſolche niemal unbedacht zu thun. Er raffe ſich gleich auf, ſo bald er gewahr wird, es
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Das ſiebende Capitel.
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zu oͤffnen, und dadurch eine heilige begierde zu ihm und ſeiner gnade, ſamt einem
glaͤubigen vertrauen, wircket, und alſo damit eine neue art und natur in uns zu
ſchaffen anfaͤnget, ſo entſtehet zwar daraus ein wahrhafftiges verlangen, nunmehr
dem guͤtigſten Vater in allen treulich zu gehorchen, und ſeinen willen unſer wahr-
hafftiges vergnuͤgen ſeyn zu laſſen, und wird der neue menſch thaͤtlich von verrich-
tung des guten auch eine freude empfinden. Er hat aber auch noch den alten men-
ſchen und verderbtes fleiſch an ſich, das einer gantz widrigen art iſt, und ihn noch
ſtets zu dem guten traͤge macht, hingegen zu dem boͤſen locket. Da gehets nicht
anders, als wo man vorne an einem wagen mit krafft ziehet, es haͤnget bingegen
ein ander hinten an den wagen, und ziehet ihn zuruͤck. Daruͤber dem voranzie-
henden ſeine muͤhe nicht nur ſchwer wird, ſondern er kan auch nicht weit fortkom-
men, bis ſeine krafft ſtaͤrcker, hingegen der zuruͤckziehende muͤrbe und ſchwaͤcher
wird. Wo er aber zuweilen muͤde wird, und zu ziehen nachlaͤſſet, ſo gehets gar
bald weit zuruͤcke. Alſo da derſelbe die hindernuͤſſe ſeines fleiſches gewahr wird,
und fuͤhlet, wie es mit allen geiſtlichen uͤbungen nicht ſo hergehet, wie ſein verlangen
waͤre, ſo laſſe er ſich dadurch nicht niederſchlagen, daß er ſorgen wolte, er muͤſte
nicht in der wahren gnade GOTTES ſtehen, weil es ihm noch ſo ſauer werde,
und er mehrern wachsthum und fertigkeit an andern wahrnimmet: ſondern er
dancke ſeinem GOTT vor die bereits zu anfang erzeigte gnade, wo er dieſen ſei-
nen ſtand gegen den vorigen haͤlt, als man noch in der welt mit machte; er demuͤ-
thige ſich vor ihm wegen der noch an ſich findenden traͤgheit und widrigkeit, und al-
ſo daß das gute noch nicht ſo ſtarck bey ihm ſeye, als es vielleicht ſchon haͤtte ſeyn
koͤnnen, da die goͤttliche gnade mit mehrerer ſorgfalt waͤre beobachtet worden, er
nehme aber aus dem, was GOTT bereits an ſeiner ſeele erzeiget, diejenige ver-
ſicherung und vertrauen, daß der guͤtigſte Vater, welcher ſein werck in ihm ange-
fangen, es noch ferner ſtaͤrcken, und auf den tag JESU CHriſti vollfuͤhren wolle.
Er fahre fort mit fleißiger anhoͤrung, leſung und betrachtung goͤttliches worts, a-
ber alſo daß immer bey ſolcher heiligen uͤbung die wahre begierde ſeye den willen
des HErrn zu erkennen und zu thun, und alſo ſeinen wirckungen in ſich platz zu ge-
ben Er brauche ſich der gelegenheit die ihm GOtt giebet, mit andern gleichgeſinne-
ten chriſten umzugehen um durch dero erinnerung und exempel bekraͤfftiget und er-
bauet zu werden: Er gebe ſo viel genauer auf ſeine ſeele acht, was immer in derſel-
ben iſt und vorgehet; auf ſeine worte, nichts zu reden das ihn gereuen muͤſſe, und
was wider GOTT, wider die liebe, oder unnuͤtze waͤre; auf ſeine wercke,
ſolche niemal unbedacht zu thun. Er raffe ſich gleich auf, ſo bald er gewahr wird,
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