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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
getaufft, und die durch das euangelium ihnen bereits anerbotene schätze versieglet
werden: wie auch die praxis unserer kirchen bey Juden, Türcken und Heiden mit
sich bringet, bey welchen man an der tauffe nicht anfänget. Ob ich wol eines sol-
chen öffentlich ungläubigen kind da es auf rechtmäßige weise, durch schenckunge
der eltern oder wie es sonsten geschehenkönte, in eines christen gewalt käme, nicht
traute, auf dieses begehren, ehe es auch des unterrichts fähig, von der tauffe aus-
zuschliessen: sondern ihm dasjenige gönnte, was GOtt den heidnischen knäblein ge-
gönnet, da sie durch kauf in eines Jsraeliten gewalt kommen waren. Was den
spruch anlanget Matth. 28. v. 19. wolte ich das matheteusate lieber wie es in dem
Straßburgischen Catechismo stehet, dolmetschen, machet zu jüngern, als wie
unsere gemeine Bibeln haben, lehret: also ist solches wort ein allgemein wort, des-
sen arten und mittel darnach in zweyen ausgedrucket werden, tauffet sie und leh-
ret sie halten:
da mag nun unter diesen nach unterscheid der personen auch die
ordnung unterschieden seyn, nemlich daß das jünger machen bey einigen geschehe
erstlich durch lehren, die dessen nemlich natürlich fähig sind, und darnach tauffen.
Bey andern aber kan es geschehen erstlich durch tauffen, darauf das lehren folget.
Es sind auch noch mehr warheiten, denen ich nicht widerspreche; aber dero gemach-
te folgen nicht zugeben kan.
III. Den vornehmsten verstoß aber sorge ich herzukommen aus dem mißver-
stand wegen der kirche und dero beschaffenheit. Da 1. gestehe ich, daß eine unsicht-
bare kirche seye, die alle wahre kinder GOttes in sich fasset, und dero keine andere
glieder seyn können, als die warhafftig gläubig sind. Diese ist der wahre geistliche
leib CHristi, und werden alle glieder durch dessen geist lebendig gemacht und regie-
ret: von dieser ist auch eigentlich zu verstehen, was herrliches die schrifft von der
kirchen bezeuget, als die gantz heilig ist, ja um dieser glieder willen geniesset die sicht-
bare kirche aller rechten. Wie aber 2. auch die sichtbare kirche auf erden ist, so hats
mit derselben ein andere bewandnüß: nemlich daß dieselbe, so lange die zeit dieser
welt währet, nie zu der glückseligkeit und reinigkeit gelanget, aus lautern gliedern
der unsichtbaren kirchen und wahren gläubigen zu bestehen, sondern es finden sich
in dieser eusserlichen gesellschafft auch nam-christen, die in der that nichts besser sind,
als welt menschen und von dem geist JEsu CHristi nicht regieret werden. Da ist
das himmel-reich oder die kirche gleich einem acker, auf dem das unkraut dermassen
unter den guten weitzen gemenget ist, daß man es ohne dieses schaden nicht ausge[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]en
kan, sondern bis zur zeit der ernde an dem ende dieser welt stehen lassen muß. Matth.
13. v. 25. 26. 29. 30.
Es ist gleich einem netz Matth. 13. v. 47. 48. indem gute und fau-
le fische unter einander sind, und nicht eher von einander gesondert werden, bis das
netze an das land nach vollendetem fang gezogen wird. Es ist gleich dem volcke Jsra-
el, das auch das reich Gottes in dem A. T. war, aber die meiste allein nach dem fleisch
zu Jsrael gehöreten, von dessen geist aber nichts hatten. Jndessen 3. hat doch solche
sicht-
Das ſiebende Capitel.
getaufft, und die durch das euangelium ihnen bereits anerbotene ſchaͤtze verſieglet
werden: wie auch die praxis unſerer kirchen bey Juden, Tuͤrcken und Heiden mit
ſich bringet, bey welchen man an der tauffe nicht anfaͤnget. Ob ich wol eines ſol-
chen oͤffentlich unglaͤubigen kind da es auf rechtmaͤßige weiſe, durch ſchenckunge
der eltern oder wie es ſonſten geſchehenkoͤnte, in eines chriſten gewalt kaͤme, nicht
traute, auf dieſes begehren, ehe es auch des unterrichts faͤhig, von der tauffe aus-
zuſchlieſſen: ſondern ihm dasjenige goͤnnte, was GOtt den heidniſchen knaͤblein ge-
goͤnnet, da ſie durch kauf in eines Jſraeliten gewalt kommen waren. Was den
ſpruch anlanget Matth. 28. v. 19. wolte ich das μαθητέυσατε lieber wie es in dem
Straßburgiſchen Catechiſmo ſtehet, dolmetſchen, machet zu juͤngern, als wie
unſere gemeine Bibeln haben, lehret: alſo iſt ſolches wort ein allgemein wort, deſ-
ſen arten und mittel darnach in zweyen ausgedrucket werden, tauffet ſie und leh-
ret ſie halten:
da mag nun unter dieſen nach unterſcheid der perſonen auch die
ordnung unterſchieden ſeyn, nemlich daß das juͤnger machen bey einigen geſchehe
erſtlich durch lehren, die deſſen nemlich natuͤrlich faͤhig ſind, und darnach tauffen.
Bey andern aber kan es geſchehen erſtlich durch tauffen, darauf das lehren folget.
Es ſind auch noch mehr warheiten, denen ich nicht widerſpreche; aber dero gemach-
te folgen nicht zugeben kan.
III. Den vornehmſten verſtoß aber ſorge ich herzukommen aus dem mißver-
ſtand wegen der kirche und dero beſchaffenheit. Da 1. geſtehe ich, daß eine unſicht-
bare kirche ſeye, die alle wahre kinder GOttes in ſich faſſet, und dero keine andere
glieder ſeyn koͤnnen, als die warhafftig glaͤubig ſind. Dieſe iſt der wahre geiſtliche
leib CHriſti, und werden alle glieder durch deſſen geiſt lebendig gemacht und regie-
ret: von dieſer iſt auch eigentlich zu verſtehen, was herrliches die ſchrifft von der
kirchen bezeuget, als die gantz heilig iſt, ja um dieſer glieder willen genieſſet die ſicht-
bare kirche aller rechten. Wie aber 2. auch die ſichtbare kirche auf erden iſt, ſo hats
mit derſelben ein andere bewandnuͤß: nemlich daß dieſelbe, ſo lange die zeit dieſer
welt waͤhret, nie zu der gluͤckſeligkeit und reinigkeit gelanget, aus lautern gliedern
der unſichtbaren kirchen und wahren glaͤubigen zu beſtehen, ſondern es finden ſich
in dieſer euſſerlichen geſellſchafft auch nam-chriſten, die in der that nichts beſſer ſind,
als welt menſchen und von dem geiſt JEſu CHriſti nicht regieret werden. Da iſt
das himmel-reich oder die kirche gleich einem acker, auf dem das unkraut dermaſſen
unter den guten weitzen gemenget iſt, daß man es ohne dieſes ſchaden nicht ausge[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]en
kan, ſondern bis zur zeit der ernde an dem ende dieſer welt ſtehen laſſen muß. Matth.
13. v. 25. 26. 29. 30.
Es iſt gleich einem netz Matth. 13. v. 47. 48. indem gute und fau-
le fiſche unter einander ſind, und nicht eher von einander geſondert werden, bis das
netze an das land nach vollendetem fang gezogen wird. Es iſt gleich dem volcke Jſra-
el, das auch das reich Gottes in dem A. T. war, aber die meiſte allein nach dem fleiſch
zu Jſrael gehoͤreten, von deſſen geiſt aber nichts hatten. Jndeſſen 3. hat doch ſolche
ſicht-
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[688/0700] Das ſiebende Capitel. getaufft, und die durch das euangelium ihnen bereits anerbotene ſchaͤtze verſieglet werden: wie auch die praxis unſerer kirchen bey Juden, Tuͤrcken und Heiden mit ſich bringet, bey welchen man an der tauffe nicht anfaͤnget. Ob ich wol eines ſol- chen oͤffentlich unglaͤubigen kind da es auf rechtmaͤßige weiſe, durch ſchenckunge der eltern oder wie es ſonſten geſchehenkoͤnte, in eines chriſten gewalt kaͤme, nicht traute, auf dieſes begehren, ehe es auch des unterrichts faͤhig, von der tauffe aus- zuſchlieſſen: ſondern ihm dasjenige goͤnnte, was GOtt den heidniſchen knaͤblein ge- goͤnnet, da ſie durch kauf in eines Jſraeliten gewalt kommen waren. Was den ſpruch anlanget Matth. 28. v. 19. wolte ich das μαθητέυσατε lieber wie es in dem Straßburgiſchen Catechiſmo ſtehet, dolmetſchen, machet zu juͤngern, als wie unſere gemeine Bibeln haben, lehret: alſo iſt ſolches wort ein allgemein wort, deſ- ſen arten und mittel darnach in zweyen ausgedrucket werden, tauffet ſie und leh- ret ſie halten: da mag nun unter dieſen nach unterſcheid der perſonen auch die ordnung unterſchieden ſeyn, nemlich daß das juͤnger machen bey einigen geſchehe erſtlich durch lehren, die deſſen nemlich natuͤrlich faͤhig ſind, und darnach tauffen. Bey andern aber kan es geſchehen erſtlich durch tauffen, darauf das lehren folget. Es ſind auch noch mehr warheiten, denen ich nicht widerſpreche; aber dero gemach- te folgen nicht zugeben kan. III. Den vornehmſten verſtoß aber ſorge ich herzukommen aus dem mißver- ſtand wegen der kirche und dero beſchaffenheit. Da 1. geſtehe ich, daß eine unſicht- bare kirche ſeye, die alle wahre kinder GOttes in ſich faſſet, und dero keine andere glieder ſeyn koͤnnen, als die warhafftig glaͤubig ſind. Dieſe iſt der wahre geiſtliche leib CHriſti, und werden alle glieder durch deſſen geiſt lebendig gemacht und regie- ret: von dieſer iſt auch eigentlich zu verſtehen, was herrliches die ſchrifft von der kirchen bezeuget, als die gantz heilig iſt, ja um dieſer glieder willen genieſſet die ſicht- bare kirche aller rechten. Wie aber 2. auch die ſichtbare kirche auf erden iſt, ſo hats mit derſelben ein andere bewandnuͤß: nemlich daß dieſelbe, ſo lange die zeit dieſer welt waͤhret, nie zu der gluͤckſeligkeit und reinigkeit gelanget, aus lautern gliedern der unſichtbaren kirchen und wahren glaͤubigen zu beſtehen, ſondern es finden ſich in dieſer euſſerlichen geſellſchafft auch nam-chriſten, die in der that nichts beſſer ſind, als welt menſchen und von dem geiſt JEſu CHriſti nicht regieret werden. Da iſt das himmel-reich oder die kirche gleich einem acker, auf dem das unkraut dermaſſen unter den guten weitzen gemenget iſt, daß man es ohne dieſes ſchaden nicht ausge_en kan, ſondern bis zur zeit der ernde an dem ende dieſer welt ſtehen laſſen muß. Matth. 13. v. 25. 26. 29. 30. Es iſt gleich einem netz Matth. 13. v. 47. 48. indem gute und fau- le fiſche unter einander ſind, und nicht eher von einander geſondert werden, bis das netze an das land nach vollendetem fang gezogen wird. Es iſt gleich dem volcke Jſra- el, das auch das reich Gottes in dem A. T. war, aber die meiſte allein nach dem fleiſch zu Jſrael gehoͤreten, von deſſen geiſt aber nichts hatten. Jndeſſen 3. hat doch ſolche ſicht-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/700>, abgerufen am 22.11.2024.