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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
berzeugende gründe Göttlichen worts auf das gegentheil gezeiget werden können.
4. Keinem prediger oder andern ist erlaubt, wircklich GOttes namen zu enthei-
ligen, und also sünde zu thun: aber ich kan wol etwas thun, das an sich recht ist,
welches andere zur entheiligung Göttlichen namens mißbrauchen: ja ich darff
nicht allein, sondern muß vielmal solche dinge thun, daraus nicht nur am vermuth-
lichsten dergleichen entheiligunge folgen wird, sondern da ichs auch solches zu gesche-
hen gewiß bin. Also wusten die apostel und propheten wol, daß die meisten zuhörer
ihre predigten verachten, und das wort des HERRN durch widerspenstigkeit,
lästerung, und verspottung entheiligen, und sie drüber verfolgen würden: wie auch
Stephanus seinen zuhörern es ins gesichte gesagt: nichts destoweniger predigten sie
ihnen, und musten es thun. Es hieß Ezech. II. 5. Sie gehorchen oder lassens,
es ist wol ein ungehorsam hauß, dennoch sollen sie wissen, daß ein pro-
phet unter ihnen ist,
und v. 7. du solt ihnen mein wort sagen, sie gehor-
chen oder lassens. 5.
Wo dann, was wir an sie gutes gethan, von andern mißbrau-
chet und entheiliget wird, wir aber, was wir unser seit vermocht, getrachtet haben,
solchen mißbrauch zu wehren, und stäts unser mißfallen bezeuget, so wird alsdenn die
schuld des mißbrauchs nicht uns sondern den andern zugerechnet; der HErr lässet
sich aber unser thun gefallen. Wo diese warheiten durch göttliche gnade recht ge-
fasset werden, kan sich eines treuen dieners Gottes, der so vieles seines amts miß-
brauchet zu werden siehet, gewissen beruhigen, und wird er zwar sich vor GOTT
über den jammer unserer zeit demüthigen, aber seiner erbarmenden gnade darneben
versichern.
XI. Daher ich vor GOtt nicht sehen kan, wie geliebter bruder zu dergleichen,
ich will nicht nur sagen ungewöhnlichen, sondern warhafftiglich der kirchen mehr
schädlichen, entziehung von den meisten verrichtungen seines amts gnugsame und
das gewissen beruhigende ursachen habe. Vielmehr halte ich nöthig, seine schul-
tern wieder unter alle diese last zu beugen. Zwar erkenne ich gern, daß das vor-
nehmste unter allen ist die predigt, jedoch nicht alleine der busse in ihrem genauesten
verstand, sondern auch des evangelii von CHristo JEsu. Denn daß gelehret wird,
das gesetze gehöre vor die unbußfertige und rohe hertzen, das evangelium aber vor
die zerknirschte und bußfertige, ist solches recht zu verstehen von beyder solcher göttli-
cher lehren application auf die personen: wo es freylich wahr bleibt, daß ich den
trost des evangelii keinem unbußfertigen zueignen darff; indessen haben wir das
evangelium insgemein auch aller creatur zu predigen, und stets die grosse Gnade,
die GOtt in CHristo dem menschlichen geschlechte erwiesen hat, und die seligkeit
samt allen ihren gütern mit ausgereckten händen allen anerbiete, aus vollem halse zu
verkündigen, üm vermittelst göttlicher gnade ein verlangen nach solchem heyl den
zuhörern zu erwecken. Deswegen ich nicht unbillige, wo derselbe seine gemeinde
meistens meinet aus noch unbußfertigen und gottlosen leuten zu bestehen, daß der-
selbe
Das ſiebende Capitel.
berzeugende gruͤnde Goͤttlichen worts auf das gegentheil gezeiget werden koͤnnen.
4. Keinem prediger oder andern iſt erlaubt, wircklich GOttes namen zu enthei-
ligen, und alſo ſuͤnde zu thun: aber ich kan wol etwas thun, das an ſich recht iſt,
welches andere zur entheiligung Goͤttlichen namens mißbrauchen: ja ich darff
nicht allein, ſondern muß vielmal ſolche dinge thun, daraus nicht nur am vermuth-
lichſten dergleichen entheiligunge folgen wird, ſondern da ichs auch ſolches zu geſche-
hen gewiß bin. Alſo wuſten die apoſtel und propheten wol, daß die meiſten zuhoͤrer
ihre predigten verachten, und das wort des HERRN durch widerſpenſtigkeit,
laͤſterung, und verſpottung entheiligen, und ſie druͤber verfolgen wuͤrden: wie auch
Stephanus ſeinen zuhoͤrern es ins geſichte geſagt: nichts deſtoweniger predigten ſie
ihnen, und muſten es thun. Es hieß Ezech. II. 5. Sie gehorchen oder laſſens,
es iſt wol ein ungehorſam hauß, dennoch ſollen ſie wiſſen, daß ein pro-
phet unter ihnen iſt,
und v. 7. du ſolt ihnen mein wort ſagen, ſie gehor-
chen oder laſſens. 5.
Wo dann, was wir an ſie gutes gethan, von andern mißbrau-
chet und entheiliget wird, wir aber, was wir unſer ſeit vermocht, getrachtet haben,
ſolchen mißbrauch zu wehren, und ſtaͤts unſeꝛ mißfallen bezeuget, ſo wird alsdenn die
ſchuld des mißbrauchs nicht uns ſondern den andern zugerechnet; der HErr laͤſſet
ſich aber unſer thun gefallen. Wo dieſe warheiten durch goͤttliche gnade recht ge-
faſſet werden, kan ſich eines treuen dieners Gottes, der ſo vieles ſeines amts miß-
brauchet zu werden ſiehet, gewiſſen beruhigen, und wird er zwar ſich vor GOTT
uͤber den jammer unſerer zeit demuͤthigen, aber ſeiner erbarmenden gnade darneben
verſichern.
XI. Daher ich vor GOtt nicht ſehen kan, wie geliebter bruder zu dergleichen,
ich will nicht nur ſagen ungewoͤhnlichen, ſondern warhafftiglich der kirchen mehr
ſchaͤdlichen, entziehung von den meiſten verrichtungen ſeines amts gnugſame und
das gewiſſen beruhigende urſachen habe. Vielmehr halte ich noͤthig, ſeine ſchul-
tern wieder unter alle dieſe laſt zu beugen. Zwar erkenne ich gern, daß das vor-
nehmſte unter allen iſt die predigt, jedoch nicht alleine der buſſe in ihrem genaueſten
verſtand, ſondern auch des evangelii von CHriſto JEſu. Denn daß gelehret wird,
das geſetze gehoͤre vor die unbußfertige und rohe hertzen, das evangelium aber vor
die zerknirſchte und bußfertige, iſt ſolches recht zu verſtehen von beyder ſolcher goͤttli-
cher lehren application auf die perſonen: wo es freylich wahr bleibt, daß ich den
troſt des evangelii keinem unbußfertigen zueignen darff; indeſſen haben wir das
evangelium insgemein auch aller creatur zu predigen, und ſtets die groſſe Gnade,
die GOtt in CHriſto dem menſchlichen geſchlechte erwieſen hat, und die ſeligkeit
ſamt allen ihren guͤtern mit ausgereckten haͤnden allen anerbiete, aus vollem halſe zu
verkuͤndigen, uͤm vermittelſt goͤttlicher gnade ein verlangen nach ſolchem heyl den
zuhoͤrern zu erwecken. Deswegen ich nicht unbillige, wo derſelbe ſeine gemeinde
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[692/0704] Das ſiebende Capitel. berzeugende gruͤnde Goͤttlichen worts auf das gegentheil gezeiget werden koͤnnen. 4. Keinem prediger oder andern iſt erlaubt, wircklich GOttes namen zu enthei- ligen, und alſo ſuͤnde zu thun: aber ich kan wol etwas thun, das an ſich recht iſt, welches andere zur entheiligung Goͤttlichen namens mißbrauchen: ja ich darff nicht allein, ſondern muß vielmal ſolche dinge thun, daraus nicht nur am vermuth- lichſten dergleichen entheiligunge folgen wird, ſondern da ichs auch ſolches zu geſche- hen gewiß bin. Alſo wuſten die apoſtel und propheten wol, daß die meiſten zuhoͤrer ihre predigten verachten, und das wort des HERRN durch widerſpenſtigkeit, laͤſterung, und verſpottung entheiligen, und ſie druͤber verfolgen wuͤrden: wie auch Stephanus ſeinen zuhoͤrern es ins geſichte geſagt: nichts deſtoweniger predigten ſie ihnen, und muſten es thun. Es hieß Ezech. II. 5. Sie gehorchen oder laſſens, es iſt wol ein ungehorſam hauß, dennoch ſollen ſie wiſſen, daß ein pro- phet unter ihnen iſt, und v. 7. du ſolt ihnen mein wort ſagen, ſie gehor- chen oder laſſens. 5. Wo dann, was wir an ſie gutes gethan, von andern mißbrau- chet und entheiliget wird, wir aber, was wir unſer ſeit vermocht, getrachtet haben, ſolchen mißbrauch zu wehren, und ſtaͤts unſeꝛ mißfallen bezeuget, ſo wird alsdenn die ſchuld des mißbrauchs nicht uns ſondern den andern zugerechnet; der HErr laͤſſet ſich aber unſer thun gefallen. Wo dieſe warheiten durch goͤttliche gnade recht ge- faſſet werden, kan ſich eines treuen dieners Gottes, der ſo vieles ſeines amts miß- brauchet zu werden ſiehet, gewiſſen beruhigen, und wird er zwar ſich vor GOTT uͤber den jammer unſerer zeit demuͤthigen, aber ſeiner erbarmenden gnade darneben verſichern. XI. Daher ich vor GOtt nicht ſehen kan, wie geliebter bruder zu dergleichen, ich will nicht nur ſagen ungewoͤhnlichen, ſondern warhafftiglich der kirchen mehr ſchaͤdlichen, entziehung von den meiſten verrichtungen ſeines amts gnugſame und das gewiſſen beruhigende urſachen habe. Vielmehr halte ich noͤthig, ſeine ſchul- tern wieder unter alle dieſe laſt zu beugen. Zwar erkenne ich gern, daß das vor- nehmſte unter allen iſt die predigt, jedoch nicht alleine der buſſe in ihrem genaueſten verſtand, ſondern auch des evangelii von CHriſto JEſu. Denn daß gelehret wird, das geſetze gehoͤre vor die unbußfertige und rohe hertzen, das evangelium aber vor die zerknirſchte und bußfertige, iſt ſolches recht zu verſtehen von beyder ſolcher goͤttli- cher lehren application auf die perſonen: wo es freylich wahr bleibt, daß ich den troſt des evangelii keinem unbußfertigen zueignen darff; indeſſen haben wir das evangelium insgemein auch aller creatur zu predigen, und ſtets die groſſe Gnade, die GOtt in CHriſto dem menſchlichen geſchlechte erwieſen hat, und die ſeligkeit ſamt allen ihren guͤtern mit ausgereckten haͤnden allen anerbiete, aus vollem halſe zu verkuͤndigen, uͤm vermittelſt goͤttlicher gnade ein verlangen nach ſolchem heyl den zuhoͤrern zu erwecken. Deswegen ich nicht unbillige, wo derſelbe ſeine gemeinde meiſtens meinet aus noch unbußfertigen und gottloſen leuten zu beſtehen, daß der- ſelbe

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/704>, abgerufen am 22.11.2024.