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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECT. II.
ruf zu entziehen. 1. Erkenne ich aus 1. Cor. 11. daß die unwürdige niessunge eine
sünde sey, von seiten des communicirenden. 2. Auch ist die kirche nicht ohne
schuld, daß sie nicht die gehörige verfassung machet, dieser sünde zu steuren, welche
ich davor halte/ daß sie über uns noch ein grosses gerichte ziehen werde. Jndessen
ist der Prediger, der alles was in gegenwärtiger der kirchen verfassung müglich ist,
vorkehret, um diesem übel zu wehren, und endlich zulassen muß, was er nicht abhal-
ten kan, vor GOTT ohne schuld. Daher 4. Paulus 1. Cor. 11. bey den groben
excessen der Corinthier, die bey derselben gemeinde vorgiengen, nicht die ältisten
oder prediger, sondern diejenige, die gesündiget hatten, straffet. 5. Weil der pre-
diger in der kirchen namen das sacrament verwaltet, hat er darin keine mehrere
macht zu brauchen, als so viel ihm die kirche committiret. 6. Diese aber gehet
nicht weiter, als daß er diejenige abhalte, die sich selbs unbußfertig bekennen und
keine besserunge, versöhnung und dergleichen versprechen wollen. Daher wo ein
prediger solche leut ausschliest, meine ich nicht, daß jemal ein Consistorium ihme
inhibition thun werde. 7. Wann aber das beicht-kind sich bußfertig durch ver-
spruch der besserung anstellet, der prediger aber wegen offtmaliger teuschung es
nicht vor bußfertig halten will, und also über die frage, ob dasselbe bußfertig sey, streit
entstehet, so ist nachmal der prediger nicht mehr richter, sondern der ausspruch komt
auf die kirche. Zwar am besten wäre es, wo bey jeglicher gemeinde rechte kirchen-ge-
richte verordnet wären von solchen personen, die die glieder alle wol kenneten, da bey
derselben der ausspruch stehen solte, aber weil diese an wenigsten orten sind, muß es
in den Consistoriis geschehen. Da denn ein prediger nach solchem ausspruch sich
zu halten hat. 8. Wo nun ein prediger auch einen unwürdigen nach solchem aus-
spruch zulässet, und zulassen muß, komt keine schuld auf ihn, so wenig als auf
CHristum, von der zulassunge des ihm bekanten Judae. Welches alles ich so viel
mehr auch sagen muß von der absolution, weil gardieser ritus, daß eine privat-
absolution
vor der communion erfordert wird, nicht einmal göttliche einsetzung/
sondern von der kirchen eingeführet worden ist; daher diese so vielmehr macht hat,
etwas in der ordnung zu disponiren. 10. So wissen wir, daß alle absolution
eines predigers, mit was formul sie auch ausgesprochen werde, in ihrer natur be-
reits condition[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]ta und bedingt ist, wo nemlich das beicht-kind also beschaffen,
wie seine beichte lautet; welches den leuten, um ihrem sichern vertrauen drauf zu
wehren, offte in den predigten einzuschärffen ist. Daher aber ist die absolution die
in dem namen des HERRN gesprochen wird, niemal falsch, sondern sie bestehet
allezeit allein auf derjenigen wahrheit, daß jedem bußfertigen die sünde gewiß ver-
geben werden. Ob denn die [a]pplication auf die person fehlet, wird doch auch
damit die formul nicht falsch, sondern ist conditionata, und gehet so zu reden bey
dem absolvendo vorbey, als die an ihm nichts hafftet. 11. Jndessen achte zu ver-
wahrung des gewissens so viel dienlicher, wo man bey einem beicht-kinde starcke
sor-
ARTIC. VI. SECT. II.
ruf zu entziehen. 1. Erkenne ich aus 1. Cor. 11. daß die unwuͤrdige nieſſunge eine
ſuͤnde ſey, von ſeiten des communicirenden. 2. Auch iſt die kirche nicht ohne
ſchuld, daß ſie nicht die gehoͤrige verfaſſung machet, dieſer ſuͤnde zu ſteuren, welche
ich davor halte/ daß ſie uͤber uns noch ein groſſes gerichte ziehen werde. Jndeſſen
iſt der Prediger, der alles was in gegenwaͤrtiger der kirchen verfaſſung muͤglich iſt,
vorkehret, um dieſem uͤbel zu wehren, und endlich zulaſſen muß, was er nicht abhal-
ten kan, vor GOTT ohne ſchuld. Daher 4. Paulus 1. Cor. 11. bey den groben
exceſſen der Corinthier, die bey derſelben gemeinde vorgiengen, nicht die aͤltiſten
oder prediger, ſondern diejenige, die geſuͤndiget hatten, ſtraffet. 5. Weil der pre-
diger in der kirchen namen das ſacrament verwaltet, hat er darin keine mehrere
macht zu brauchen, als ſo viel ihm die kirche committiret. 6. Dieſe aber gehet
nicht weiter, als daß er diejenige abhalte, die ſich ſelbs unbußfertig bekennen und
keine beſſerunge, verſoͤhnung und dergleichen verſprechen wollen. Daher wo ein
prediger ſolche leut ausſchlieſt, meine ich nicht, daß jemal ein Conſiſtorium ihme
inhibition thun werde. 7. Wann aber das beicht-kind ſich bußfertig durch ver-
ſpruch der beſſerung anſtellet, der prediger aber wegen offtmaliger teuſchung es
nicht vor bußfertig halten will, und alſo uͤber die frage, ob daſſelbe bußfertig ſey, ſtreit
entſtehet, ſo iſt nachmal der prediger nicht mehr richter, ſondern der ausſpruch komt
auf die kirche. Zwar am beſten waͤre es, wo bey jeglicher gemeinde rechte kirchen-ge-
richte verordnet waͤren von ſolchen perſonen, die die glieder alle wol kenneten, da bey
derſelben der ausſpruch ſtehen ſolte, aber weil dieſe an wenigſten orten ſind, muß es
in den Conſiſtoriis geſchehen. Da denn ein prediger nach ſolchem ausſpruch ſich
zu halten hat. 8. Wo nun ein prediger auch einen unwuͤrdigen nach ſolchem aus-
ſpruch zulaͤſſet, und zulaſſen muß, komt keine ſchuld auf ihn, ſo wenig als auf
CHriſtum, von der zulaſſunge des ihm bekanten Judæ. Welches alles ich ſo viel
mehr auch ſagen muß von der abſolution, weil gardieſer ritus, daß eine privat-
abſolution
vor der communion erfordert wird, nicht einmal goͤttliche einſetzung/
ſondern von der kirchen eingefuͤhret worden iſt; daher dieſe ſo vielmehr macht hat,
etwas in der ordnung zu diſponiren. 10. So wiſſen wir, daß alle abſolution
eines predigers, mit was formul ſie auch ausgeſprochen werde, in ihrer natur be-
reits condition[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ta und bedingt iſt, wo nemlich das beicht-kind alſo beſchaffen,
wie ſeine beichte lautet; welches den leuten, um ihrem ſichern vertrauen drauf zu
wehren, offte in den predigten einzuſchaͤrffen iſt. Daher aber iſt die abſolution die
in dem namen des HERRN geſprochen wird, niemal falſch, ſondern ſie beſtehet
allezeit allein auf derjenigen wahrheit, daß jedem bußfertigen die ſuͤnde gewiß ver-
geben werden. Ob denn die [a]pplication auf die perſon fehlet, wird doch auch
damit die formul nicht falſch, ſondern iſt conditionata, und gehet ſo zu reden bey
dem abſolvendo vorbey, als die an ihm nichts hafftet. 11. Jndeſſen achte zu ver-
wahrung des gewiſſens ſo viel dienlicher, wo man bey einem beicht-kinde ſtarcke
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[695/0707] ARTIC. VI. SECT. II. ruf zu entziehen. 1. Erkenne ich aus 1. Cor. 11. daß die unwuͤrdige nieſſunge eine ſuͤnde ſey, von ſeiten des communicirenden. 2. Auch iſt die kirche nicht ohne ſchuld, daß ſie nicht die gehoͤrige verfaſſung machet, dieſer ſuͤnde zu ſteuren, welche ich davor halte/ daß ſie uͤber uns noch ein groſſes gerichte ziehen werde. Jndeſſen iſt der Prediger, der alles was in gegenwaͤrtiger der kirchen verfaſſung muͤglich iſt, vorkehret, um dieſem uͤbel zu wehren, und endlich zulaſſen muß, was er nicht abhal- ten kan, vor GOTT ohne ſchuld. Daher 4. Paulus 1. Cor. 11. bey den groben exceſſen der Corinthier, die bey derſelben gemeinde vorgiengen, nicht die aͤltiſten oder prediger, ſondern diejenige, die geſuͤndiget hatten, ſtraffet. 5. Weil der pre- diger in der kirchen namen das ſacrament verwaltet, hat er darin keine mehrere macht zu brauchen, als ſo viel ihm die kirche committiret. 6. Dieſe aber gehet nicht weiter, als daß er diejenige abhalte, die ſich ſelbs unbußfertig bekennen und keine beſſerunge, verſoͤhnung und dergleichen verſprechen wollen. Daher wo ein prediger ſolche leut ausſchlieſt, meine ich nicht, daß jemal ein Conſiſtorium ihme inhibition thun werde. 7. Wann aber das beicht-kind ſich bußfertig durch ver- ſpruch der beſſerung anſtellet, der prediger aber wegen offtmaliger teuſchung es nicht vor bußfertig halten will, und alſo uͤber die frage, ob daſſelbe bußfertig ſey, ſtreit entſtehet, ſo iſt nachmal der prediger nicht mehr richter, ſondern der ausſpruch komt auf die kirche. Zwar am beſten waͤre es, wo bey jeglicher gemeinde rechte kirchen-ge- richte verordnet waͤren von ſolchen perſonen, die die glieder alle wol kenneten, da bey derſelben der ausſpruch ſtehen ſolte, aber weil dieſe an wenigſten orten ſind, muß es in den Conſiſtoriis geſchehen. Da denn ein prediger nach ſolchem ausſpruch ſich zu halten hat. 8. Wo nun ein prediger auch einen unwuͤrdigen nach ſolchem aus- ſpruch zulaͤſſet, und zulaſſen muß, komt keine ſchuld auf ihn, ſo wenig als auf CHriſtum, von der zulaſſunge des ihm bekanten Judæ. Welches alles ich ſo viel mehr auch ſagen muß von der abſolution, weil gardieſer ritus, daß eine privat- abſolution vor der communion erfordert wird, nicht einmal goͤttliche einſetzung/ ſondern von der kirchen eingefuͤhret worden iſt; daher dieſe ſo vielmehr macht hat, etwas in der ordnung zu diſponiren. 10. So wiſſen wir, daß alle abſolution eines predigers, mit was formul ſie auch ausgeſprochen werde, in ihrer natur be- reits condition_ta und bedingt iſt, wo nemlich das beicht-kind alſo beſchaffen, wie ſeine beichte lautet; welches den leuten, um ihrem ſichern vertrauen drauf zu wehren, offte in den predigten einzuſchaͤrffen iſt. Daher aber iſt die abſolution die in dem namen des HERRN geſprochen wird, niemal falſch, ſondern ſie beſtehet allezeit allein auf derjenigen wahrheit, daß jedem bußfertigen die ſuͤnde gewiß ver- geben werden. Ob denn die application auf die perſon fehlet, wird doch auch damit die formul nicht falſch, ſondern iſt conditionata, und gehet ſo zu reden bey dem abſolvendo vorbey, als die an ihm nichts hafftet. 11. Jndeſſen achte zu ver- wahrung des gewiſſens ſo viel dienlicher, wo man bey einem beicht-kinde ſtarcke ſor-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/707>, abgerufen am 22.11.2024.