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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECT. III.
tans unterworffene person fleißig darzu zu vermahnen, und sie würdiglich darzu zu
bereiten, mit versicherung, daß wie allemal ihre vereinigung mit Christo dadurch
verneuret werde, sie allezeit von ihrem heylande auch neue krafft bekomme, entwe-
der die teuflische anläuffe abzuhalten, oder sie siegreich abzuschlagen. 5. Die vor-
nehmste stetswährende übung aber solcher leute solle seyn das liebe anhaltende ge-
bet, ohne welches nicht alleine keine stunde, sondern auch wol kein geringer theil
derselben vorbey gelassen werden solle: dann in demselben übet sich der glaube am
besten, und erweiset seine krafft am mächtigsten. Wohin ich auch billig zehle das
gebet der christlichen gemeinde und besonderer christlicher freunde, das billig zu su-
chen, auch eine nützliche stärckung ist, wann öffters gottselige mitbrüder oder schwe-
stern bey einer solchen leidenden person zusammen kommen, und von hertzen mit ihr
und über sie GOtt anruffen, welches von nicht geringer wirckung ist. Nächst obiger
ist auch eine der wichtigsten pflichten die gedult und demüthige unterwerffung un-
ter göttlichen willen, daß der mensch nicht alleine nicht in euserliche ungedult und
murren gegen GOtt ausbreche (dann obwol da einigen in der starcken gewalt der
anfechtung etwas dergleichen entführe, der himmlische Vater es in gnaden, wie
dem lieben Job, zu gut zu halten weißt, und mit seinen kindern nicht nach der strenge
verfähret, befordert aufs wenigste solche ungedult die hülffe so gar nicht, daß sie sie
vielmehr immer weiter zurücke setzet, und die geistliche krafft schwächet) sondern auch
innerlich nicht mit allzuhefftigen und unbedingten verlangen, seines leidens loß zu
seyn, sich göttlichem willen entgegen setze. Damit sage ich nicht, daß eine gläubige
seele nicht nach solcher erlösung hertzlich verlangen, und auch angelegenlich darum
beten möge, aber allezeit nicht allein in demüthiger erkäntnüß ihrer unwürdigkeit,
sondern auch mit ausdrücklicher unterwerffung ihres willens unter den göttlichen
und wahrhafftigen entschluß, wo GOttes wille also seyn würde, den kelch ferner aus
zutrincken, ja wo der HErr es also dienlich finden würde immer unter der beschwer-
lichen presse auszuhalten. Daher wo auf mehrmaliges gebet keine erleichterung
folget, will ich eben nicht sagen, daß man von dem gebet um die erlösung gar ablas-
sen solle; weil es aber zuweilen über einige noch göttlicher rath seyn mögte, den der
HErr dorten 2. Cor. 12. dem lieben Paulo, der angelegenlich um die wegnehmung
des ihn mit fäusten schlagenden satans engels denselben angeflehet hatte, ausdrück-
lich angezeiget, er solte sich an seiner gnade gnügen lassen (das ist, er müste diese last
immer fort tragen, und solle sich an der so viel kräfftigeren gnade Gottes begnügen)
so will nöthig seyn, daß man sein gebet immer treibe mehr auf die erhaltung und be-
kräfftigung der gnade als die eusserliche befreyung richte, ja diese je länger je mehr
also clausu[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]ire, daß man selbst nichts wider göttlichen willen verlange, und sich end-
lich lediglich in seinen schoß hinwerffe. Kan eine seele gar zu solcher verleugnung ih-
rer selbst gelangen, daß sie solche übergebung nicht (wie es sonst das gemeinste) mit
einem starcken kampf thun muß, sondern sie sich selbst also nach göttlichen willen nei-
get
ARTIC. VI. SECT. III.
tans unterworffene perſon fleißig darzu zu vermahnen, und ſie wuͤrdiglich darzu zu
bereiten, mit verſicherung, daß wie allemal ihre vereinigung mit Chriſto dadurch
verneuret werde, ſie allezeit von ihrem heylande auch neue krafft bekomme, entwe-
der die teufliſche anlaͤuffe abzuhalten, oder ſie ſiegreich abzuſchlagen. 5. Die vor-
nehmſte ſtetswaͤhrende uͤbung aber ſolcher leute ſolle ſeyn das liebe anhaltende ge-
bet, ohne welches nicht alleine keine ſtunde, ſondern auch wol kein geringer theil
derſelben vorbey gelaſſen werden ſolle: dann in demſelben uͤbet ſich der glaube am
beſten, und erweiſet ſeine krafft am maͤchtigſten. Wohin ich auch billig zehle das
gebet der chriſtlichen gemeinde und beſonderer chriſtlicher freunde, das billig zu ſu-
chen, auch eine nuͤtzliche ſtaͤrckung iſt, wann oͤffters gottſelige mitbruͤder oder ſchwe-
ſtern bey einer ſolchen leidenden perſon zuſammen kommen, und von hertzen mit ihr
und uͤber ſie GOtt anruffen, welches von nicht geringer wirckung iſt. Naͤchſt obiger
iſt auch eine der wichtigſten pflichten die gedult und demuͤthige unterwerffung un-
ter goͤttlichen willen, daß der menſch nicht alleine nicht in euſerliche ungedult und
murren gegen GOtt ausbreche (dann obwol da einigen in der ſtarcken gewalt der
anfechtung etwas dergleichen entfuͤhre, der himmliſche Vater es in gnaden, wie
dem lieben Job, zu gut zu halten weißt, und mit ſeinen kindern nicht nach der ſtrenge
verfaͤhret, befordert aufs wenigſte ſolche ungedult die huͤlffe ſo gar nicht, daß ſie ſie
vielmehr im̃er weiter zuruͤcke ſetzet, und die geiſtliche krafft ſchwaͤchet) ſondern auch
innerlich nicht mit allzuhefftigen und unbedingten verlangen, ſeines leidens loß zu
ſeyn, ſich goͤttlichem willen entgegen ſetze. Damit ſage ich nicht, daß eine glaͤubige
ſeele nicht nach ſolcher erloͤſung hertzlich verlangen, und auch angelegenlich darum
beten moͤge, aber allezeit nicht allein in demuͤthiger erkaͤntnuͤß ihrer unwuͤrdigkeit,
ſondern auch mit ausdruͤcklicher unterwerffung ihres willens unter den goͤttlichen
und wahrhafftigen entſchluß, wo GOttes wille alſo ſeyn wuͤrde, den kelch ferner aus
zutrincken, ja wo der HErr es alſo dienlich finden wuͤrde immer unter der beſchwer-
lichen preſſe auszuhalten. Daher wo auf mehrmaliges gebet keine erleichterung
folget, will ich eben nicht ſagen, daß man von dem gebet um die erloͤſung gar ablaſ-
ſen ſolle; weil es aber zuweilen uͤber einige noch goͤttlicher rath ſeyn moͤgte, den der
HErr dorten 2. Cor. 12. dem lieben Paulo, der angelegenlich um die wegnehmung
des ihn mit faͤuſten ſchlagenden ſatans engels denſelben angeflehet hatte, ausdruͤck-
lich angezeiget, er ſolte ſich an ſeiner gnade gnuͤgen laſſen (das iſt, er muͤſte dieſe laſt
immer fort tragen, und ſolle ſich an der ſo viel kraͤfftigeren gnade Gottes begnuͤgen)
ſo will noͤthig ſeyn, daß man ſein gebet immer treibe mehr auf die erhaltung und be-
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alſo clauſu[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ire, daß man ſelbſt nichts wider goͤttlichen willen verlange, und ſich end-
lich lediglich in ſeinen ſchoß hinwerffe. Kan eine ſeele gar zu ſolcher verleugnung ih-
rer ſelbſt gelangen, daß ſie ſolche uͤbergebung nicht (wie es ſonſt das gemeinſte) mit
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[703/0715] ARTIC. VI. SECT. III. tans unterworffene perſon fleißig darzu zu vermahnen, und ſie wuͤrdiglich darzu zu bereiten, mit verſicherung, daß wie allemal ihre vereinigung mit Chriſto dadurch verneuret werde, ſie allezeit von ihrem heylande auch neue krafft bekomme, entwe- der die teufliſche anlaͤuffe abzuhalten, oder ſie ſiegreich abzuſchlagen. 5. Die vor- nehmſte ſtetswaͤhrende uͤbung aber ſolcher leute ſolle ſeyn das liebe anhaltende ge- bet, ohne welches nicht alleine keine ſtunde, ſondern auch wol kein geringer theil derſelben vorbey gelaſſen werden ſolle: dann in demſelben uͤbet ſich der glaube am beſten, und erweiſet ſeine krafft am maͤchtigſten. Wohin ich auch billig zehle das gebet der chriſtlichen gemeinde und beſonderer chriſtlicher freunde, das billig zu ſu- chen, auch eine nuͤtzliche ſtaͤrckung iſt, wann oͤffters gottſelige mitbruͤder oder ſchwe- ſtern bey einer ſolchen leidenden perſon zuſammen kommen, und von hertzen mit ihr und uͤber ſie GOtt anruffen, welches von nicht geringer wirckung iſt. Naͤchſt obiger iſt auch eine der wichtigſten pflichten die gedult und demuͤthige unterwerffung un- ter goͤttlichen willen, daß der menſch nicht alleine nicht in euſerliche ungedult und murren gegen GOtt ausbreche (dann obwol da einigen in der ſtarcken gewalt der anfechtung etwas dergleichen entfuͤhre, der himmliſche Vater es in gnaden, wie dem lieben Job, zu gut zu halten weißt, und mit ſeinen kindern nicht nach der ſtrenge verfaͤhret, befordert aufs wenigſte ſolche ungedult die huͤlffe ſo gar nicht, daß ſie ſie vielmehr im̃er weiter zuruͤcke ſetzet, und die geiſtliche krafft ſchwaͤchet) ſondern auch innerlich nicht mit allzuhefftigen und unbedingten verlangen, ſeines leidens loß zu ſeyn, ſich goͤttlichem willen entgegen ſetze. Damit ſage ich nicht, daß eine glaͤubige ſeele nicht nach ſolcher erloͤſung hertzlich verlangen, und auch angelegenlich darum beten moͤge, aber allezeit nicht allein in demuͤthiger erkaͤntnuͤß ihrer unwuͤrdigkeit, ſondern auch mit ausdruͤcklicher unterwerffung ihres willens unter den goͤttlichen und wahrhafftigen entſchluß, wo GOttes wille alſo ſeyn wuͤrde, den kelch ferner aus zutrincken, ja wo der HErr es alſo dienlich finden wuͤrde immer unter der beſchwer- lichen preſſe auszuhalten. Daher wo auf mehrmaliges gebet keine erleichterung folget, will ich eben nicht ſagen, daß man von dem gebet um die erloͤſung gar ablaſ- ſen ſolle; weil es aber zuweilen uͤber einige noch goͤttlicher rath ſeyn moͤgte, den der HErr dorten 2. Cor. 12. dem lieben Paulo, der angelegenlich um die wegnehmung des ihn mit faͤuſten ſchlagenden ſatans engels denſelben angeflehet hatte, ausdruͤck- lich angezeiget, er ſolte ſich an ſeiner gnade gnuͤgen laſſen (das iſt, er muͤſte dieſe laſt immer fort tragen, und ſolle ſich an der ſo viel kraͤfftigeren gnade Gottes begnuͤgen) ſo will noͤthig ſeyn, daß man ſein gebet immer treibe mehr auf die erhaltung und be- kraͤfftigung der gnade als die euſſerliche befreyung richte, ja dieſe je laͤnger je mehr alſo clauſu_ire, daß man ſelbſt nichts wider goͤttlichen willen verlange, und ſich end- lich lediglich in ſeinen ſchoß hinwerffe. Kan eine ſeele gar zu ſolcher verleugnung ih- rer ſelbſt gelangen, daß ſie ſolche uͤbergebung nicht (wie es ſonſt das gemeinſte) mit einem ſtarcken kampf thun muß, ſondern ſie ſich ſelbſt alſo nach goͤttlichen willen nei- get

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/715>, abgerufen am 22.11.2024.