des HErrn ist, fahren zu lassen, und sich seiner freyheit zu gebrau- chen, oder ob er schuldig, das versprochene zu halten.
Nachdem bey q. 1. die richtigkeit des verspruchs mit Lucretia verhoffenlich zur gnüge dargethan, so folget von selbs, daß weder göttliche ordnung noch liebe zu- lassen, Lucretiam hindanzusetzen, sondern daß beyde ihn verbinden, seinem mehr- mals wiederholten verspruch, und zwar sobald solches geschehen kan und GOTT gelegenheit darzu zeiget, krafft zu geben, auch ihre gedult, treue und beständigkeit mit gleicher liebe danckbarlich zu vergelten. Hingegen würden viele sünden in der verlassung zusammen fliessen, so gar, daß auch die obrigkeit, da es vor deroselben amt käme, ihn zu erfüllung seines gelübdes zu zwingen hätte.
Dem mag nicht entgegen stehen der gerühmte vorzug des ledigen standes vor dem ehelichen, was das geistliche anlangt. Dann 1. wie solcher nicht bloß dahin geleugnet wird, so hat doch solche regel auch ihre abfälle, und vermögen die um- stände der personen, zeit und ort hierinnen vieles. So sind mir exempel christli- cher leute (auch eines treuen predigers bekant, die in ledigem stande ihr leben zu- bracht, aber davon wenig vortheil, ja auch in dem amt hindernüß erfahren haben, daß sie wol verheyrathet mehr ausgerichtet haben würden. 2. Weil GOtt Titio an der Lucretia eine person zugewiesen, die er selbs erkennet, in Gottes gnade recht zu stehen, hat er göttlichen gnädigen willen auch daraus zu erkennen, und von der- selben vielmehr fördernüß als hinderung in seinem christenthum und künfftigem amt sich zu versehen. 3. Jhm gilt auch das wort Pauli 1. Corinth. 7, 17. bist du an ein weib gebunden, so suche nicht loß zu werden. Jndem die eheliche verbindung zwar durch die solenne zusammengebung und nachmal beywohnung bekräfftiget wird, aber bereits durch den verspruch angehoben hat, und daher nicht ohne wichtigste ursachen, auch nicht eigenmächtig (wie es denn nothwendig erst zu richterlicher erkäntnüß kommen müßte) aufgehoben werden kan. Daher auch mit diesem band gebunden hat er nicht macht sich loß zu machen. 4. Ob er also auch bey sich finden solte, daß ihm die freyheit vorträglicher gewesen wäre, in wel- cher prüfung sich auch einige zuweilen betriegen mögen, so gilt doch ihm abermal die regel Rom. 3, 8. nicht übel zu thun, daß gutes daraus entstehe, und also seinen verspruch zu brechen, und die einem andern schuldige liebe zu verletzen um seinen gedancken nach einen füglichern weg zur vollkommenheit zu erwehlen, der aber, weil er wider die liebe angetreten, keinen segen von oben haben würde. Ja es ist die übung der liebe der köstlichste weg auch vor andern besten gaben 1. Corinth. 12, 13. und deswegen in einem so wichtigen werck nicht dagegen zu handeln, viel- mehr, wo es geschähe, zu sorgen, daß eine unerträgliche last darvon auf das gewis- sen fallen würde. 5. Wo man auch noch in der freyheit stünde, und bey sich die gabe der ledigen keuschheit befände, stehet doch jedem frey, sich solcher seiner
gabe
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ARTIC. VI. SECTIO V.
des HErrn iſt, fahren zu laſſen, und ſich ſeiner freyheit zu gebrau- chen, oder ob er ſchuldig, das verſprochene zu halten.
Nachdem bey q. 1. die richtigkeit des verſpruchs mit Lucretia verhoffenlich zur gnuͤge dargethan, ſo folget von ſelbs, daß weder goͤttliche ordnung noch liebe zu- laſſen, Lucretiam hindanzuſetzen, ſondern daß beyde ihn verbinden, ſeinem mehr- mals wiederholten verſpruch, und zwar ſobald ſolches geſchehen kan und GOTT gelegenheit darzu zeiget, krafft zu geben, auch ihre gedult, treue und beſtaͤndigkeit mit gleicher liebe danckbarlich zu vergelten. Hingegen wuͤrden viele ſuͤnden in der verlaſſung zuſammen flieſſen, ſo gar, daß auch die obrigkeit, da es vor deroſelben amt kaͤme, ihn zu erfuͤllung ſeines geluͤbdes zu zwingen haͤtte.
Dem mag nicht entgegen ſtehen der geruͤhmte vorzug des ledigen ſtandes vor dem ehelichen, was das geiſtliche anlangt. Dann 1. wie ſolcher nicht bloß dahin geleugnet wird, ſo hat doch ſolche regel auch ihre abfaͤlle, und vermoͤgen die um- ſtaͤnde der perſonen, zeit und ort hierinnen vieles. So ſind mir exempel chriſtli- cher leute (auch eines treuen predigers bekant, die in ledigem ſtande ihr leben zu- bracht, aber davon wenig vortheil, ja auch in dem amt hindernuͤß erfahren haben, daß ſie wol verheyrathet mehr ausgerichtet haben wuͤrden. 2. Weil GOtt Titio an der Lucretia eine perſon zugewieſen, die er ſelbs erkennet, in Gottes gnade recht zu ſtehen, hat er goͤttlichen gnaͤdigen willen auch daraus zu erkennen, und von der- ſelben vielmehr foͤrdernuͤß als hinderung in ſeinem chriſtenthum und kuͤnfftigem amt ſich zu verſehen. 3. Jhm gilt auch das wort Pauli 1. Corinth. 7, 17. biſt du an ein weib gebunden, ſo ſuche nicht loß zu werden. Jndem die eheliche verbindung zwar durch die ſolenne zuſammengebung und nachmal beywohnung bekraͤfftiget wird, aber bereits durch den verſpruch angehoben hat, und daher nicht ohne wichtigſte urſachen, auch nicht eigenmaͤchtig (wie es denn nothwendig erſt zu richterlicher erkaͤntnuͤß kommen muͤßte) aufgehoben werden kan. Daher auch mit dieſem band gebunden hat er nicht macht ſich loß zu machen. 4. Ob er alſo auch bey ſich finden ſolte, daß ihm die freyheit vortraͤglicher geweſen waͤre, in wel- cher pruͤfung ſich auch einige zuweilen betriegen moͤgen, ſo gilt doch ihm abermal die regel Rom. 3, 8. nicht uͤbel zu thun, daß gutes daraus entſtehe, und alſo ſeinen verſpruch zu brechen, und die einem andern ſchuldige liebe zu verletzen um ſeinen gedancken nach einen fuͤglichern weg zur vollkommenheit zu erwehlen, der aber, weil er wider die liebe angetreten, keinen ſegen von oben haben wuͤrde. Ja es iſt die uͤbung der liebe der koͤſtlichſte weg auch vor andern beſten gaben 1. Corinth. 12, 13. und deswegen in einem ſo wichtigen werck nicht dagegen zu handeln, viel- mehr, wo es geſchaͤhe, zu ſorgen, daß eine unertraͤgliche laſt darvon auf das gewiſ- ſen fallen wuͤrde. 5. Wo man auch noch in der freyheit ſtuͤnde, und bey ſich die gabe der ledigen keuſchheit befaͤnde, ſtehet doch jedem frey, ſich ſolcher ſeiner
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ARTIC. VI. SECTIO V.
des HErrn iſt, fahren zu laſſen, und ſich ſeiner freyheit zu gebrau-
chen, oder ob er ſchuldig, das verſprochene zu halten.
Nachdem bey q. 1. die richtigkeit des verſpruchs mit Lucretia verhoffenlich
zur gnuͤge dargethan, ſo folget von ſelbs, daß weder goͤttliche ordnung noch liebe zu-
laſſen, Lucretiam hindanzuſetzen, ſondern daß beyde ihn verbinden, ſeinem mehr-
mals wiederholten verſpruch, und zwar ſobald ſolches geſchehen kan und GOTT
gelegenheit darzu zeiget, krafft zu geben, auch ihre gedult, treue und beſtaͤndigkeit
mit gleicher liebe danckbarlich zu vergelten. Hingegen wuͤrden viele ſuͤnden in der
verlaſſung zuſammen flieſſen, ſo gar, daß auch die obrigkeit, da es vor deroſelben
amt kaͤme, ihn zu erfuͤllung ſeines geluͤbdes zu zwingen haͤtte.
Dem mag nicht entgegen ſtehen der geruͤhmte vorzug des ledigen ſtandes vor
dem ehelichen, was das geiſtliche anlangt. Dann 1. wie ſolcher nicht bloß dahin
geleugnet wird, ſo hat doch ſolche regel auch ihre abfaͤlle, und vermoͤgen die um-
ſtaͤnde der perſonen, zeit und ort hierinnen vieles. So ſind mir exempel chriſtli-
cher leute (auch eines treuen predigers bekant, die in ledigem ſtande ihr leben zu-
bracht, aber davon wenig vortheil, ja auch in dem amt hindernuͤß erfahren haben,
daß ſie wol verheyrathet mehr ausgerichtet haben wuͤrden. 2. Weil GOtt Titio
an der Lucretia eine perſon zugewieſen, die er ſelbs erkennet, in Gottes gnade recht
zu ſtehen, hat er goͤttlichen gnaͤdigen willen auch daraus zu erkennen, und von der-
ſelben vielmehr foͤrdernuͤß als hinderung in ſeinem chriſtenthum und kuͤnfftigem
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du an ein weib gebunden, ſo ſuche nicht loß zu werden. Jndem die eheliche
verbindung zwar durch die ſolenne zuſammengebung und nachmal beywohnung
bekraͤfftiget wird, aber bereits durch den verſpruch angehoben hat, und daher nicht
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richterlicher erkaͤntnuͤß kommen muͤßte) aufgehoben werden kan. Daher auch
mit dieſem band gebunden hat er nicht macht ſich loß zu machen. 4. Ob er alſo
auch bey ſich finden ſolte, daß ihm die freyheit vortraͤglicher geweſen waͤre, in wel-
cher pruͤfung ſich auch einige zuweilen betriegen moͤgen, ſo gilt doch ihm abermal
die regel Rom. 3, 8. nicht uͤbel zu thun, daß gutes daraus entſtehe, und alſo ſeinen
verſpruch zu brechen, und die einem andern ſchuldige liebe zu verletzen um ſeinen
gedancken nach einen fuͤglichern weg zur vollkommenheit zu erwehlen, der aber,
weil er wider die liebe angetreten, keinen ſegen von oben haben wuͤrde. Ja es iſt
die uͤbung der liebe der koͤſtlichſte weg auch vor andern beſten gaben 1. Corinth.
12, 13. und deswegen in einem ſo wichtigen werck nicht dagegen zu handeln, viel-
mehr, wo es geſchaͤhe, zu ſorgen, daß eine unertraͤgliche laſt darvon auf das gewiſ-
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ſich die gabe der ledigen keuſchheit befaͤnde, ſtehet doch jedem frey, ſich ſolcher ſeiner
gabe
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/727>, abgerufen am 22.11.2024.
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