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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
was er thut in glauben auf göttlichen beruff und gnade auch in redlicher liebe, thut,
versichert sich billig göttlicher barmhertzigkeit, die mit ihm gedult tragen, und nichts
von ihm, worzu er nicht kommen könne, fordern werde, daß also wer mit redlicher
absicht in liebe seine seele in gefahr um des nechsten willen gegeben, sie gewiß deswe-
gen nicht verlieren kan. 7. Wer sich aber aus furcht für GOttes gerichte entziehet,
darinnen wahrhafftig unglaube und mangel der liebe stecket, ziehet schweres gericht
auf sich, und stürtzet sich, da er der gefahr entgehen will, eben dadurch in grösse-
re gefahr seiner seelen. 8. Daher bleibet der sicherste weg; sich zu dem dienst der
kirchen nicht dringen, aber auch sich nicht entziehen: so dann mit der zeit und ort,
darin uns GOtt gesetzet hat, beschaffenheit und elend also gedult tragen, daß wir
thun was wir können, wo uns nicht müglich was wir gern wolten und billig solten.
9. Wer andern sonsten zu dem dienst geneigten seelen eine solche furcht einjaget, daß
sie sich alsdann von dero dienst zurück halten, thut sehr unrecht an der kirchen, die er
solcher leute beraubet, welche sonsten nützliche werckzeuge göttlicher gnade an der-
selben hätten werden können und sollen. Also hat man zwar studiosis und candida-
tis
das elend unserer zeiten und die schwerigkeit des amts also einzudrucken, daß sie
nicht darnach frühzeitig eilen, noch mit ungewaschenen händen es angreiffen, son-
dern mit allem fleiß sich darzu bereiten und von GOtt bereiten lassen, mit heiliger
furcht dessen winck erwartende: man hat aber auch zu trachten ihnen einen reinen
eifer vor göttliche ehre, erbarmende liebe zu dem heyl der menschen, und einfältiges
vertrauen auf göttliche barmhertzigkeit, die sie, da sie mit redlichen hertzen anderer
heyl suchen, das ihrige darüber nicht verschertzen lassen werden, beyzubringen, in
welcher des gemüths bewandnüß sie nützliche leute werden mögen. Ach daß uns
der HERR derselben viele beschere; unter welchen ich auch denselben erfunden zu
werden hertzlich wünsche!

SECTIO VII.
Was bey denen aus dem judenthum bekehrten ih-
rer vorigen ehe wegen zu bedencken.

WO eine jüdische person durch göttliche gnade zum christenthum kommet,
das ander theil aber sich nicht dazu verstehen will, ist damit ihre ehe
noch nicht getrennet. Wie der fall klar von Paulo ausgemacht
ist, 1. Cor. VII. v. 13. So ein bruder ein ungläubig weib hat, und die-
selbe lässet es ihr gefallen, bey ihm zu wohnen, der scheide sich nicht
von ihr: Und so ein weib einen ungläubigen mann hat, und er läs-

set

Das ſiebende Capitel.
was er thut in glauben auf goͤttlichen beruff und gnade auch in redlicher liebe, thut,
verſichert ſich billig goͤttlicher barmhertzigkeit, die mit ihm gedult tragen, und nichts
von ihm, worzu er nicht kommen koͤnne, fordern werde, daß alſo wer mit redlicher
abſicht in liebe ſeine ſeele in gefahr um des nechſten willen gegeben, ſie gewiß deswe-
gen nicht verlieren kan. 7. Wer ſich aber aus furcht fuͤr GOttes gerichte entziehet,
darinnen wahrhafftig unglaube und mangel der liebe ſtecket, ziehet ſchweres gericht
auf ſich, und ſtuͤrtzet ſich, da er der gefahr entgehen will, eben dadurch in groͤſſe-
re gefahr ſeiner ſeelen. 8. Daher bleibet der ſicherſte weg; ſich zu dem dienſt der
kirchen nicht dringen, aber auch ſich nicht entziehen: ſo dann mit der zeit und ort,
darin uns GOtt geſetzet hat, beſchaffenheit und elend alſo gedult tragen, daß wir
thun was wir koͤnnen, wo uns nicht muͤglich was wir gern wolten und billig ſolten.
9. Wer andern ſonſten zu dem dienſt geneigten ſeelen eine ſolche furcht einjaget, daß
ſie ſich alsdann von dero dienſt zuruͤck halten, thut ſehr unrecht an der kirchen, die er
ſolcher leute beraubet, welche ſonſten nuͤtzliche werckzeuge goͤttlicher gnade an der-
ſelben haͤtten werden koͤnnen und ſollen. Alſo hat man zwar ſtudioſis und candida-
tis
das elend unſerer zeiten und die ſchwerigkeit des amts alſo einzudrucken, daß ſie
nicht darnach fruͤhzeitig eilen, noch mit ungewaſchenen haͤnden es angreiffen, ſon-
dern mit allem fleiß ſich darzu bereiten und von GOtt bereiten laſſen, mit heiliger
furcht deſſen winck erwartende: man hat aber auch zu trachten ihnen einen reinen
eifer vor goͤttliche ehre, erbarmende liebe zu dem heyl der menſchen, und einfaͤltiges
vertrauen auf goͤttliche barmhertzigkeit, die ſie, da ſie mit redlichen hertzen anderer
heyl ſuchen, das ihrige daruͤber nicht verſchertzen laſſen werden, beyzubringen, in
welcher des gemuͤths bewandnuͤß ſie nuͤtzliche leute werden moͤgen. Ach daß uns
der HERR derſelben viele beſchere; unter welchen ich auch denſelben erfunden zu
werden hertzlich wuͤnſche!

SECTIO VII.
Was bey denen aus dem judenthum bekehrten ih-
rer vorigen ehe wegen zu bedencken.

WO eine juͤdiſche perſon durch goͤttliche gnade zum chriſtenthum kommet,
das ander theil aber ſich nicht dazu verſtehen will, iſt damit ihre ehe
noch nicht getrennet. Wie der fall klar von Paulo ausgemacht
iſt, 1. Cor. VII. v. 13. So ein bruder ein unglaͤubig weib hat, und die-
ſelbe laͤſſet es ihr gefallen, bey ihm zu wohnen, der ſcheide ſich nicht
von ihr: Und ſo ein weib einen unglaͤubigen mann hat, und er laͤſ-

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[734/0746] Das ſiebende Capitel. was er thut in glauben auf goͤttlichen beruff und gnade auch in redlicher liebe, thut, verſichert ſich billig goͤttlicher barmhertzigkeit, die mit ihm gedult tragen, und nichts von ihm, worzu er nicht kommen koͤnne, fordern werde, daß alſo wer mit redlicher abſicht in liebe ſeine ſeele in gefahr um des nechſten willen gegeben, ſie gewiß deswe- gen nicht verlieren kan. 7. Wer ſich aber aus furcht fuͤr GOttes gerichte entziehet, darinnen wahrhafftig unglaube und mangel der liebe ſtecket, ziehet ſchweres gericht auf ſich, und ſtuͤrtzet ſich, da er der gefahr entgehen will, eben dadurch in groͤſſe- re gefahr ſeiner ſeelen. 8. Daher bleibet der ſicherſte weg; ſich zu dem dienſt der kirchen nicht dringen, aber auch ſich nicht entziehen: ſo dann mit der zeit und ort, darin uns GOtt geſetzet hat, beſchaffenheit und elend alſo gedult tragen, daß wir thun was wir koͤnnen, wo uns nicht muͤglich was wir gern wolten und billig ſolten. 9. Wer andern ſonſten zu dem dienſt geneigten ſeelen eine ſolche furcht einjaget, daß ſie ſich alsdann von dero dienſt zuruͤck halten, thut ſehr unrecht an der kirchen, die er ſolcher leute beraubet, welche ſonſten nuͤtzliche werckzeuge goͤttlicher gnade an der- ſelben haͤtten werden koͤnnen und ſollen. Alſo hat man zwar ſtudioſis und candida- tis das elend unſerer zeiten und die ſchwerigkeit des amts alſo einzudrucken, daß ſie nicht darnach fruͤhzeitig eilen, noch mit ungewaſchenen haͤnden es angreiffen, ſon- dern mit allem fleiß ſich darzu bereiten und von GOtt bereiten laſſen, mit heiliger furcht deſſen winck erwartende: man hat aber auch zu trachten ihnen einen reinen eifer vor goͤttliche ehre, erbarmende liebe zu dem heyl der menſchen, und einfaͤltiges vertrauen auf goͤttliche barmhertzigkeit, die ſie, da ſie mit redlichen hertzen anderer heyl ſuchen, das ihrige daruͤber nicht verſchertzen laſſen werden, beyzubringen, in welcher des gemuͤths bewandnuͤß ſie nuͤtzliche leute werden moͤgen. Ach daß uns der HERR derſelben viele beſchere; unter welchen ich auch denſelben erfunden zu werden hertzlich wuͤnſche! 1701. SECTIO VII. Was bey denen aus dem judenthum bekehrten ih- rer vorigen ehe wegen zu bedencken. WO eine juͤdiſche perſon durch goͤttliche gnade zum chriſtenthum kommet, das ander theil aber ſich nicht dazu verſtehen will, iſt damit ihre ehe noch nicht getrennet. Wie der fall klar von Paulo ausgemacht iſt, 1. Cor. VII. v. 13. So ein bruder ein unglaͤubig weib hat, und die- ſelbe laͤſſet es ihr gefallen, bey ihm zu wohnen, der ſcheide ſich nicht von ihr: Und ſo ein weib einen unglaͤubigen mann hat, und er laͤſ- ſet

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 734. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/746>, abgerufen am 22.11.2024.