Herrn Doctor Stein vor mir zu sehen! Wie freund¬ lich von Ihnen, daß Sie mich zu besuchen kommen. Aufrichtig, ich habe Sie schon seit einigen Tagen bei mir erwartet. Als ich neulich in Grenwitz war, der gnädigen Baronin meine Aufwartung zu machen, erfuhr ich leider, daß Sie mit Ihren Zöglingen einen längeren Spaziergang unternommen hätten, sonst würde ich mir die Freude nicht versagt haben, Sie auf Ihrem Zim¬ mer aufzusuchen. Meine Frau wird sich glücklich schätzen, Sie unter unserem bescheidenen Dache zu begrüßen. Wollen Sie gefälligst näher treten? Bitte, bitte, keine Umstände!"
"Hier ist kein Entrinnen möglich," dachte Oswald, und der Höflichkeit, diesem Affen der Humanität, zu Liebe, ließ er sich unter dem bescheidenen Dache, das nebenbei ein ganz stattliches Haus bedeckte, eine Gast¬ freundschaft aufnöthigen, der auszuweichen er noch eine Minute vorher entschlossen gewesen war.
"Gustava! Gustave! Gustchen!" rief der Pfarrer auf der Hausflur; öffnete aber, da die Gerufene die sichere Position hinter dem mit einem Vorhang ver¬ sehenen Guckfensterchen der Küchenthür nicht aufgeben mochte, bevor sie über den Charakter des Fremden und den Zweck seines Besuches genauer unterrichtet sein würde, sein Studirzimmer, und bat Oswald einzutre¬
Herrn Doctor Stein vor mir zu ſehen! Wie freund¬ lich von Ihnen, daß Sie mich zu beſuchen kommen. Aufrichtig, ich habe Sie ſchon ſeit einigen Tagen bei mir erwartet. Als ich neulich in Grenwitz war, der gnädigen Baronin meine Aufwartung zu machen, erfuhr ich leider, daß Sie mit Ihren Zöglingen einen längeren Spaziergang unternommen hätten, ſonſt würde ich mir die Freude nicht verſagt haben, Sie auf Ihrem Zim¬ mer aufzuſuchen. Meine Frau wird ſich glücklich ſchätzen, Sie unter unſerem beſcheidenen Dache zu begrüßen. Wollen Sie gefälligſt näher treten? Bitte, bitte, keine Umſtände!“
„Hier iſt kein Entrinnen möglich,“ dachte Oswald, und der Höflichkeit, dieſem Affen der Humanität, zu Liebe, ließ er ſich unter dem beſcheidenen Dache, das nebenbei ein ganz ſtattliches Haus bedeckte, eine Gaſt¬ freundſchaft aufnöthigen, der auszuweichen er noch eine Minute vorher entſchloſſen geweſen war.
„Guſtava! Guſtave! Guſtchen!“ rief der Pfarrer auf der Hausflur; öffnete aber, da die Gerufene die ſichere Poſition hinter dem mit einem Vorhang ver¬ ſehenen Guckfenſterchen der Küchenthür nicht aufgeben mochte, bevor ſie über den Charakter des Fremden und den Zweck ſeines Beſuches genauer unterrichtet ſein würde, ſein Studirzimmer, und bat Oswald einzutre¬
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Herrn Doctor Stein vor mir zu ſehen! Wie freund¬
lich von Ihnen, daß Sie mich zu beſuchen kommen.
Aufrichtig, ich habe Sie ſchon ſeit einigen Tagen bei
mir erwartet. Als ich neulich in Grenwitz war, der
gnädigen Baronin meine Aufwartung zu machen, erfuhr
ich leider, daß Sie mit Ihren Zöglingen einen längeren
Spaziergang unternommen hätten, ſonſt würde ich mir
die Freude nicht verſagt haben, Sie auf Ihrem Zim¬
mer aufzuſuchen. Meine Frau wird ſich glücklich ſchätzen,
Sie unter unſerem beſcheidenen Dache zu begrüßen.
Wollen Sie gefälligſt näher treten? Bitte, bitte, keine
Umſtände!“
„Hier iſt kein Entrinnen möglich,“ dachte Oswald,
und der Höflichkeit, dieſem Affen der Humanität, zu
Liebe, ließ er ſich unter dem beſcheidenen Dache, das
nebenbei ein ganz ſtattliches Haus bedeckte, eine Gaſt¬
freundſchaft aufnöthigen, der auszuweichen er noch eine
Minute vorher entſchloſſen geweſen war.
„Guſtava! Guſtave! Guſtchen!“ rief der Pfarrer
auf der Hausflur; öffnete aber, da die Gerufene die
ſichere Poſition hinter dem mit einem Vorhang ver¬
ſehenen Guckfenſterchen der Küchenthür nicht aufgeben
mochte, bevor ſie über den Charakter des Fremden und
den Zweck ſeines Beſuches genauer unterrichtet ſein
würde, ſein Studirzimmer, und bat Oswald einzutre¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/111>, abgerufen am 04.12.2024.
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