blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte, leise zusammengezogenen dunklen Brauen, gaben dem blassen Gesicht mit den unregelmäßigen, aber nicht un¬ schönen Zügen einen Ausdruck von finsterem Trotz und Stolz, der einem gefangenen Königssohn wohl ange¬ standen haben würde.
"Armer Knabe," sagte Oswald bei sich, als er mit unendlichem Interesse in das räthselhafte junge Antlitz sah, "dir hat der Lenz des Lebens auch schon Thränen ge¬ bracht, wenn du überhaupt von einem Lenze sprechen kannst."
Er fühlte sich seltsam ergriffen, er wußte selbst kaum weshalb; aber er beugte sich über den Schlum¬ mernden und küßte ihn auf die Stirn. Da regte sich der Knabe im Schlaf, die Arme lösten sich, er schlug die großen, tiefblauen Augen auf, und sah durch die Nebel des Traumes zu Oswald empor. Und da zuckte es wie ein sonniger Strahl über sein Gesicht; alles Düstre war verschwunden, und ein warmes, hinreißend freundliches Lächeln spielte in den lebensvollen Zügen.
"Ich habe Dich lieb," sagte der Knabe.
"Und ich Dich," antwortete Oswald.
Da wandte sich Bruno auf die Seite und Oswald hörte an den tiefen regelmäßigen Athemzügen, daß er wieder fest entschlafen sei. "Hat er Dich wirklich ge¬ sehen, oder bist du ihm nur als Traumbild erschienen?"
blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte, leiſe zuſammengezogenen dunklen Brauen, gaben dem blaſſen Geſicht mit den unregelmäßigen, aber nicht un¬ ſchönen Zügen einen Ausdruck von finſterem Trotz und Stolz, der einem gefangenen Königsſohn wohl ange¬ ſtanden haben würde.
„Armer Knabe,“ ſagte Oswald bei ſich, als er mit unendlichem Intereſſe in das räthſelhafte junge Antlitz ſah, „dir hat der Lenz des Lebens auch ſchon Thränen ge¬ bracht, wenn du überhaupt von einem Lenze ſprechen kannſt.“
Er fühlte ſich ſeltſam ergriffen, er wußte ſelbſt kaum weshalb; aber er beugte ſich über den Schlum¬ mernden und küßte ihn auf die Stirn. Da regte ſich der Knabe im Schlaf, die Arme löſten ſich, er ſchlug die großen, tiefblauen Augen auf, und ſah durch die Nebel des Traumes zu Oswald empor. Und da zuckte es wie ein ſonniger Strahl über ſein Geſicht; alles Düſtre war verſchwunden, und ein warmes, hinreißend freundliches Lächeln ſpielte in den lebensvollen Zügen.
„Ich habe Dich lieb,“ ſagte der Knabe.
„Und ich Dich,“ antwortete Oswald.
Da wandte ſich Bruno auf die Seite und Oswald hörte an den tiefen regelmäßigen Athemzügen, daß er wieder feſt entſchlafen ſei. „Hat er Dich wirklich ge¬ ſehen, oder biſt du ihm nur als Traumbild erſchienen?“
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blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte,
leiſe zuſammengezogenen dunklen Brauen, gaben dem
blaſſen Geſicht mit den unregelmäßigen, aber nicht un¬
ſchönen Zügen einen Ausdruck von finſterem Trotz und
Stolz, der einem gefangenen Königsſohn wohl ange¬
ſtanden haben würde.
„Armer Knabe,“ ſagte Oswald bei ſich, als er mit
unendlichem Intereſſe in das räthſelhafte junge Antlitz
ſah, „dir hat der Lenz des Lebens auch ſchon Thränen ge¬
bracht, wenn du überhaupt von einem Lenze ſprechen kannſt.“
Er fühlte ſich ſeltſam ergriffen, er wußte ſelbſt
kaum weshalb; aber er beugte ſich über den Schlum¬
mernden und küßte ihn auf die Stirn. Da regte ſich
der Knabe im Schlaf, die Arme löſten ſich, er ſchlug
die großen, tiefblauen Augen auf, und ſah durch die
Nebel des Traumes zu Oswald empor. Und da zuckte
es wie ein ſonniger Strahl über ſein Geſicht; alles
Düſtre war verſchwunden, und ein warmes, hinreißend
freundliches Lächeln ſpielte in den lebensvollen Zügen.
„Ich habe Dich lieb,“ ſagte der Knabe.
„Und ich Dich,“ antwortete Oswald.
Da wandte ſich Bruno auf die Seite und Oswald
hörte an den tiefen regelmäßigen Athemzügen, daß er
wieder feſt entſchlafen ſei. „Hat er Dich wirklich ge¬
ſehen, oder biſt du ihm nur als Traumbild erſchienen?“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/21>, abgerufen am 16.07.2024.
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