Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte, "Armer Knabe," sagte Oswald bei sich, als er mit Er fühlte sich seltsam ergriffen, er wußte selbst "Ich habe Dich lieb," sagte der Knabe. "Und ich Dich," antwortete Oswald. Da wandte sich Bruno auf die Seite und Oswald blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte, „Armer Knabe,“ ſagte Oswald bei ſich, als er mit Er fühlte ſich ſeltſam ergriffen, er wußte ſelbſt „Ich habe Dich lieb,“ ſagte der Knabe. „Und ich Dich,“ antwortete Oswald. Da wandte ſich Bruno auf die Seite und Oswald <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0021" n="11"/> blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte,<lb/> leiſe zuſammengezogenen dunklen Brauen, gaben dem<lb/> blaſſen Geſicht mit den unregelmäßigen, aber nicht un¬<lb/> ſchönen Zügen einen Ausdruck von finſterem Trotz und<lb/> Stolz, der einem gefangenen Königsſohn wohl ange¬<lb/> ſtanden haben würde.</p><lb/> <p>„Armer Knabe,“ ſagte Oswald bei ſich, als er mit<lb/> unendlichem Intereſſe in das räthſelhafte junge Antlitz<lb/> ſah, „dir hat der Lenz des Lebens auch ſchon Thränen ge¬<lb/> bracht, wenn du überhaupt von einem Lenze ſprechen kannſt.“</p><lb/> <p>Er fühlte ſich ſeltſam ergriffen, er wußte ſelbſt<lb/> kaum weshalb; aber er beugte ſich über den Schlum¬<lb/> mernden und küßte ihn auf die Stirn. Da regte ſich<lb/> der Knabe im Schlaf, die Arme löſten ſich, er ſchlug<lb/> die großen, tiefblauen Augen auf, und ſah durch die<lb/> Nebel des Traumes zu Oswald empor. Und da zuckte<lb/> es wie ein ſonniger Strahl über ſein Geſicht; alles<lb/> Düſtre war verſchwunden, und ein warmes, hinreißend<lb/> freundliches Lächeln ſpielte in den lebensvollen Zügen.</p><lb/> <p>„Ich habe Dich lieb,“ ſagte der Knabe.</p><lb/> <p>„Und ich Dich,“ antwortete Oswald.</p><lb/> <p>Da wandte ſich Bruno auf die Seite und Oswald<lb/> hörte an den tiefen regelmäßigen Athemzügen, daß er<lb/> wieder feſt entſchlafen ſei. „Hat er Dich wirklich ge¬<lb/> ſehen, oder biſt du ihm nur als Traumbild erſchienen?“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0021]
blick, wo ihn ein Traumbild herausfordern mochte,
leiſe zuſammengezogenen dunklen Brauen, gaben dem
blaſſen Geſicht mit den unregelmäßigen, aber nicht un¬
ſchönen Zügen einen Ausdruck von finſterem Trotz und
Stolz, der einem gefangenen Königsſohn wohl ange¬
ſtanden haben würde.
„Armer Knabe,“ ſagte Oswald bei ſich, als er mit
unendlichem Intereſſe in das räthſelhafte junge Antlitz
ſah, „dir hat der Lenz des Lebens auch ſchon Thränen ge¬
bracht, wenn du überhaupt von einem Lenze ſprechen kannſt.“
Er fühlte ſich ſeltſam ergriffen, er wußte ſelbſt
kaum weshalb; aber er beugte ſich über den Schlum¬
mernden und küßte ihn auf die Stirn. Da regte ſich
der Knabe im Schlaf, die Arme löſten ſich, er ſchlug
die großen, tiefblauen Augen auf, und ſah durch die
Nebel des Traumes zu Oswald empor. Und da zuckte
es wie ein ſonniger Strahl über ſein Geſicht; alles
Düſtre war verſchwunden, und ein warmes, hinreißend
freundliches Lächeln ſpielte in den lebensvollen Zügen.
„Ich habe Dich lieb,“ ſagte der Knabe.
„Und ich Dich,“ antwortete Oswald.
Da wandte ſich Bruno auf die Seite und Oswald
hörte an den tiefen regelmäßigen Athemzügen, daß er
wieder feſt entſchlafen ſei. „Hat er Dich wirklich ge¬
ſehen, oder biſt du ihm nur als Traumbild erſchienen?“
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