nusses, der uns an die Urzeit der Menschen, mich zum wenigsten sehr lebhaft an meine Jugendzeit erinnert. Denn mein erster Freund war ein Gänsejunge, später war ein kleiner Schweinehirt mein Pylades, und der vertraute Umgang mit diesem Eumaeus posthumus hat mich aus der Lectüre gewisser Gesänge der Odyssee einen Genuß schöpfen lassen, der Anderen, welche ohne meine gründliche Vorbildung daran gehen, ganz uner¬ klärlich sein muß. Als mein Pylades zum Rinder¬ hirten avancirte, verließ ich weinend mein Heimaths¬ dorf, um nach Grünwald auf 's Gymnasium zu gehen, wo ich sogleich in die Tertia eintrat und von Lehrern und Schülern als ein kleines Ungeheuer angestaunt wurde, von Letzteren in Anbetracht meiner fabelhaften Toilette, in welcher ein paar Hosen, die bis zum Knie hinauf von gutem Rindsleder bestanden, noch nicht das merkwürdigste Stück war, -- von Ersteren wegen meiner nicht weniger fabelhaften Gelehrsamkeit. Ich wußte den halben Virgil auswendig, las das neue Testa¬ ment in der Ursprache so fließend, wie meine Mit¬ schüler Luther's Uebersetzung -- und das Alles mit dreizehn Jahren! Mir graut jetzt selbst, wenn ich daran denke. Damals indessen kam mir das Alles sehr zu statten; denn mein Vater, der eine zahlreiche Fa¬ milie zu ernähren hatte, und so arm war, wie die
nuſſes, der uns an die Urzeit der Menſchen, mich zum wenigſten ſehr lebhaft an meine Jugendzeit erinnert. Denn mein erſter Freund war ein Gänſejunge, ſpäter war ein kleiner Schweinehirt mein Pylades, und der vertraute Umgang mit dieſem Eumaeus posthumus hat mich aus der Lectüre gewiſſer Geſänge der Odyſſee einen Genuß ſchöpfen laſſen, der Anderen, welche ohne meine gründliche Vorbildung daran gehen, ganz uner¬ klärlich ſein muß. Als mein Pylades zum Rinder¬ hirten avancirte, verließ ich weinend mein Heimaths¬ dorf, um nach Grünwald auf 's Gymnaſium zu gehen, wo ich ſogleich in die Tertia eintrat und von Lehrern und Schülern als ein kleines Ungeheuer angeſtaunt wurde, von Letzteren in Anbetracht meiner fabelhaften Toilette, in welcher ein paar Hoſen, die bis zum Knie hinauf von gutem Rindsleder beſtanden, noch nicht das merkwürdigſte Stück war, — von Erſteren wegen meiner nicht weniger fabelhaften Gelehrſamkeit. Ich wußte den halben Virgil auswendig, las das neue Teſta¬ ment in der Urſprache ſo fließend, wie meine Mit¬ ſchüler Luther's Ueberſetzung — und das Alles mit dreizehn Jahren! Mir graut jetzt ſelbſt, wenn ich daran denke. Damals indeſſen kam mir das Alles ſehr zu ſtatten; denn mein Vater, der eine zahlreiche Fa¬ milie zu ernähren hatte, und ſo arm war, wie die
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nuſſes, der uns an die Urzeit der Menſchen, mich zum
wenigſten ſehr lebhaft an meine Jugendzeit erinnert.
Denn mein erſter Freund war ein Gänſejunge, ſpäter
war ein kleiner Schweinehirt mein Pylades, und
der vertraute Umgang mit dieſem Eumaeus posthumus
hat mich aus der Lectüre gewiſſer Geſänge der Odyſſee
einen Genuß ſchöpfen laſſen, der Anderen, welche ohne
meine gründliche Vorbildung daran gehen, ganz uner¬
klärlich ſein muß. Als mein Pylades zum Rinder¬
hirten avancirte, verließ ich weinend mein Heimaths¬
dorf, um nach Grünwald auf 's Gymnaſium zu gehen,
wo ich ſogleich in die Tertia eintrat und von Lehrern
und Schülern als ein kleines Ungeheuer angeſtaunt
wurde, von Letzteren in Anbetracht meiner fabelhaften
Toilette, in welcher ein paar Hoſen, die bis zum Knie
hinauf von gutem Rindsleder beſtanden, noch nicht das
merkwürdigſte Stück war, — von Erſteren wegen
meiner nicht weniger fabelhaften Gelehrſamkeit. Ich
wußte den halben Virgil auswendig, las das neue Teſta¬
ment in der Urſprache ſo fließend, wie meine Mit¬
ſchüler Luther's Ueberſetzung — und das Alles mit
dreizehn Jahren! Mir graut jetzt ſelbſt, wenn ich daran
denke. Damals indeſſen kam mir das Alles ſehr
zu ſtatten; denn mein Vater, der eine zahlreiche Fa¬
milie zu ernähren hatte, und ſo arm war, wie die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/245>, abgerufen am 16.02.2025.
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