Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.lend, bald Oswald aus ihren grauen, tiefliegenden "Ich weiß nicht, was das ist," sagte sie plötzlich, "Nun ja," sagte Oswald, "gestern Morgen auf "Nein, nein -- nicht gestern, vor einigen Jahren, "Wie alt sind Sie denn, Mütterchen?" fragte Os¬ "Nächstes Christfest werde ich zwei und achtig Jahr, "Zwei und achtzig Jahre!" rief Oswald erstaunt; "Ja, immer hier; hier und auf dem Schlosse. Dort lend, bald Oswald aus ihren grauen, tiefliegenden „Ich weiß nicht, was das iſt,“ ſagte ſie plötzlich, „Nun ja,“ ſagte Oswald, „geſtern Morgen auf „Nein, nein — nicht geſtern, vor einigen Jahren, „Wie alt ſind Sie denn, Mütterchen?“ fragte Os¬ „Nächſtes Chriſtfeſt werde ich zwei und achtig Jahr, „Zwei und achtzig Jahre!” rief Oswald erſtaunt; „Ja, immer hier; hier und auf dem Schloſſe. Dort <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0288" n="278"/> lend, bald Oswald aus ihren grauen, tiefliegenden<lb/> Augen forſchend und freundlich anſehend.</p><lb/> <p>„Ich weiß nicht, was das iſt,“ ſagte ſie plötzlich,<lb/> als ein rother Streifen der untergehenden Sonne durch<lb/> das Fenſter auf Oswald's Geſicht fiel, „ich muß Sie<lb/> ſchon mal geſehen haben.“</p><lb/> <p>„Nun ja,“ ſagte Oswald, „geſtern Morgen auf<lb/> der Haide.“</p><lb/> <p>„Nein, nein — nicht geſtern, vor einigen Jahren,<lb/> ſo vor vierzig — fünfzig etwa und darüber.“</p><lb/> <p>„Wie alt ſind Sie denn, Mütterchen?“ fragte Os¬<lb/> wald, verwundert fünfzig Jahre und darüber als einige<lb/> Jahre bezeichnen zu hören.</p><lb/> <p>„Nächſtes Chriſtfeſt werde ich zwei und achtig Jahr,<lb/> antwortete die Alte, wieder emſig ſtrickend, als erin¬<lb/> nere ſie dieſe Frage, daß ſie keine Zeit mehr zu ver¬<lb/> lieren habe.</p><lb/> <p>„Zwei und achtzig Jahre!” rief Oswald erſtaunt;<lb/> „und haben Sie während der Zeit hier ſtets im Dorfe<lb/> gelebt?“</p><lb/> <p>„Ja, immer hier; hier und auf dem Schloſſe. Dort<lb/> bin ich geboren, am heiligen Chriſtabend im Jahre<lb/> Eintauſend Siebenhundert Vierundſechzig, an demſelben<lb/> Tage und zur ſelbigen Stunde, wie der Vater von<lb/> dem verſtorbenen Baron —“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [278/0288]
lend, bald Oswald aus ihren grauen, tiefliegenden
Augen forſchend und freundlich anſehend.
„Ich weiß nicht, was das iſt,“ ſagte ſie plötzlich,
als ein rother Streifen der untergehenden Sonne durch
das Fenſter auf Oswald's Geſicht fiel, „ich muß Sie
ſchon mal geſehen haben.“
„Nun ja,“ ſagte Oswald, „geſtern Morgen auf
der Haide.“
„Nein, nein — nicht geſtern, vor einigen Jahren,
ſo vor vierzig — fünfzig etwa und darüber.“
„Wie alt ſind Sie denn, Mütterchen?“ fragte Os¬
wald, verwundert fünfzig Jahre und darüber als einige
Jahre bezeichnen zu hören.
„Nächſtes Chriſtfeſt werde ich zwei und achtig Jahr,
antwortete die Alte, wieder emſig ſtrickend, als erin¬
nere ſie dieſe Frage, daß ſie keine Zeit mehr zu ver¬
lieren habe.
„Zwei und achtzig Jahre!” rief Oswald erſtaunt;
„und haben Sie während der Zeit hier ſtets im Dorfe
gelebt?“
„Ja, immer hier; hier und auf dem Schloſſe. Dort
bin ich geboren, am heiligen Chriſtabend im Jahre
Eintauſend Siebenhundert Vierundſechzig, an demſelben
Tage und zur ſelbigen Stunde, wie der Vater von
dem verſtorbenen Baron —“
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