Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst schien dieser strenge Geist der Ordnung gefahren,
so daß Oswald sich des Gedankens nicht erwehren
konnte, sie rückten sich in aller Stille von selber zurecht,
falls einmal eines von seiner ihm angewiesenen Stelle
abgekommen sein sollte. So wenig nun Oswald in
seinem bisherigen Leben an eine so peinliche Ordnung
gewöhnt war, und so sehr sich auch im Grunde seine
Natur dagegen sträubte, so leicht wurde es ihm doch
bei der Geschmeidigkeit seines Wesens und bei der ver¬
söhnlichen, milden Stimmung, in die ihn der tiefe
Frieden rings umher verseßte, sich dieselbe zu finden.
Er that, was er die Leute um sich her thun sah, und
erwiderte die förmlichen Verbeugungen, mit denen man
sich hier begegnete, mit demselben Grad von Ernsthaf¬
tigkeit, den er auf einer Maskerade in einer Menuet
zur Schau getragen haben würde.

Er hatte es in den ersten Tagen mit den Lehr¬
stunden nicht allzu genau genommen, und sich desto
eifriger mit seinen beiden Zöglingen draußen umher
getummelt. Sie hatten den Buchwald, der sich von
Schloß Grenwitz eine halbe Stunde bis hart an das
Meer erstreckte, nach allen Richtungen durchstreift,
hatten ein Hünengrab und eine Höhle entdeckt, und
waren oft schon von den hohen Kreideufern zum Strand
hinabgeklettert, hatten dort, auf einem der mächtigen

ſelbſt ſchien dieſer ſtrenge Geiſt der Ordnung gefahren,
ſo daß Oswald ſich des Gedankens nicht erwehren
konnte, ſie rückten ſich in aller Stille von ſelber zurecht,
falls einmal eines von ſeiner ihm angewieſenen Stelle
abgekommen ſein ſollte. So wenig nun Oswald in
ſeinem bisherigen Leben an eine ſo peinliche Ordnung
gewöhnt war, und ſo ſehr ſich auch im Grunde ſeine
Natur dagegen ſträubte, ſo leicht wurde es ihm doch
bei der Geſchmeidigkeit ſeines Weſens und bei der ver¬
ſöhnlichen, milden Stimmung, in die ihn der tiefe
Frieden rings umher verſeßte, ſich dieſelbe zu finden.
Er that, was er die Leute um ſich her thun ſah, und
erwiderte die förmlichen Verbeugungen, mit denen man
ſich hier begegnete, mit demſelben Grad von Ernſthaf¬
tigkeit, den er auf einer Maskerade in einer Menuet
zur Schau getragen haben würde.

Er hatte es in den erſten Tagen mit den Lehr¬
ſtunden nicht allzu genau genommen, und ſich deſto
eifriger mit ſeinen beiden Zöglingen draußen umher
getummelt. Sie hatten den Buchwald, der ſich von
Schloß Grenwitz eine halbe Stunde bis hart an das
Meer erſtreckte, nach allen Richtungen durchſtreift,
hatten ein Hünengrab und eine Höhle entdeckt, und
waren oft ſchon von den hohen Kreideufern zum Strand
hinabgeklettert, hatten dort, auf einem der mächtigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="39"/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chien die&#x017F;er &#x017F;trenge Gei&#x017F;t der Ordnung gefahren,<lb/>
&#x017F;o daß Oswald &#x017F;ich des Gedankens nicht erwehren<lb/>
konnte, &#x017F;ie rückten &#x017F;ich in aller Stille von &#x017F;elber zurecht,<lb/>
falls einmal eines von &#x017F;einer ihm angewie&#x017F;enen Stelle<lb/>
abgekommen &#x017F;ein &#x017F;ollte. So wenig nun Oswald in<lb/>
&#x017F;einem bisherigen Leben an eine &#x017F;o peinliche Ordnung<lb/>
gewöhnt war, und &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ich auch im Grunde &#x017F;eine<lb/>
Natur dagegen &#x017F;träubte, &#x017F;o leicht wurde es ihm doch<lb/>
bei der Ge&#x017F;chmeidigkeit &#x017F;eines We&#x017F;ens und bei der ver¬<lb/>
&#x017F;öhnlichen, milden Stimmung, in die ihn der tiefe<lb/>
Frieden rings umher ver&#x017F;eßte, &#x017F;ich die&#x017F;elbe zu finden.<lb/>
Er that, was er die Leute um &#x017F;ich her thun &#x017F;ah, und<lb/>
erwiderte die förmlichen Verbeugungen, mit denen man<lb/>
&#x017F;ich hier begegnete, mit dem&#x017F;elben Grad von Ern&#x017F;thaf¬<lb/>
tigkeit, den er auf einer Maskerade in einer Menuet<lb/>
zur Schau getragen haben würde.</p><lb/>
        <p>Er hatte es in den er&#x017F;ten Tagen mit den Lehr¬<lb/>
&#x017F;tunden nicht allzu genau genommen, und &#x017F;ich de&#x017F;to<lb/>
eifriger mit &#x017F;einen beiden Zöglingen draußen umher<lb/>
getummelt. Sie hatten den Buchwald, der &#x017F;ich von<lb/>
Schloß Grenwitz eine halbe Stunde bis hart an das<lb/>
Meer er&#x017F;treckte, nach allen Richtungen durch&#x017F;treift,<lb/>
hatten ein Hünengrab und eine Höhle entdeckt, und<lb/>
waren oft &#x017F;chon von den hohen Kreideufern zum Strand<lb/>
hinabgeklettert, hatten dort, auf einem der mächtigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0049] ſelbſt ſchien dieſer ſtrenge Geiſt der Ordnung gefahren, ſo daß Oswald ſich des Gedankens nicht erwehren konnte, ſie rückten ſich in aller Stille von ſelber zurecht, falls einmal eines von ſeiner ihm angewieſenen Stelle abgekommen ſein ſollte. So wenig nun Oswald in ſeinem bisherigen Leben an eine ſo peinliche Ordnung gewöhnt war, und ſo ſehr ſich auch im Grunde ſeine Natur dagegen ſträubte, ſo leicht wurde es ihm doch bei der Geſchmeidigkeit ſeines Weſens und bei der ver¬ ſöhnlichen, milden Stimmung, in die ihn der tiefe Frieden rings umher verſeßte, ſich dieſelbe zu finden. Er that, was er die Leute um ſich her thun ſah, und erwiderte die förmlichen Verbeugungen, mit denen man ſich hier begegnete, mit demſelben Grad von Ernſthaf¬ tigkeit, den er auf einer Maskerade in einer Menuet zur Schau getragen haben würde. Er hatte es in den erſten Tagen mit den Lehr¬ ſtunden nicht allzu genau genommen, und ſich deſto eifriger mit ſeinen beiden Zöglingen draußen umher getummelt. Sie hatten den Buchwald, der ſich von Schloß Grenwitz eine halbe Stunde bis hart an das Meer erſtreckte, nach allen Richtungen durchſtreift, hatten ein Hünengrab und eine Höhle entdeckt, und waren oft ſchon von den hohen Kreideufern zum Strand hinabgeklettert, hatten dort, auf einem der mächtigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/49
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/49>, abgerufen am 23.11.2024.